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Kirche in WDR 5 | 12.10.2015 | 06:55 Uhr
"Das Übel an der Wurzel packen"
Guten Morgen!
Tagelang plagten mich Schmerzen in der linken Gesichtshälfte. Ich konnte nicht sagen, woher der Schmerz genau kam. An der Oberfläche war jedenfalls nichts zu erkennen.
Ein Besuch beim Hals-Nasen-Ohren Arzt brachte keine Klärung.
Die Schmerzen kamen und gingen. Sie lagen offenbar in der Tiefe und waren nur schwer zu diagnostizieren. Erst mein Zahnarzt fand schließlich den Übeltäter.
Der Weisheitszahn links unten war akut entzündet bis auf die Wurzel. Es half alles nichts.
Eine Mehrfachbehandlung musste her – und das bis auf den Grund.
Zu Hause – mit dicker Backe, aber schmerzfrei, kam mir dann der Gedanke: Ja, es ist wohl so.
Erst wenn man den Dingen auf den Grund geht, kann das Übel wirklich beseitigt werden. Erst, wenn die Schmerzquelle entlarvt, der Auslöser gefunden ist, kann eine Behandlung möglich werden. Eine, die den Dingen auf den Grund geht. Die sozusagen in den Schmerz hineingeht. Damit Heilung am Ende möglich wird.
Doch das ist einfacher als gesagt und getan. Manchmal zeigt sich sogar erst im Zerbrechen, die verborgene Tiefe. Manchmal muss etwas zu Grunde gehen, um den Dingen auf den „Grund“, an die Wurzel zu kommen. Schmerz und Erkenntnis – sie liegen oft nah beieinander. Ein Gedanke, der unserem Leben sehr nahe kommt.
Ich denke an unser Land, in dem wir leben. Gerade geht es uns gut. Die Steuereinnahmen steigen. Dennoch müssen seit Jahren viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und in der Kirche empfindliche Einschnitte hinnehmen. Da zeigen sich die Wurzeln unseres Gemeinwesens:
Heißen sie „soziale Gerechtigkeit“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“...
Ich denke an die Millionen Flüchtlinge, die ihr Elternhaus, ihre Heimat verlassen.
Die wenigsten wollen weg, die allermeisten müssen es. Sie sind ihres Lebens nicht mehr sicher.
Werden bedroht und verfolgt. In der Fremde spüren und begreifen sie, wo ihre Wurzeln wirklich sind. Doch solange die Lebensverhältnisse in den Ländern, aus denen sie kommen, so bleiben – verstrickt in Krieg, Gewalt und Hass – werden sich die Grundbedingungen wohl kaum ändern. Nun heißt es erst einmal in der neuen Heimat wurzeln.
Ich denke an so manchen Sturm in meinem Leben. Da sind Träume zerplatzt, wurden Pläne zerstört, sind mir Menschen verloren gegangen. Erfahrungen, die mich auf den Grund, an meine Wurzeln gebracht haben; an die Frage, was hält und trägt mich eigentlich?
Einer, der das Übel an der Wurzel gepackt hat, der sich gekümmert und geheilt hat, ist Jesus von Nazareth. Manchmal war es nur ein Wort, eine Frage, eine Geste; sehen was dem anderen fehlt, erkennen, was die andere braucht. Jesus hatte die besondere Gabe, den Menschen nahe zu kommen, sie ernst zu nehmen und oft auch den Finger in die Wunde zu legen. Er berührte wie ein Arzt ganz wörtlich die Wunden der Kranken. Schenkte Wärme und Zärtlichkeit, wo andere sich abgewendet hatten. Und er forderte den Kranken auch etwas ab: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ – Da hilft kein Herumeiern. Da muss ich mich festlegen. Jesus scheute sich nicht, Männer und Frauen zu konfrontieren. Klar, einfühlsam und mit Respekt: „Ich verurteile dich nicht“… sagte er.
„Aber nun: Geh hin und mach es anders. Jetzt.“ Und die, die das taten, waren heil an Leib und Seele. Dem Leiden nachgehen – bis an die Wurzel. Wie mein Zahnarzt. Mit ruhiger Hand und sensiblem Gespür ist er dem Übel auf den Grund gegangen. Bis an die Wurzel. Er hat getan, was nötig war, um die Schmerzen zu beseitigen.
Ohne Beschwerden ging das beileibe nicht. Aber nur so ist mein Zahn wieder gesund geworden. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung, dass eine Wurzelbehandlung manchmal ganz heilsam sein kann, Ihre Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.