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Das Geistliche Wort | 31.07.2016 | 08:35 Uhr

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Nicht ohne meinen Hirten

Autor: Donnerstagmorgen. Gerade will ich aus dem Haus gehen. Zwei Hausbesuche stehen an. Da klingelt das Telefon. Ein junger Arzt von der Intensivstation ruft an, fragt, ob ich schnell kommen könne. „Frau Schmidt liegt im Sterben, es wird nicht mehr lange dauern. Die Kinder sind alle hier.“ Ich kenne Frau Schmidt und ihre Familie schon viele Jahre. Sie hatte immer so ein feines Lächeln im Gesicht. Nun steh´n wir zu viert am Sterbebett. Ich beuge mich zu der Sterbenden hinab und spreche ein einfaches Gebet. Gott möge sie jetzt stärken. Wir danken ihm, dass er nun auf sie wartet. Dann der Psalm: „Der Herr ist mein Hirte...“ Eine halbe Stunde später geht Frau Schmidt im Frieden heim. Beim Abschied sagt der junge Arzt: „Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Es ist gut, wenn die Angehörigen Ihren Pastor kennen.“

Szenenwechsel. Zehn Stunden später. Gerade bin ich von einem Taufgespräch zurück. In der Familie bin ich schon einige Male als Pastor tätig gewesen. Hochzeit, Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen. Wir sind uns sympathisch, auch wenn sich die Kontakte auf die Ereignisse in der Familie beschränken. Nun wieder zu Hause zurück, ziehe ich mir gerade die Schuhe aus, als wieder das Telefon läutet:

Ein Frauenstimme: „Gut, dass Sie zu Hause sind. Ich bin ratlos. Ich arbeite mit Flüchtlingen. Heute betreue ich den ganzen Tag schon zwei junge Frauen. Die müssen unbedingt heute Nacht untergebracht werden. In ihrer WG werden sie bedroht. Sie können dort nicht bleiben. Sie kommen aus dem Irak. Die Stadt wäre zuständig, aber da habe ich heute niemand erreicht, der zuständig wäre, und jetzt ist keiner mehr da. Ich dachte, ein Pastor kennt doch viele Leute. Vielleicht wissen Sie Rat?“ Sie macht es wirklich dringend. Ich bitte um zehn Minuten Zeit. Ich muss nachdenken und nachhören. Zwei Anrufe genügen und die beiden Frauen können in der Nacht sicher untergebracht werden. Als ich mich bei der Frau wieder melde, sagt sie: „Wie gut, dass es Euch Pastoren gibt, ich hätte nicht mehr weiter gewusst.“

Können Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, das auch so sagen? Wüssten Sie, an wen Sie sich wenden könnten. Kennen Sie Ihre Pastorin oder Ihren Pastor?

Manche erinnern sich an den Pastor oder Pfarrer aus der Konfirmandenzeit oder den, der sie getraut hat. Anderen fällt überhaupt kein Name ein. Sie haben den Pastor aus der Konfirmanden-Zeit vergessen und waren seitdem nie wieder in einer Kirche. Wenn Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, in Ihrer Kirchengemeinde mitarbeiten oder ein Kirchgänger sind, kennen Sie Ihre Pastorin oder Ihren Pastor. Manches, was sie tun und sagen, gefällt Ihnen, anderes nicht.

Vielleicht haben Sie den Kontakt auch nur bei ganz wenigen Begegnungen gehabt. Beim seelsorglichen Gespräch im Rahmen einer Beerdigung oder nach einem schweren Schicksalsschlag. Und vielleicht war das hilfreich für Sie. Ein anderes Mal war es eine Taufe oder eine Hochzeit, die die Pfarrerin oder der Pfarrer gut und überzeugend gestaltet haben.

Interessant ist das: Seit vielen Jahren zeigen alle Umfragen, die die Evangelische Kirche durchführen lässt, das gleiche Bild: Ob die Evangelische Kirche überhaupt im Bewusstsein der Menschen noch eine Rolle spielt, hängt entscheidend davon ab, ob sie den Pastor oder die Pastorin in ihrer Nähe kennen.

Musik 1: The Martin Luther Suite: A Jazz Reformation CD 2, Track 6, Katharina von Bora Komp/Arr: Lucas M. Schmid, NDR Big Band Hamburg, LC-Nummer: 11515

Autor: Es ist 35 Jahre her. Da wurde ich von meiner Kirche feierlich als Pfarrer eingesetzt. Das nennt man Ordination. Ich habe das immer verstanden als ein gegenseitiges Treueversprechen. Fast so etwas wie ein Eheversprechen. Meine Aufgabe als Pastor habe ich so verstanden: fröhlich und überzeugend für den Glauben an Jesus Christus werben, Gottes Gebote im Alltag der Welt zur Sprache bringen, den Gemeindegliedern bei den freudigen und traurigen Ereignissen zur Seite stehen. Segnen und trösten und vieles andere mehr. Bis heute gibt es für mich keine schönere Aufgabe. Ich kann mir keinen Beruf vorstellen, in dem ich mehr Erfüllung gefunden hätte.

Musik 2: The Martin Luther Suite: A Jazz Reformation CD 1, Track 4, Nu Freud: Euch Liebe Christen Gmein; Komp: Martin Luther/ Arr: Lucas M. Schmid, NDR Big Band Hamburg, LC-Nummer: 11515

Autor: Fast vier Jahrzehnte bin ich nun schon Pfarrer und „meine“ evangelische Kirche hat sich seitdem sehr verändert. Manchmal habe ich Zweifel, ob ich noch, wie früher „meine Kirche“ sagen kann. Bei meiner Kirche habe ich nämlich immer eine sehr fröhliche, zuversichtliche und mutige Gemeinschaft von Christinnen und Christen vor Augen, die das Leben in ihrer Stadt oder in ihrem Dorf mitprägen. Manche von ihnen sind der Gemeinde mehr, andere weniger verbunden – auf jeden Fall gehört die Kirche vor Ort im Bewusstsein aller Einwohner dazu.

Meine Kirche - wie ich sie verstehe - weiß um die kleinen und großen Probleme der Menschen in der Gemeinde. Sie kennt aber auch die Momente der Freude, wenn ein Kind geboren wird oder zwei Menschen heiraten.

Meine Kirche ist die Gemeinde Jesu Christi an dem Ort, an dem die Menschen miteinander leben. Sie lassen sich im Glauben stärken und lehren, wie ein Leben nach christlichem Glauben gelingen kann. Und sie lassen sich ausbilden für ihre ehrenamtlichen Aufgaben.

Meine Kirche ist auch eine sorglose Kirche, die darauf vertraut, Gott gibt, was sie für ihre Arbeit nötig hat, Menschen und Geld. Meine Kirche ist überschaubar. Meine Kirche hat einen Pastor oder eine Pastorin, den oder die man kennt.

Meine Kirche ist aber ganz anders geworden.

Der Kirche kommen die Pastorinnen und Pastoren abhanden.

Es gibt immer mehr Gemeinden, die sich einen Hirten teilen müssen, bald wird das wohl der Normalzustand sein. Die Kirche sorgt sich um ihr Geld. Sie fragt sich: Wie soll ich die kommenden zwanzig oder dreißig Jahren überstehen? Gibt es mich dann überhaupt noch? Und so schaut sie sorgenvoll auf die Statistiken und rechnet sich aus, wie viel oder eher wie wenig Geld sie bald haben wird.

Das Angebot an zukünftigen Pastorinnen und Pastoren wird knapp, da der Nachwuchs fehlt. Es könnte Verteilungskämpfe zwischen den Gemeinden geben. Vielleicht wird auch Kopfgeld gezahlt? - Wenn sich nichts ändert.

Übrigens ist das kein neuzeitliches Phänomen. In einer seiner herzhaften Tischreden sagte Martin Luther schon vor fast 500 Jahren der damaligen Kirche voraus:

Sprecher:

„In Kürze wird es an Pfarrern und Predigern so sehr mangeln, dass man die jetzigen aus der Erde wieder herauskratzen würde, wenn man sie haben könnte. Denn Ärzte und Juristen bleiben genug, die Welt zu regieren; man muss aber zweihundert Pfarrer haben, wo man an einem Juristen genug hat. Wenn zu Erfurt einer ist, ist's genug. Aber mit den Predigern geht’s nicht so zu; es muss ein jeglich Dorf und Flecken einen eigenen Pfarrer haben. Mein gnädiger Herr (der Kurfürst zu Sachsen) hat an zwanzig Juristen genug, dagegen muss er wohl an die 1800 Pfarrer haben. Wir müssen noch mit der Zeit aus Juristen und Ärzten Pfarrer machen, das werdet ihr sehen.“ (Luther Deutsch Band 9, Tischreden, hg. von Kurt Aland 1960, S. 141f)

Autor: Genügend Geld zu haben war schon damals eine große Sorge. Luthers Kurfürst vertraute da wohl mehr auf juristische Finessen, als auf theologische Weisheit. Heute könnten uns die Umfragen einen wichtigen Fingerzeig geben, was in Zukunft zu tun ist. Da heißt es einmal: Entscheidend dafür, wie und ob Menschen die Kirche wahrnehmen, ist die Präsenz ihrer Hirten vor Ort. Und die letzte große Umfrage über den Zustand der Kirche beschreibt: Die Bereitschaft in der Kirche zu bleiben ist umso größer, je intensiver der Kontakt zu dem Pastor oder der Pastorin ist, zu deren Gemeinde man gehört. (1)

Könnte es sein, dass die Sorgen der Kirche um die finanziellen Möglichkeiten kleiner werden, wenn sie sich bewusst macht: Die Gemeinde braucht neben allen anderen Haupt- und Ehrenamtlichen einen Hirten, eine Hirtin. Ihren Pastor, ihre Pastorin. Jemanden, der mit Freude Gottes Wort verkündigt und die Menschen mit Gottes Segensgaben stärkt – im Abendmahl und mit Gesten, Gottesdiensten und Seelsorge. Und das alles nicht im Vertrauen auf die eigene Kraft, sondern im Vertrauen darauf, dass Christus selbst diese schenkt und alle stärkt, die sich in der Gemeinde versammeln. .

Musik 3: The Martin Luther Suite: A Jazz Reformation CD 2, Track 8, Johann Hussen Lied Jesus Christus uns Heiland Komp: Johann Hus, Luther od. Walther/ Arr: Lucas M. Schmid, NDR Big Band Hamburg, LC-Nummer: 11515

Autor: Was hat mir bisher geholfen, mich als Pastor immer wieder neu auf die aktuellen Situationen einzustellen? Es ist ein Text aus dem Heidelberger Katechismus, der wichtigsten Bekenntnisschrift der reformierten Kirche, zu der ich gehöre. An einer Stelle geht es um die Frage, was denn Kirche ist:

Sprecher: Ich glaube, dass der Sohn Gottes aus dem ganzen Menschengeschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammelt, schützt und erhält und dass auch ich ein lebendiges Glied dieser Gemeinde bin und ewig bleiben werde. (Frage 54 Heidelberger Katechismus)

Autor: Die Gemeinde der Christen wird es also bis ans Ende der Welt geben. Und in ihr braucht es Menschen, denen das Hirtenamt, also die Aufgabe des Pastors oder der Pastorin, anvertraut ist. Wie ein Hirte eigentlich auch immer von Tag zu Tag von Weide zu Weide zieht, ist auch ein Pastor mit seiner Gemeinde immer von Tag zu Tag unterwegs. Was morgen sein wird, weiß er nicht, aber eins weiß er, er ist dabei nie alleine unterwegs, er schaut nicht in die Statistik hinein und auch nicht auf Bilanzen, ob die Zahlen schwarz sind, wie seit vielen Jahren, oder ob sie tatsächlich einmal rot werden, wie immer prophezeit wird. Nein, er vertraut der Zusage, dass Jesus Christus, der sich seine Gemeinde erwählt hat, diese auch versammelt, schützt und erhält.

Jesus hat den ersten Hirten der Gemeinde, seinen Jüngerinnen und Jüngern, schon vor 2000 Jahren in der Bergpredigt gesagt: „Macht euch also keine Sorgen! Fragt euch nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?“ (Matthäus 6,21, BasisBibel) Das war nicht nur für ihr eigenes Leben gemeint. Auch eine Kirchengemeinde fragt doch, wie sie leben und überleben soll. Für sie gilt im Grunde ganz besonders, was Jesus danach sagt: „Um all diese Dinge dreht sich das Leben der Heiden. Euer himmlischer Vater weiß doch, dass ihr all das braucht. Strebt vor allem nach seinem Reich und nach seinem Willen – dann wird Gott euch das alles schenken.“ (Matthäus 6,32-33, BasisBibel)

Diese Haltung darf eine Gemeinde von ihren Hirten erwarten und sie darf erwarten, dass ihre Pastorinnen und Pastoren sie daran erinnern – zum Wohl aller. Darum muss es auch genügend Pastoren und Pastorinnen geben, die man kennt, die einen kennen und die man rufen kann. Natürlich können die Pastoren das nicht allein: Sie arbeiten zusammen mit Diakonen und Jugendmitarbeiterinnen, vielen Haupt- und Ehrenamtlichen. Sie alle prägen das Bild einer Gemeinde in der Öffentlichkeit ganz nachhaltig. Doch nach wie vor gehört die Verkündigung des Evangeliums durch umfassend ausgebildete Theologen in jede einzelne Gemeinde hinein. Da darf eine Gemeinde sich nicht wegducken, sie muss nach solchen Hirten rufen und sie sollte es mit Nachdruck tun, meint Ihr Pastor Rüdiger Schnurr aus Hilchenbach.

Musik 4: The Martin Luther Suite: A Jazz Reformation CD 1, Track 8, Patrem

Komp: Nikolaus von Kosel/ Arr.Lucas M. Schmid,

NDR Big Band Hamburg, LC-Nummer: 11515

(1) Vgl. Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, 5.EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Abschnitt 14: Kirchliches Personal „Wie prägen Hauptamtliche das individuelle Verhältnis zur Kirche?“

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