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Kirche in WDR 5 | 16.05.2016 | 06:55 Uhr
Halt und Verstehen finden – bei Menschen und bei Gott
Guten Morgen!
Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, spüre ich mehr und mehr: Oh je, du wirst nun wirklich älter. Ich sehe deutliche äußere Veränderungen gegenüber früher und auf manche davon werde ich in letzter Zeit auch immer häufiger angesprochen, vor allem auf die grauer werdenden Haare. Äußerlich verändern wir Menschen uns über die Jahre. Aber das ist ja noch nicht alles: Innerlich verändern wir uns auch. Und wahrscheinlich noch viel intensiver. Vielleicht ist es richtiger, von innerer Entwicklung zu sprechen. Äußere Veränderungen und innere Entwicklungen – sie gehören zum Leben dazu und deswegen machen sie auch vor niemandem halt. Das Äußere verändert sich ganz automatisch, sozusagen biologisch. Die innere Entwicklung geschieht durch die vielen Erfahrungen und Erlebnisse meines Lebens, die ich verarbeiten muss. Mir persönlich wird das in diesen Tagen besonders bewusst, denn ich bin jetzt genau zwanzig Jahre als katholischer Priester und Seelsorger tätig. Was ist da schon alles an Erlebnissen und Eindrücken zusammen gekommen, auf wie viele Lebenswege durfte ich für eine bestimmte Zeit mitgehen – und wieviel mag noch kommen? Und dann ist da auch die Welt und auch die Kirche heute eine ganz andere als vor zwanzig, vierzig oder sechzig Jahren. Auch das gilt zunächst mal äußerlich: Ja, es gab ein Leben ohne E-Mails und Handys, auch wenn ich es mir heute nicht mehr vorstellen kann. Die Welt meiner Kindheit und Jugend kann ich mittlerweile in nostalgischen Fernsehsendungen und auch schon in Museen und Ausstellungen treffen.
Aber auch etwas Anderes ist wohl wahr: Bei allem, was ständig anders wird, gibt es doch auch die zeitlosen Wünsche und Hoffnungen von uns Menschen. Halt und Verlässlichkeit, Liebe und Freundschaft, aufrechte Wegbegleiter und tiefe Erfahrungen – ich vermute, dass die meisten Menschen diese Dinge immer gesucht haben und immer suchen werden und ich kann das jedenfalls von mir selbst auch so sagen.
Aber für mich steht in diesem Zusammenhang der zeitlosen Wünsche und Hoffnungen des Menschen auch der Glaube an Gott. Denn auch hier geht es um Halt und Verlässlichkeit, um Wegbegleitung und tiefe Erfahrung. Glauben und menschliche Beziehungen haben nämlich viel miteinander gemeinsam. Mir wurde das vor vielen Jahren ganz deutlich durch ein Erlebnis. Ich wurde ins Krankenhaus gerufen, zu einer todkranken Frau. Als ich das Zimmer betrat, natürlich mit etwas klopfendem Herzen, weil man nie weiß, was einen konkret bei so einem Anruf erwartet, empfing mich diese Frau zusammen mit ihrem Mann. Die Frau kam gleich zur Sache und fragte: ,Herr Pastor, können Sie uns helfen, miteinander zu reden über unser Leben und dann mit uns beten?'
Heute, fünfzehn Jahre später, ist für mich diese Situation noch immer so lebendig und vor allem das, was dann in diesem Krankenzimmer geschah: Ich durfte eine Art Moderator sein für das Gespräch zwischen zwei liebenden Menschen, die voneinander Abschied nehmen mussten und sich noch einmal die wichtigsten Dinge sagen wollten. Am Ende haben wir dann gebetet, zunächst gemeinsam und dann die beiden füreinander. Und es war förmlich mitanzusehen, wie es allen im Zimmer – mich eingeschlossen – gut tat, dieses Gespräch mit seinen Erfahrungen vor Gott zu tragen.
Seit dieser Erfahrung bin ich mir sicher: Es gibt Momente, in denen Halt und Verlässlichkeit sowohl in menschlichen Beziehungen wie im Glauben an Gott ineinander greifen. Und auf diesen Halt verlasse ich mich, gerade dann, wenn ich mich äußerlich verändere und innerlich weiter entwickle.
Aus Paderborn grüßt Sie Ihr Domvikar Michael Bredeck.
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