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Das Geistliche Wort | 13.09.2015 | 08:40 Uhr

Ein weites Herz für Gott und den Menschen

Verehrte Hörerinnen und Hörer, guten Morgen!

Ich bin Achim Hoppe und arbeite an den Michaelsschulen in Paderborn als Lehrer und Schulseelsorger. An Schultagen feiere ich in der Regel morgens früh mit Schülerinnen und Schülern Gottesdienst. Ich bin dafür sehr dankbar, denn welcher Priester hat schon die Gelegenheit, heutzutage mit einer lebendigen und vor allem so jungen Gemeinde Gottes Gegenwart zu feiern! Das durchschnittliche Alter bei den Gottesdiensten sonst in den Gemeinden – so meine Erfahrung – ist doch sehr hoch.

Die Michaelsschulen sind eine Gründung der Augustiner Chorfrauen, einem katholischen Frauenorden, und in Paderborn stadtbekannt. Wenn die eigene Tochter hier zur Schule ging, dann sagten die Leute früher auf Plattdeutsch: „Mine Dochter gaht up de Nonnen.“ – „Meine Tochter geht auf die Nonnen.“ Und jeder wusste Bescheid. Die Schwestern kamen vor über 350 Jahren nach Westfalen und haben – trotz schwerer Anfänge – durch die Jahrhunderte hindurch in unserer Stadt Akzente gesetzt. In diesem Jahr feiern wir mit der gesamten Schulgemeinde und dem Michaelskloster den 450. Geburtstag des Ordensgründers der Augustiner Chorfrauen. Er heißt Pierre Fourier und hat – zusammen mit der seligen Alix le Clerc – zu seiner Zeit die Pädagogik aus christlichem Glauben heraus grundlegend reformiert. Von ihm und seinem Auftrag, dem wir uns an St. Michael auch heute noch verpflichtet fühlen, möchte ich ihnen erzählen.

Musik I: Sebastian Freitag spielt Louis Nicolas Clermabault: Suite du deuxieme Ton: Plein Jeu 2,20min

Pierre Fourier ist ein Heiliger der Neuzeit. Er wurde in Mirecourt in Lothringen geboren, einer weltoffenen Tuchhändlerstadt mit prachtvollen Bauten. Dennoch war es eine Zeit, in der die Menschen unter endlosen und zerstörerischen Kriegen litten. Plünderungen, Raubzüge und Mord waren an der Tagesordnung. Schreckliche Religionskriege zwischen Protestanten und Katholiken spalteten die Christenheit.

Pierre Fouriers Leben war nicht nur durch solche Unruhen und Konflikte geprägt. Auch innerkirchlich ging es sehr angespannt zu. Im Kloster Chamousey, in das er als junger Mann eingetreten war, lehnten sich die Mitbrüder gegen ihren Abt auf. „Beschädigte Kelche“ und „modrige Altartücher“ zeugten von der Vernachlässigung des Gottesdienstes. Und auch der Armen und Bettler nahm man sich nicht an. Das Klosterleben hier wie in anderen Klöstern war damals heruntergekommen.

Pierre Fourier wollte das ändern und seinen eigenen Orden, die Augustiner Chorherren, reformieren und erneuern. Aber – wie kaum anderes zu erwarten – seine Mitbrüder waren davon nicht begeistert. Obwohl ihm eine glänzende Karriere bevorstand – immerhin war er Doktor der Theologie und der Jurisprudenz – verließ er sein Kloster, auch wenn er weiter im Orden blieb. Er entschied sich für einen anderen Weg. Er wurde Pfarrer von Mattaincourt, einer Pfarrei mit sehr schlechtem Ruf. Pierre Fourier wurde dort nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Es heißt, die Leute hätten dort ihren Unmut gegenüber dem Klerus im Allgemeinen und gegenüber Pierre Fourier im Besonderen geäußert: „Wozu brauchen wir einen Mönch als Pfarrer?“, fragten die einen. „Er wird unsere Frauen verführen“, sagten einige Ehemänner, die genau den schlechten Ruf von Pierres Kloster kannten.

Musik: II

Pierre Fourier beginnt unbekümmert seinen Dienst trotz des Widerstandes, der ihm aus der neuen Gemeinde entgegenschlägt. Doch schon nach kurzer Zeit merken die Leute: Dieser neue Pfarrer ist anders als die Mönche aus dem Kloster. Er feiert ehrfürchtig die heilige Messe. Er predigt engagiert, leidenschaftlich und dennoch verständlich. Und am meisten beeindruckt die Menschen: sein tägliches Leben ist von äußerster Bescheidenheit geprägt. Noch heute kann man sein Pfarrhaus besichtigen, in dem er auf allen Komfort verzichtete.

Die Leute damals erkannten schnell: „Dieser Pfarrer betet auch sehr viel.“ Ganze Nächte verbrachte Pierre im Gebet in der Kirche, so heißt es in seiner Biographie.

Damit aber nicht genug: Pierre Fourier lässt seinem Beten auch praktische Taten der Nächstenliebe folgen. Er gründet eine Darlehnskasse, um Kleinhändlern zu helfen, eine solide wirtschaftliche Existenz aufzubauen, vor allem wenn sie in Not geraten waren. Auch verfügt er, dass beim Begräbnis keine Unterschiede gemacht werden zwischen Armen und Reichen. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Pierre Fourier hatte ein weites Herz für Gott und den Menschen!

Mich persönlich fasziniert am meisten an ihm, dass er sich besonders um die Bildung der Kinder und Jugendlichen kümmerte. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich nun schon elf Jahre an einer Schule unterrichte, die sich auf ihn beruft und seine Pädagogik. In der Pfarrei von Pater Pierre Fourier, in Mattaincourt, war es um das Schulwesen schlecht bestellt – wie übrigens in den meisten Dörfern Lothringens Ende des 16. Jahrhunderts. Die Lehrer hatten oft keine richtige Ausbildung, die Schüler saßen zusammengepfercht in engen Klassenräumen und Mädchen war der Schulbesuch in aller Regel verwehrt. Sie hatten keine Chancen auf Bildung.

Pierre Fourier war klar, dass Entwicklung vor allem mit Bildung zusammenhängt, was bis heute unbestritten ist. Bildung sollte für alle Menschen zugänglich sein, unabhängig von Geschlecht und sozialem Status. So beabsichtigte er zunächst eine Schule für Mädchen zu gründen.

Da fügte es sich gut, dass eine junge Frau, Alix le Clerc, die zur Gemeinde gehörte, sich von Gott zu einem geistlichen Leben berufen fühlte. Weitere junge Frauen gesellten sich zu ihr, mit denen Pierre Fourier über sein dringendes Anliegen sprach. Mädchen sollten eine geregelte Schulbildung erhalten und Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen. So beschlossen Pierre Fourier und Alix le Clerc, eine religiöse Gemeinschaft zu gründen, deren Ziel es war, vornehmlich Mädchen eine schulische Bildung zu vermitteln. In den Schulen sollte kostenloser Unterricht für Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten stattfinden. Gesagt, getan: So entstanden in den Dörfern und Städten Lothringens kleine Schulen, in denen die Schwestern der neu gegründeten Ordensgemeinschaft der Augustiner Chorfrauen die Mädchen unterrichteten. Zunächst war der zuständige Bischof sehr skeptisch, zu revolutionär war die Idee: Er konnte sich damals nicht vorstellen, dass fromme Klosterfrauen, die doch eigentlich hinter dicken Mauern fernab der Welt leben und vor allem beten sollten, gleichzeitig auch aktiv sein konnten und unterrichten. Aber Pierre Fourier und die Ordensfrauen blieben hartnäckig. Insgesamt 30 Jahre kämpften sie um die offizielle kirchliche Anerkennung des neuen Ordens.

Musik III: Sebastian Freitag spielt Louis Nicolas Clerambault: Suite du deuxieme Ton: Duo 1,40min

Die Regeln, die Pierre Fourier seinen Ordensschwestern für den Unterricht gab, sind bis heute in der Pädagogik aktuell und wichtig. Die Lehrerinnen sollen jedes Kind in seiner Einmaligkeit erkennen und akzeptieren und sich auf seine individuellen Fähigkeiten einstellen: „Bedenkt, alle Kinder sind verschieden“, sagt Pierre Fourier einmal. Kein Kind soll überfordert oder unterfordert werden. Arme Kinder sollen auch eine Chance bekommen, eine gute Schulbildung zu erhalten. Damals wie heute entscheidet die soziale Herkunft eines Kindes darüber, ob es Abitur machen und studieren wird oder nicht. Das war damals und ist bis heute doch eine Skandal! Jedes Kind soll optimal gefördert werden – unabhängig vom Bildungsstand und Geldbeutel seiner Eltern!

Auch in Bezug auf die Ökumene war Pierre Fourier ein Vorreiter. Er verfügte damals bereits, dass auch evangelische Mädchen die neuen Schulen besuchen durften. Das war zurzeit schrecklicher Konfessionskriege zwischen Katholiken und Protestanten alles andere als normal. Er betonte, dass evangelische Schülerinnen wegen ihres Glaubens niemals beschimpft werden dürften.

Für die Michaelschulen, an denen ich tätig bin, bedeutet das heute: Der Taufschein spielt keine Rolle. Ja mehr noch: In meiner Schule sind auch Schülerinnen, die nicht christlichen Religionen angehören, zum Beispiel muslimische Mädchen. Sie alle bereichern das Schulleben! Aber es bleibt eine Herausforderung für heute, die Kinder aus verschiedenen Kulturen und Nationalitäten zu integrieren.

Übrigens: An den Michaelsschulen in Paderborn gibt es seit drei Jahren neben den Mädchen- eigene Jungenklassen. Pierre Fourier hatte schon eigene Jungenschulen gegründet. Die Frage getrenntgeschlechtlichen Unterrichts war zwar damals kein Thema, aber sie ist heute pädagogisch wieder hochaktuell, wo es fast nur noch gemischte Schultypen gibt. Seit der Einführung der Jungenklassen an den Michaelsschulen in Paderborn vor drei Jahren wird diskutiert, wie vor allem die Jungen so unterrichtet werden können, dass ihren Interessen und Fähigkeiten entsprochen wird.

Auch wenn die Michaelsschulen heute in der Trägerschaft des Erzbistums Paderborn liegen: Die Augustiner Chorfrauen im Michaelskloster gibt es immer noch. Ihr Lebens- und Glaubenszeugnis ist für die ganze Schulgemeinde wertvoll und wichtig. Einige Schwestern arbeiten als Lehrerin, andere sind in anderen Bereichen des Schulalltags zu finden, etwa in der Cafeteria, der Bücherei oder an der Schulpforte. Erst im letzten Jahr hat eine ehemalige Schülerin ihr Versprechen abgelegt, als Ordensfrau im Orden der Augustiner Chorfrauen zu leben. So lebt das Werk Pierre Fouriers weiter.

Dieser musste übrigens aufgrund der politischen Verhältnisse seine Pfarrei nach vier Jahrzehnten verlassen und ins Exil nach Burgund fliehen. Mit 75 Jahren starb der hochgerühmte Pädagoge und Humanist dort als schlichter Lateinlehrer im Jahre 1640. Später begrub man ihn in seiner Pfarrei Mattaincourt. 1897 wurde er offiziell heiliggesprochen. Und für mich ist seine Bedeutung bis heute erfahrbar, wenn ich das alltägliche Schulleben an den Michaelsschulen hier in Paderborn mitgestalte. Denn es gilt – wie damals für den heiligen Pierre Fourier – die Losung: Ein weites Herz für Gott und den Menschen zu haben.

Musik IV: Sebastian Freitag spielt Louis Nicolas Clerambault: Suite du deuxieme Ton: Basse de Cromorne 1,40min

Aus den Michaelsschulen in Paderborn verabschiedet sich Pastor Achim Hoppe. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag!

*Vgl. „Der gute Pater von Mattaincourt“. Der Heilige Pierre Fourier 1565-1640. Ordensinterne biographische Zusammenstellung, basierend auf: Tihon, Marie-Claire: Saint Pierre Fourier. Les éditions du Cerf, 1997, S. 3.

Copyright Vorschaubild: wikipedia

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