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Das Geistliche Wort | 25.01.2015 | 08:40 Uhr

„Der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet“

Guten Morgen!

„Helikopter-Eltern!“ Vor ein paar Monaten bin ich auf den Begriff gestoßen. Er ging als ein Leitthema durch die Medien. Er kommt ursprünglich aus dem Amerikanischen und beschreibt Erwachsene, die ständig um ihre Kinder kreisen, wie ein Helikopter über einem Beobachtungsobjekt.

Als Helikopter starten sie schon morgens auf dem Weg zum Kindergarten oder zur Schule. Meist mit dem Auto bis vor die Tür – falls ein Parkplatz zwischen den anderen Hubschraubern ergattert wird. Mittags oder nachmittags ein ähnliches Bild. Es werden die Hausarbeiten kontrolliert, der Lernstand überwacht und bei schlechten Noten oder Klassenarbeiten ein ernstes Wort mit dem Lehrer oder der Lehrerin gesprochen.

Und diese Erziehungsphilosophie setzt sich fort. Da werden die Kinder bei ihrem Vorstellungsgespräch in das Unternehmen begleitet. An einigen Universitäten werden die Erstsemestler mit ihren Eltern begrüßt.

In den Zeitungen werden diese Eltern sehr süffisant beschrieben, das seien Eltern, die ihre Kinder überbehüten, sie ständig begleiten und beschützen wollen.

In Dänemark werden sie solche Eltern übrigens Curling-Eltern genannt, weil sie wie beim Eisstockschießen alle Hindernisse vor ihrem Kind aus dem Weg räumen.

Musik I

Der Pädagoge Josef Kraus hat über dieses Phänomen der „Helikopter-Eltern“ ein Buch geschrieben. Es ist eine Klage zwischen allzu verkrampfter Frühförderung der Kinder und ihrem Verwöhnt-Werden.

Kraus spricht von zehn bis fünfzehn Prozent der Elternschaft, die sich so verhält.

Neben der Überbehütung stellen Helikopter-Eltern hohe Anforderungen an ihren Nachwuchs: Bildungs- und Leistungsdruck bestimmen den Alltag des Kindes. Oft folgen die Kinder einem engen Wochenstundenplan aus Schule, zusätzlichen Bildungsangeboten und mehreren Sportkursen, Musikunterricht oder sonstigen organisierten Freizeitangeboten. Leistungen in Schule, Sport und Hobbies sind nicht mehr Leistung des Kindes, sondern werden als wichtiges Familienergebnis interpretiert. Frei nach dem Motto: „Nicht du hast, sondern wir haben eine gute Note erreicht!“ „Wir müssen hier nochmal mit der Lehrerin sprechen!“ Dieser Förderwahn –so mein Eindruck – lässt den Kindern keine Zeit, ihre Umwelt spielerisch und in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu erkunden.

Auf der anderen Seite sieht Krause allerdings auch ein anders Problem, nämlich den Anteil der Eltern, die sich überhaupt nicht um die Kinder kümmern. Zum Glück gibt es dazwischen Millionen Eltern und Erziehungsberechtigte, die ein vernünftiges Maß der Erziehung wählen.

Musik II

Ich habe das Thema „Helikopter-Eltern“ einmal in meinem Familienkreis angesprochen. Erst haben wir uns amüsiert und gespöttelt: „Reichlich übertrieben ist das!“ „Klar, man muss seine Kinder unterstützen. Aber doch nicht so!“ „Das schadet doch nur! Wie sollen sie selbständig werden?“ „Es ist falsch, Partner seiner Kinder zu sein!“ Zunächst war unser Urteil klar: Kinder können sich so nicht entwickeln. Sie lernen nicht, mit Misserfolgen umzugehen, Kompromisse zu schließen oder sich selbständig zu entwickeln.

Aber je später der Abend wurde, desto mehr Ehrlichkeit bestimmte die Atmosphäre und differenzierter wurden auch die Aussagen. Und schließlich: Was vorher rundheraus kritisiert wurde, das wurde tatsächlich eingestanden: ich selber praktizier es ja in vielen Fällen genauso: Da wurde dann doch einmal die Lehrerin angerufen. Auch im Fußballverein verstand man nicht, warum der Trainer den Sohn auf der Ersatzbank schmoren ließ und seine Dribbelkünste nicht erkannte. Da wurde die Tochter dann auch öfter zur Schule gebracht. Oder es wurde bei der siebzehnjährigen Tochter nachgefragt, ob beim nächsten Disco-Besuch der zwanzigjährige Fahrer auch wirklich kein Alkohol trinkt. Ein oder zwei SMS zur Kontrolle wurden selbstverständlich hinterher gesendet – kein Thema.

Am Ende des Abends war mir und meinem Familienkreis klar: Wir alle sind zwar nicht extreme „Helikopter-Eltern“ – heimliche aber schon. Und noch etwas kam bei der ehrlichen Bestandsaufnahme heraus: Auch umgekehrt gilt: Unsere Kinder genießen es „Helikopter-Eltern“ zu haben, dieses Rundum-Sorglos-Paket im Hotel Mama? Und ich muss gestehen: Bis zu einem gewissen Grad freue auch ich mich – wie wohl jede und jeder – über ein familiäres Verwöhnaroma.

Trotzdem sage ich mir als zweifacher Vater von erwachsenen Söhnen: Dort, wo Erziehung in Überwachung mündet, werden Grenzen überschritten. Erziehungsberechtigte sollten sich schon hinterfragen: Wie weit darf ich gehen? Und: Was tut meinem Kind eigentlich wirklich gut?

Musik III

Was tut meinem Kind eigentlich wirklich gut? Was ist ein sinnvolles Erziehungsmaß wählen? Mit diesen Fragen setzten sich schon immer Väter und Mütter auseinander um ihre Kinder zu unterstützen. Und auch mir klingt der Satz meiner Eltern noch in den Ohren: „Du sollst es einmal besser haben!“ Wie aber wird das richtige Maß gefunden?

Vor über dreihundert Jahren hat der evangelische Pfarrer und Komponist Joachim Neander (1650-1680) in dem Kirchenlied „Lobe den Herren“ eine Antwort gegeben, wie ich meine, eine Antwort, die bis heute eine Gültigkeit hat. Eigentlich ist es ein Kirchenlied zum Lobe Gottes, aber es steckt eine sehr pädagogische Weisheit darin.

In der zweiten Strophe heißt es: „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet.“ Neander kannte zwar keine Helikopter. Aber ich bin mir sicher, dass er eine Naturbeobachtung aufgegriffen hat. Der Adler behütet und schützt nämlich seine Jungen und zwar in besonderer Weise: Er vertraut dem Können seines Nachwuchses. Geraten sie bei den ersten Flugversuchen ins Straucheln oder in Gefahr, dann nimmt er sie auf seine Flügel.

Was das bedeutet, auf Adlerflügeln getragen zu werden, sagt schon die Bibel im Alten Testament, im Buch Deuteronomium. Da heißt es:

Sprecher:

„Wie ein Adler seine Jungen aus dem Nest scheucht, damit sie selber fliegen lernen, – doch wachsam schwebt er über ihnen, und wenn eins müde wird und fällt, dann breitet er die Flügel unter ihm und fängt es auf und trägt es fort – so wie dieser Adler, so tut der Herr mit seinem Volk.“ (Dtn 32,11)

Die Kinder müssen ihren Weg gehen – wie die jungen Adler das Fliegen lernen. Manch einer muss sogar aus dem Familiennest gescheucht werden. Andere werden übermütig sein, wenn sie ihre Kraft spüren. Sie entdecken Freiheiten und werden ab und an leichtsinnig sein und manches Mal ihre Grenzen überschreiten. Sie sammeln negative Erfahrungen wie positive Erlebnisse. Schritt für Schritt – eigenständig – so werden sie erwachsen.

Gleichzeitig können sie sich fallen lassen in dem Wissen, das Erziehungsberechtigte, Vater und Mutter schützend die Flügel ausbreiten. Gibt es einen besseren Erziehungsratgeber als dieses Bild? Die Stärken seiner Kinder stärken und ihre Schwächen schwächen. Fallen dürfen und doch noch getragen werden! Was für ein Erziehungsideal?!

Musik IV

Fallen dürfen und getragen werden. Das Familienbild des Christentums hat Papst Franziskus am 14. September 2014 in den Mittelpunkt seiner Predigt vor Brautpaaren gestellt:

Sprecher:

„Unschätzbar ist die Kraft, das Aufkommen an Menschlichkeit, das in einer Familie vorhanden ist: die gegenseitige Hilfe, die erzieherische Begleitung, die Beziehungen, die mit den Menschen mitwachsen, das Teilen der Freuden und der Schwierigkeiten… Die Familien sind der erste Ort, an dem wir uns als Person heranbilden, und zugleich sind sie die ‚Bausteine‘ für den Aufbau der Gesellschaft.“

Die Familie ist der Ort, an dem Menschen in der Regel beginnen, Werte und Ideale kennen zu lernen. Hier erfahren sie Liebe, Vertrauen und Miteinander. Natürlich ist es auch ein Ort von Spannungen und Auseinandersetzungen. Da wechseln auch schon einmal egoistische Interessen mit Fürsorge und Selbstlosigkeit. Da müssen spontane Wünsche auch schon einmal langfristigen Überlegungen weichen, wenn zum Beispiel das Geld nicht reicht.

Dann müssen Diskussionen geführt werden, um Spannungen und Konflikte zu lösen. Es geht darum, Kompromisse zu finden und durchzuhalten. Solche Erfahrungen prägen die Kinder – aber auch die Eltern – ein Leben lang. Und deshalb ist die Familie für Papst Franziskus, wie er sagt, „der Ort, wo wir uns als Personen entwickeln. Jede Familie ist ein Baustein, der die Gesellschaft aufbaut“ .

Musik V

Die Familie als Ort der Persönlichkeitsentwicklung. Das ist nicht nur das Familienideal des Papstes. Nikolaus Groß (1898-1945), der vor genau 70 Jahren am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, hatte eine ähnliche Idee. Nikolaus Groß war Bergmann, Journalist und Widerstandskämpfer. Als Schriftleiter der Katholischen Arbeitnehmerbewegung hatte er zwei Jahre vor seinem Tod ein Buch mit dem Titel „Sieben um einen Tisch“ geschrieben. Darin schreibt er über die Familie:

Sprecher:

„In der Familie werden viele Prüfungen vorweggenommen, die, wenn sie nicht bestanden wären, später das Leben von ihnen fordern würde. Es ist ein vergeblicher Versuch, wenn wir glauben, die Hörner, die jedem Menschen, auch unseren Kindern, wachsen, können wir uns für sie abstoßen. Keine Kinderstube kann die Jugend vor den letzten entscheidenden Prüfungen, die das Leben vornimmt, bewahren. Aber die Familie kann vieles leichter machen.“

Hier klingt genau das an, was Joachim Neander besungen hatte: „Der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet.“ Für Nikolaus Groß, der mit Sicherheit dieses Lied kannte, war der Adler nicht nur ein Vorbild in Erziehungsfragen. Nikolaus Groß war gewiss, dass Gott ihn auffangen wird, im Leben wie im Sterben. Er hat sich darauf verlassen, dass Gott sich um ihn und seine Familie bemüht, wie der Adler um seine Jungen. Zwei Tage vor seiner Hinrichtung schrieb er einen Abschiedsbrief an seine Familie:

Sprecher:

„Manchmal hatte ich mir in den langen Monaten meiner Haft Gedanken darüber gemacht, was wohl einmal aus euch werden möge, wenn ich nicht mehr bei Euch sein könnte. Längst habe ich eingesehen, daß Euer Schicksal gar nicht von mir abhängt. Wenn Gott es so will, daß ich nicht mehr bei euch sein soll, dann hat er auch für Euch eine Hilfe bereit, die ohne mich wirkt. Gott verläßt keinen, der ihm treu ist, und er wird auch euch nicht verlassen, wenn Ihr Euch an ihn haltet.“

Am 7. Oktober 2001 wurde Nikolaus Groß seliggesprochen. Und ich bin mir sicher, dass Gott ihn und seine Familie, wie ein Adler auf seinen Fittichen sicher geführt hat.

Aus Selm-Cappenberg grüßt Sie Ulrich Nordhaus.

Copyright Vorschaubild: CC0 Public Domain Pixabay

* Kraus, J.(2013). Helikopter-Eltern. Berlin: Rowohlt.

**Joachim Neander, 1680, zitiert nach Gotteslob, hrsg. Von den /Erz-)Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen., kbw Bibelwerk Stuttgart 2013 Nr. 392.

***Zitiert nach: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2014/documents/papa-francesco_20140914_omelia-rito-matrimonio.html. Zugriff am 10.01.2015.

****Zitiert nach: Tagesimpuls vom 30.10.2014 unter: http://www.triff-den-papst.de/informationen/tagesimpuls/

Abgerufen am 10.01.2015.

Beaugrand, G., Budde, H. (1989). Nikolaus Groß – Zeuge und Bekenner. Augsburg: Pattloch, Seite 105.

****** Ebd. S. 99.

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