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Das Geistliche Wort | 15.01.2017 | 08:35 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Gott hat zwei Adressen

Guten Morgen!

„Himmelpfort“ – Kennen Sie diesen Ort? Es ist ein 500-Seelen-Dorf im Norden Brandenburgs. Dort gibt es ein eigenes Weihnachtspostamt, das vor Weihnachten jährlich mehr als dreihunderttausend Briefe von Kindern aus aller Welt bekommt. Der Ort mit diesem verheißungsvollen Namen ist zu der Adresse für Kinderwünsche an den Weihnachtsmann geworden. Nicht nur die neue Puppe oder eine Eisenbahn, ein Fahrrad oder Handy werden auf einem Wunschzettel erbeten, auch, dass man sich mit den Geschwistern besser verträgt, dass die Oma wieder gesund wird, dass die nächste Mathearbeit besser wird. Manchmal ist auch ein Dank für die Gaben des vergangenen Jahres dabei. Erwachsene mögen darüber schmunzeln. Nur sind denn die Bitten und Sehnsüchte der Erwachsenen wesentlich anders – wenn sie überhaupt noch etwas wünschen? Wohin richten Sie also Ihre Bitten und Wünsche? Wohin – auch Ihren Dank? Etwa auch nach Himmelpfort? – Oder ist das nicht ein vielversprechender Name für eine Adresse, die bloß eine Richtung vorgibt: „oben“? Also für etwas oder jemanden außerhalb unserer sichtbaren Welt, der einfach die Möglichkeit hat, unsere Wünsche aufzunehmen und zu beantworten? Also für Gott? Zu schön, um wahr zu sein, zu einfach und zu naiv.

[In Himmelpfort ist es jedenfalls so, dass die Briefe mit den Wünschen beantwortet werden. Dafür ist die Absenderadresse auf dem Briefumschlag sehr wichtig. Sonst kann der Antwortbrief ja nicht ankommen.]

Jenseits dieser kindlichen Vorstellungen: Kann ich Gott mit meinen Wünschen und Bitten erreichen? Und will ich das überhaupt? Und kann Gott mich umgekehrt erreichen mit seiner Antwort? Wie ist das mit seiner Adresse und wie ist das mit meiner Adresse? Und wie ist das überhaupt mit dem Austausch zwischen ihm und mir?

Musik I

Wie erreiche ich Gott und wie erreicht er mich? Wie ist das mit seiner Adresse und meiner Adresse? In der Bibel beim Propheten Jesaja gibt es offenbar eine Vorstellung davon, wie Gott einen Menschen konkret anspricht. Das geht nur, weil er sich an diesen Menschen wendet – seine Adresse kennt. Aus dem Mund des Angesprochenen klingt das so (Jes 49,3):

Sprecherin:

Gott sagte zu mir: Mein Knecht bist du,

… an dir will ich meine Herrlichkeit zeigen!

Gott spricht den Knecht an. Und er gibt sich, d.h. seine Adresse zu erkennen: „Ich zeige meine Herrlichkeit.“ Gottes Herrlichkeit, Gottes Ehre, Gott, der Hohe. Das ist wirklich die eine Adresse Gottes. Sie weist nach oben, in die Transzendenz.

Denn zur Zeit des Propheten Jesaja war der konkrete Ort der Gegenwart Gottes in der Welt zerstört. Die Stadt Jerusalem und der Tempel lagen in Schutt und Asche. Die Menschen zudem verschleppt, deportiert nach Babylon, der König umgebracht. Eine Religion ohne Tempel, ohne Priester, ohne politischen Halt, ins Nichts gestellt ohne weltliche Adresse. Eine politische Katastrophe, die auch den Glauben in schwerste Bedrängnis bringt.

Schmerzlich muss Israel jetzt lernen, dass Macht und Gewalt überhaupt nicht die Mittel sind, durch die Gott in der Welt gegenwärtig sein will. Wie in einem anstrengenden Geburtsprozess wird in dieser Katastrophe die Hoffnung auf ein neues, gewaltloses, ideales Königtum geboren. Die Herrlichkeit Gottes – sie wird jetzt transzendent, himmlisch verortet. Dort ist die eine Adresse Gottes.

Allerdings, Gott wäre nicht Gott, wenn er nur weltabgewandt da wäre. Das neue, ideale Königtum soll sich ganz als Instrument einer Herrschaft Gottes erweisen, die Frieden und Heil für alle Menschen will und auf Erden zu finden ist. Im Verlauf dieser sich immer klarer abzeichnenden Hoffnung sprechen Jesaja und andere Propheten von einer künftigen Gestalt, durch die Gott ein Reich der wahren Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und des Friedens heraufführen wird. Diese Gestalt ist der Gottesknecht. In ihm zeigt Gott auf unerwartete Weise, wie er in dieser Welt da sein will und wie seine zweite Adresse aussieht.

Musik II

Diesem Knecht sind beim Propheten Jesaja vier Gedichte gewidmet. Eines beginnt wieder mit einem Zitat der Stimme Gottes. Da wird der Knecht angekündigt. Er kommt nicht von oben, sondern von ganz unten: ein Befreier ohne Glanz, ohne alle Anzeichen von Macht, ohne Propagandalärm. Gott hat ihn für sein Herzensanliegen ausgeguckt: bei den Menschen zu sein – unaufgeregt, standhaft, ohne Gewalt und dennoch wirksam, zerbrechlich und doch mächtig.

Von ihm heißt es, dass er unentwegt seine Botschaft hinausträgt und doch kein Echo für seinen Auftrag findet (Jes 50,2): Er wird geschlagen, bespuckt, verachtet; niemand will mehr mit ihm zu tun haben. Er wird zu Unrecht verurteilt, wird ermordet, beiseite geschafft wie ein lästiges Etwas.

Doch in allem hält er an seinem Auftrag fest, die wahre, die neue Gerechtigkeit zu Israel und zu den Völkern zu bringen. Gott kommt im Gottesknecht wieder in die Welt, und der Knecht gibt ihm sein Gesicht. In ihm kann man sehen, wie Gott zu den Armen geht, wie er zu ihnen steht. Und genau bei ihnen wird die andere Adresse Gottes offenkundig: Bei den Kleinen, den Angeschlagenen, den Gefährdeten, bei denen, die man nicht mehr anschauen mag. Hier zeigt Gott seine zweite Wohnadresse: tief unten.

Gott zeigt jedoch noch mehr. Gott zeigt seinem Knecht und mit ihm seinem Volk, was er vorhat (Jes 49,8f):

Sprecherin:

„Ich behüte dich und mache dich zum Bund mit dem Volk,

um aufzurichten das Land,

um in Erbbesitz zu geben verödete Erblandteile.

Um den Gefangenen zu sagen: Zieht aus!,

denen in der Finsternis: Zeigt euch!“

Gott weiß genau, wo die Menschen unter Unrecht ächzen, wo überall und ganz unausrottbar Unrecht steckt. Wieviel Leben verödet, weil es nicht beachtet wird! Wieviel Leben in Armut und Gewalt gebunden und nicht frei ist! Wieviel im Finstern, im Argen liegt!

Gerade weil Gott um die Situation des Menschen weiß, ist es bewegend, dass der Knecht mit der Rückendeckung Gottes unumstößlich an der Seite derer ist, die nicht zum Zuge kommen.

Musik III

Gott steht an der Seite der Menschen, die ohnmächtig und verfolgt sind, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Aus der Bibel ist in die Menschenrechtscharta genau das eingegangen: Menschliches Leben ist zu schützen! Die Menschheit hat eine lange Entwicklung bis zu dieser Erkenntnis gebraucht: Jedem einzelnen, ob Kind oder Erwachsenem, ob Neugeborenem oder einem Menschen, der schon den Verstand verloren hat, kommen ursprüngliche und unverlierbare Rechte zu. Es ist nicht eine Gnade, dass wir schwaches Leben stützen, es ist das Recht der Schwachen, vor dem jeder Anspruch zurücktreten muss. Mehr noch: In dem Projekt Gottes mit dem Knecht geht es darum, dass der Mensch aufgerichtet wird, in seiner Würde von aller Unterdrückung und Beschädigung geheilt wird. Darum wird der Knecht – wie es der Prophet Jesaja weiter beschreibt – zum „Licht der Nationen“ (Jes 49,6):

Sprecherin:

„Gott sagte zu mir: Es ist zu wenig, dass du mir ein Knecht bist,

um die Stämme Jakobs aufzurichten

und die Behüteten Israels zurückzubringen.

Ich mache dich zum Licht der Nationen,

damit meine Rettung wirksam werde bis ans Ende der Erde.“

Das klingt nach ferner Zukunft. Es kann aber schon hier Wirklichkeit werden, wenn Gott an der Seite der Notleidenden gesehen wird. So werden die beiden Adressen Gottes, die oben im Himmel und die unten bei den Armen und Geschundenen im selben Buch des Propheten Jesaja auch zusammengebracht (Jes 57,15):

Sprecherin:

Ja, so spricht der Hohe und Erhabene,

er wohnt in Ewigkeit, sein Name ist heilig:

Ich wohne in der Höhe und als Heiliger

und bei den Zerschlagenen und Gedemütigten im Geist,

um aufleben zu lassen die Gedemütigten

und aufleben zu lassen das Herz der Zerschlagenen.

So ist Gott: Seine Göttlichkeit weist in die Höhe. Wir können sie nicht begreifen. Sie weist genauso in die Tiefe: Er ist in seinem Knecht bei allem Verletzten, bei allem Deformierten, Beschädigten und bis ins Lebensmark Gekränkten. Und genau da können wir ihn sehen – auch heute noch.

Bemerkenswert: Damals wie heute trifft der Knecht auf Ablehnung. Er wird gedemütigt, hängengelassen, geprügelt, angespuckt. Der Knecht, ein Befreier ohne Glanz leidet noch immer. In einer Gestalt kommt das am klarsten zum Vorschein. Davon spricht Johannes der Täufer, als er Jesus sieht. Von ihm sagt er (Joh 1,29):

Sprecherin:

„Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“

Dieses Lamm, Jesus, setzt sich selbst aufs Spiel, um die Allgewalt des Bösen zu durchbrechen. Das Böse ist die Verschlossenheit gegenüber Gott, das „sich selbst zum Maßstab von allem macht“. Jesus ist zu den Menschen gegangen und hat ihnen einen anderen Maßstab gegeben. Er hat sie angenommen und ihnen gezeigt, welche Würde sie haben ohne Wenn und Aber. Auf diese Weise hat er die Situation der Menschen, ja der gesamten Menschheit verändert.

Musik IV

Gott hat zwei Adressen, eine himmlische und eine irdische, eine in der Herrlichkeit und eine bei den Notleidenden. Bei Gott sind sie eins. Und in Jesus als dem leidenden Gottesknecht bekommen sie eine konkrete Realität: Er ist bei den Leidenden und er wird bei Gott verherrlicht. Und als der verherrlichte Gottesknecht bleibt er zugleich bei den Zerschlagenen, damit sie aufleben. Das ist das erklärte Ziel von Gottes Handeln: „Menschen aufleben zu lassen …“ wie es Jesaja formuliert hat.

Dieses Ziel ist immer noch nicht erreicht. Menschen liegen immer noch danieder in ihrer Not. Insgesamt ist es auf der Welt noch nicht so, wie es sein soll. Deshalb braucht es den Einspruch gegen den tatsächlichen Zustand der Welt, in der so vielen Menschen Gerechtigkeit, Würde, Freude verweigert wird. So soll, so darf es nicht bleiben. Jesu Auftreten in der Welt als der Gottesknecht steht für diesen Aufruf zur Veränderung, zur Wandlung der Welt.

Die Geschichte bleibt nicht beim Gottesknecht und auch nicht bei Jesus stehen. Der Aufruf zur Veränderung erklingt bis heute. So wie Gott den Knecht und Jesus angesprochen hat, spricht er die an, die bereit sind zum Hören. Wer auf Gottes Anruf hört, der achtet auf den Menschen, der erkennt den Menschen, der respektiert den Menschen wegen seiner grundsätzlichen Würde. Ja, wer von Gott lernt, erkennt den ermüdeten, gedemütigten und verletzten Menschen und hilft ihm aufzuleben. Da wird dann auch etwas von der Herrlichkeit Gottes im auflebenden Menschen erfahrbar. Da zeigt sich immer neu, wie die beiden Adressen Gottes zusammengehören – um der Menschen willen.

Musik V

Die beiden Adressen Gottes lassen sich finden, seine himmlische und seine irdische, die in der Herrlichkeit und die bei den Notleidenden. In der christlichen Tradition gibt es einen Hinweis dazu, der besagt: Gotteserkenntnis und Menschenerkenntnis fallen zusammen in der Selbsterkenntnis. Einer, der darum weiß, ist der Mönch Bernhard von Clairvaux aus dem 12. Jahrhundert (1090-1153). Er schreibt an einen seiner Mönche:

Sprecherin:

„Fange damit an, dass Du über Dich selbst nachdenkst, damit Du nicht Dir selber gleichgültig wirst und Dich vergeblich anderem zuwendest.

Was nützt es Dir, wenn du die ganze Welt gewinnst und einzig Dich verlierst? …

Wieviel Dir fehlen würde?

Meiner Ansicht nach: Alles.

Du könntest alle Geheimnisse kennen, Du könntest die Weiten der Erde kennen, die Höhen des Himmels, die Tiefen des Meeres: Wenn Du Dich selbst nicht kennen würdest, glichest Du jemandem, der ein Gebäude ohne Fundament aufrichtet; der eine Ruine, kein Bauwerk aufstellt. Alles, was Du außerhalb Deiner selbst aufbaust, wird wie ein Haufen Staub sein, der jedem Wind preisgegeben ist. Keiner ist also weise, der nicht über sich selbst Bescheid weiß. …“

Über mich selbst nachzudenken und dabei nicht nur mich selbst im Blick zu haben, kann mich zur Ehrfurcht vor Gott und zur Ehrfurcht vor dem Menschen führen und mir so die beiden Adressen Gottes zeigen. Ich kann sie finden, wenn ich auf Gottes Wort und auf Menschen achte – vielleicht heute auf einen ganz bestimmten Menschen in meiner Nähe.

Aus Münster grüßt Sie Ihr Paul Deselaers.

*Nach: Bernhard von Clairvaux, Was ein Papst erwägen muss [Christliche Meister 26], Johannes Verlag Einsiedeln 1985, 42.

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