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Kirche in WDR 5 | 30.04.2016 | 06:55 Uhr
Das kleine Herz und die Ruhe
Eines Morgens wachte das kleine Herz auf und sagte: „Ich kann nicht mehr. Alle wollen meine Aufmerksamkeit, Wärme und Meinung. Ich brauch mal meine Ruhe!“ Deshalb stellte es Klingel und Telefon aus und wartete, dass die Ruhe kam. Die Ruhe wollte das kleine Herz besuchen, aber als sie bei ihm klingelte, blieben die Klingel still und die Tür verschlossen. Deshalb setzte sich die Ruhe auf die blaue Bank vor der Tür und wartete. Hinter der Tür lag das kleine Herz im Wohnzimmer auf der Couch und wartete und wurde immer unruhiger. Alle Sorgen und Enttäuschungen, alle Zweifel und der Liebeskummer kamen in ihm hoch. Da fiel plötzlich etwas dumpf auf den Fußboden. „Die Post“, dachte das kleine Herz und lief zur Tür. Beim Aufheben riss der große Briefumschlag und dem kleinen Herzen fiel eine Bibel zu Füßen. Es hob sie auf, glättete eine verknickte Seite und las: „Es ist also noch eine Ruhe für das Volk Gottes vorhanden.“ (Hebräer 4,9)
Das kleine Herz las hektisch weiter: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert (…) und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ (Hebräer 4,12)
„Genau so ein Wort Gottes muss ich finden“, dachte das kleine Herz. Riss die Tür auf, ließ die Ruhe verdutzt hinter sich auf der blauen Bank sitzen und machte sich auf den Weg, die Bibel unter dem Arm.
Auf dem Friedhof sah das kleine Herz Menschen an einem Grab stehen. Es trat näher und blickte auf die Schrift eines riesigen Grabsteins: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23,1)
Das kleine Herz wusste genau, was ihm fehlte. Doch je länger es auf die Worte auf dem Grabstein schaute, desto weniger war es sich sicher, dass das immer so bleiben würde. "Mir wird nichts mangeln", sagte es laut und lief weiter.
Im Supermarkt lagen jede Menge großer Wörter im Zeitungsregal. Über Kriege und Krisen. Fußball und Flüchtlinge. Wörter wie Waffen. Scharf, aber nicht kraftvoll oder lebendig. Dem kleinen Herz wurde plötzlich alles zu schwer, oder war es nur die dicke Bibel? Es blätterte hilflos darin, fand ganz hinten eine Sammlung von Stichwörtern von A-Z:
G wie Gastfreundlichkeit: Jesus spricht: "Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Matthäus 25, 35.45 )
Das kleine Herz war ratlos. "Was soll ich denn schon tun?“, murmelte es und stapfte wieder in seine Wohnung. Knallte die Bibel in die Ecke, schaltete Klingel und Telefon wieder ein. Kochte sich einen Kaffee, aber da rief schon Margarete von nebenan an: „In dem Haus an der Ecke, da sind jetzt Flüchtlinge eingezogen. Da kann man ja nicht mehr sicher durch die Straßen gehen!“ Das kleine Herz seufzte: „Bist du noch nie von einem Deutschen belästigt worden? Ich schon. Der eine ging sogar manchmal in die Kirche.“ Margarete legte auf. Das kleine Herz sprang auf, suchte in seinen Schränken zusammen, was man brauchte für einen Neuanfang. Schleppte die Sachen zum Haus an der Ecke. Ein junger Mann öffnete und strahlte vor Freude über die Geschenke. Das kleine Herz lächelte und lief zurück. Die Ruhe kam ihm entgegen und ging mit ihm in seine Wohnung. Das kleine Herz ging zum Kühlschrank und holte Vanilleeis heraus. „Der Kaffee ist kalt, willst du auch einen Eiskaffee?“ Die Ruhe nickte.
Möge auch Ihr Herz Ruhe finden, mitten in dieser Welt und durch Gottes Wort, wünscht Ihnen Pfarrerin Katrin Berger.