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Das Geistliche Wort | 30.08.2015 | 08:40 Uhr

Alles geregelt!?

„Straßenlaternen sind dazu da, den Weg auszuleuchten, nicht um sich daran festzuhalten.“

Dieser Spruch hat mich schon als Jugendliche in Rage gebracht. Ich erinnere mich noch an eine Situation damals ganz genau, als dieser Spruch fiel:

Es war beim Mittagessen bei uns zuhause. Da haben meine Eltern, meine Geschwister und ich gerne diskutiert manchmal sehr kontrovers.

Ich fühlte mich damals berufen, für unser innerfamiliäres Zusammenleben dringend nötige Reformen einzufordern – mehr noch: die Welt zu verbessern –, motiviert durch mein Engagement in der Jugendarbeit. Meine Aufmerksamkeit war besonders geweckt für nachhaltiges, ökologisches Leben. Und so forderte ich lautstark am Mittagstisch im Kreise meiner Familie ein, bestimmte Regeln einzuhalten:

„Man kann, wenn überhaupt, nur noch Kaffee aus Nicaragua trinken!“

„Wer nicht auf Umweltpapier schreibt, vergeudet die natürlichen Ressourcen!“

„Herkömmliche Waschmittel sind eine Attacke auf das ökologische Gleichgewicht und gehören verboten!“

Musik I

Zugegeben, meine Forderungen damals beim Mittagessen nach mehr nachhaltig ökologischem Leben kamen recht kompromisslos daher und entsprangen dem überheblichen Gefühl, besser zu wissen, was zur Rettung und Bewahrung der Schöpfung nötig ist, als all die anderen am Tisch.

Der Kommentar meines Vaters umso ernüchternder: „Ach Kind – ‚Straßenlaternen sind dazu da, den Weg auszuleuchten, nicht um sich daran festzuhalten.“

Die Kritik meines Vaters richtete sich darauf, meine Forderungen zurecht zu rücken: – Gesetze sind wie Straßenlaternen, sie wollen den Weg ausleuchten, damit man sich gut und sicher darauf bewegen kann. Wer sich fest an sie klammert, der hat nichts begriffen von ihrem Sinn, der wird auch nicht vorwärts kommen, sondern fest stehenbleiben! Der hat letztlich nichts begriffen von Leben und Freiheit.

Mein Vater: „Es geht doch um vielmehr als um ein paar Regeln. Es geht um den Geist, aus dem du lebst! Und der Geist ist viel mehr als Gesetz!“

Was mich damals kränkte: Mein Vater unterstellte mir an den Vorgaben von Fremdautoritäten zu kleben ohne nachzudenken und – was noch schlimmer war – durch diese Art der Gesetzesbeachtung andere zu unterdrücken und zu kontrollieren.

Heftig haben wir damals in der Familie gestritten. Inzwischen bin ich älter und hoffentlich auch reifer geworden und verstehe meinen Vater und seine Kritik.

Aber das Thema Gesetze und ihre Befolgung, das beschäftigt mich immer noch. Und das Thema ist auch nicht neu, im Gegenteil. Schon im Neuen Testament lese ich, wie die Pharisäer und Schriftgelehrten im Gespräch mit Jesus auftreten. Die waren keinen Deut besser als ich mit meinem jugendlichen Idealismus. Sie hielten sich auch gerne engstirnig an den Gesetzen fest, wie an einer Straßenlaterne, ohne den Sinn der Gesetze zu erfassen.

Von den Pharisäern und Schriftgelehrten berichtet der Evangelist Markus (Mk 7, 1-3.5-15):

Sprecherin:

„Die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, hielten sich bei Jesus auf. Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Hand voll Wasser die Hände gewaschen haben, wie es die Überlieferung der Alten vorschreibt.

Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.

Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage: Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“

Musik II

Beim Streit Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten geht es vordergründig um die Einhaltung von Hygienevorschriften. Natürlich sind Regeln und Traditionen beim Zusammenleben hilfreich, sind nötig, damit das Leben eine Struktur bekommt; natürlich ist es sinnvoll, sich vor dem Essen die Hände zu waschen. All das wird Jesus kaum infrage gestellt haben. Aber darum geht es ihm auch gar nicht. Jesus schaut weiter, schaut tiefer. Es geht ihm um die Haltung der Menschen: Was nützten gewaschene Hände beim Essen, wenn man die Menschen, mit denen man zusammen isst, wie den letzten Dreck behandelt, schlecht über sie denkt oder sie am liebsten vom gemeinsamen Tisch verbannen möchte?

Jesus durchschaut die Heuchelei, die sich hinter dem Unterschied von äußerer Gesetzestreue und innerer Haltung verbirgt: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen.“

Der Streit entfacht, weil Jesus den Buchstabengehorsam der Pharisäer hinterfragt. Als ob es ausreicht, durch das strikte Einhalten von Regeln ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen? Jesus geht es nicht so sehr um die Regeln selber, sondern um das, was geschieht, wenn Regeln um der Regeln willen erfüllt werden, ohne dabei zu fragen, was Gott denn eigentlich will. Die Pharisäer stehen in der Gefahr, selbstgerecht zu sein, denn sie erfüllen ja das Gesetz ganz genau. Was kann da schon schief gehen? Diese Selbstgerechtigkeit geht soweit, dass die Pharisäer sogar selbst gefällig werden und ihre Form der Gottesverehrung als die einzig wahre ansehen. Wer anders handelt, der kann per se schon nicht Gottesfürchtig sein.

Je länger ich darüber nachdenke, wird mir klar: Mit seiner Kritik richtet sich Jesus nicht nur an die Pharisäer und Schriftgelehrten seiner Zeit. Es bleibt mir nicht erspart selbst in den Spiegel zu schauen, den Jesus hier hochhält. Dabei entdecke ich, dass mir die Pharisäer ähnlicher sind, als ich zugeben möchte: Ich kenne doch selbst die Sicherheit, die bestimmte Rituale meinem Alltag geben. Auch mir tut es gut, Regeln zu befolgen. Regelbefolgung verschafft Sicherheit – mehr noch, schafft Anerkennung und Akzeptanz in der Gemeinschaft und signalisiert mir: Ich gehöre dazu. Was aber, wenn dann Regeln nur um der Regeln willen befolgt werden? Wenn ich nicht mehr nach dem Sinn der Regeln frage? Wenn ich dem Trott folge: Das war schon immer so! Oder: Das tut man ebenso!

Wie ist das, wenn ich mich mit Menschen auseinandersetzen muss, die anders denken und anders leben als ich? Wie ist das, wenn meine Regeln angefragt werden, meine Lebensvollzüge, meine Werte? Sind die anderen per se im Unrecht und ich im Recht? Sind die anderen, gar die Fremden eine Provokation, eine Bedrohung für mich, weil ihre Wertvorstellungen und ihre Lebensweise nicht zu meinen Lebensregeln passen? Gerade in diesen Wochen und Monaten stelle ich mir diese Fragen, wo unser Land und auch meine Heimatstadt Recklinghausen von Flüchtlingen erreicht werden, die aus ganz anderen Lebenszusammenhängen kommen.

Warum fällt es nur so schwer, andere anders denken und leben zu lassen? Und umgekehrt: Welche Chance und Inspiration läge im Austausch unterschiedlicher Sehweisen und Regelweisen? Ist es nicht eine Bereicherung meine eigenen Lebensregeln hinterfragen zu lassen, um einmal mehr zu wissen, warum ich was, wann, wie tue?

Musik III

Was für die einfachen Regeln des Zusammenlebens gilt, die immer wieder angefragt werden müssen, damit sie ihre Sinnhaftigkeit unter Beweis stellen, das gilt auch für die Regeln des Glaubens.

Derjenige, der meint, dass der Glaube sich darin erfüllt, Gesetze zu befolgen und damit allein an Vorschriften klebt, der hat den Sinn des Glaubens nicht verstanden. Der Glaube besteht darin, dass ich mich darauf verlasse: Gott ist größer und anders, als ich es mir vorstelle. Gott ist so anders, dass er sogar Tote zum Leben erweckt. Und diese Andersartigkeit Gottes gilt es auf ganz unterschiedliche Weise sichtbar zu machen. Es geht darum, Gottes Menschenfreundlichkeit Gestalt zu verleihen, immer wieder neu, immer wieder anders im freien und freienden Spiel mit den Menschen.

Deshalb geht es Jesus um den Geist, der die Menschen in ihrem Handeln lenkt, und nicht um Buchstabentreue. Ihm geht es darum, wie echt sich dieses Anliegen im eigenen Handeln zeigt. Gottes Menschenfreundlichkeit findet ihren Ausdruck im freien Umgang mit den Menschen und ihren Lebenswirklichkeiten.

Für mich hat diese Haltung auf eindrückliche Weise einmal der Theologe Jürgen Moltmann auf den Punkt gebracht:

Sprecherin:

„Freigelassene [aber] freuen sich zuerst an ihrer Freiheit und probieren spielend ihre neuen Möglichkeiten und Kräfte aus. Warum ist davon so wenig zu merken? Haben uns die alten Pharisäer und die neuen Zeloten mit ihrer konservativen und revolutionären Gesetzlichkeit Angst vor der Freiheit und Spontaneität gemacht? – Es wird kaum etwas Gutes und Gerechtes zustande kommen, wenn es nicht aus dem Überschwang der Freude und der Leidenschaft der Liebe geschaffen wird.“*

Was Moltmann hier beschreibt über die Freigelassenen führt mich zurück zum Bild von der Straßenlaterne: „Straßenlaternen sind dazu da, den Weg auszuleuchten, nicht um sich daran festzuhalten.“ Es geht um das Licht der Laterne, nicht um ihren Mast. Das Licht der Laterne eröffnet mir die Möglichkeit der Freiheit. Wenn ich mich nur an der Laterne festhalte, habe ich zwar festen Halt, werde aber nicht die Möglichkeiten der Freiheit ausschöpfen können, werde nicht weiter kommen. Mag auch die Gefahr bestehen, dass ich beim Loslassen der sicheren Gesetzes-laterne stolpere oder auch hinfalle. Gott will mir Licht auf dem Weg sein, nicht Mast, der mich ankettet. Und ich bin davon überzeugt: Gott hat mehr Freude an dem Menschen, der die Freiheit zu wagen weiß, als an dem, der aus Angst sich nicht bewegen will. Als Sicherheit habe ich nur das Licht – aber im Vertrauen darauf, dass es das Licht Gottes ist, tappe ich nicht im Dunkeln. Und: Wohin kann ich kommen, wenn ich dem Licht traue? Welche neuen Wege werden sich eröffnen?

Musik IV

Wie Jürgen Moltmann sagt: Ich bin Freigelassener, ein von Gott in die Freiheit Entlassener! Wenn ich diese Zusage ernst nehme, dann – davon bin ich überzeugt – dann hat das Auswirkungen, dann wird das für andere auch zu merken, zu hören und zu sehen sein. Denn:

Als Freigelassene Gottes traue ich mich, auch unbekannte Wege einzuschlagen, Neuland zu betreten, zum Beispiel in der Begegnung mit den Flüchtlingen in meiner Stadt.

Als Freigelassene Gottes traue ich mich, mit fremden Gruppen und Initiativen zu kooperieren, die nicht gesellschaftlich akzeptiert sind, aber gleiche Ziele wie ich verfolgen, die in meiner Gemeinde und Kommune zu einem guten Miteinander und mehr Verständnis füreinander führen.

Als Freigelassene Gottes nehme ich Gottes Einladung an, meine eigenen Möglichkeiten kreativ einzusetzen.

Weil Gott Freude hat an meiner Freiheit, kann ich Schritte tun, damit seine Menschenfreundlichkeit und Liebe unter den Menschen erfahrbar wird.

Musik V

Aus Recklinghausen grüßt Sie Pastoralreferentin Cäcilia Leenders-van Eickels

* Jürgen Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung, Versuche über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel, München, 1971, S. 7.

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