Von sich selbst verlassen

Guten Morgen!

„Ich bin von Gott verlassen“, sagt die junge Frau mit monotoner Stimme. Mit blassem Gesicht sitzt sie in sich gesunken da. Kraftlos und lustlos. In groben Zügen erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Ich höre, wie sie sich schon von ihren Eltern nicht angesehen, nicht wahrgenommen fühlte. Nie wurde sie gefragt: Was denkst du dazu? Oder: Wie geht es dir? Wie hast du dich gefühlt?

Nie hatte sie sich zuhause wirklich aussprechen können. Dabei waren sie eine angesehene Familie. Äußerlich alles in Ordnung.

Aber drinnen? Hinter der äußeren Ordnung? Emotionale Sprachlosigkeit. Ein seelisch verhungerndes Kind. Verwöhnt, doch nicht wirklich geliebt.

Dann endlich raus aus der emotionalen Wüste! Liebesaffären: über einander herfallen, sich aneinander berauschen. Fantastisch!

Dann allmählich dämmert ihr: „Es ist eigentlich wie früher als Kind: Beziehungen - ohne echte Beziehung. Nähe – ohne echte Nähe. Eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Bin ich deswegen regelrecht süchtig danach geworden?“

Beziehungslos nähesüchtig – das kannte sie von Kind an. Darin kannte sie sich aus. Darin fühlte sie sich sicher. Jetzt ist sie am Ende ihrer Kraft. Wirkt wie ein Wrack. „Ich bin von Gott verlassen.“

Hoppla, denke ich, der Sprung kommt aber schnell! Lieber langsam und liebevoll hinschauen…

„Sie fühlen sich von Gott verlassen. Und wie fühlen Sie sich selbst?“

Langes Schweigen…

„Ich glaube… ich habe mich verlassen… Ich selbst habe mich verlassen!“

Und langsam lernt die junge Frau – unterstützt durch Leibarbeit, durch ein Beten mit Leib und Seele – sich selbst zu fühlen und zu achten, zu entwickeln und zu entfalten.

Und wenn ihr das Selbstmitgefühl wieder abhanden kommt, spricht sie sich leise zu: „Verlass´ dich nicht, denn Gott verlässt dich nicht! Gott steht zu dir. Tu du es auch.“

In diesem Sinne Ihnen einen guten Tag!

Spiritual Georg Lauscher aus Aachen.