Scheinriese

Herr Turtur hat mich als Kind immer sehr beeindruckt.

Herr Turtur ist nämlich ein "Scheinriese".

Von weitem sieht er furchterregend groß aus,

je näher man ihm aber kommt, um so kleiner wird er

und wenn man schließlich vor ihm steht,

ist er genau so groß wie man selbst.

So etwas gibt es doch gar nicht! - meinen Sie?

Doch in der Augsburger Puppenkiste!

Da ist er eine Marionette und war früher im Fernsehen zu sehen.

Außerdem gibt es sie auch im wirklichen Leben, die Scheinriesen:

Menschen, die von weitem übermenschlich groß, schön, klug oder mächtig wirken: umjubelte Stars, mächtige Politiker, Wirtschaftsbosse oder religiöse Würdenträger.

Von fern werden sie bewundert, gefürchtet, manchmal sogar gehasst,

doch je näher man ihnen kommt und sie kennenlernt um so kleiner werden sie.

Manchmal sind sie wie Herr Turtur sogar ziemlich einsame Zeitgenossen,

denn vor Ehrfurcht oder Angst traut sich niemand in ihre Nähe.

Heute in einer Woche ist Karfreitag, da schauen die Christen

auf den Mann am Kreuz: von den Mächtigen seiner Zeit dem Volkszorn geopfert,

von einem Freund verraten von den anderen verlassen, von Passanten verhöhnt:

Der Sohn Gottes soll er sein, doch er ist kein hohes Tier, sondern für viele

eher ein armes Schwein. Andere nennen ihn das Lamm Gottes.

Er ist das genaue Gegenteil von einem Scheinriesen: doch nur scheinbar

ist er der Verlierer, das Opfer, der Gescheiterte.

Leid und Tod kennt er zwar nicht nicht nur zum Schein, sondern ganz wirklich,

doch die waren für ihn nur das Vorletzte.

Darum kann dieser Mann am Kreuz auch für alle,

die scheinbar verloren haben, der große gute Hirte werden.

Er kennt sich nämlich aus - auch ganz unten -

und er führt am Ende zum Leben nach ganz oben.

Es grüßt Sie aus Köln: Pfr. Jürgen Martin.