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Kirche in WDR 5 | 13.02.2014 | 06:55 Uhr
Vielfältig
„Herr Bischof, meinen Sie das eigentlich ernst?“ Die Frage muss sich der Essener Bischof in letzter Zeit häufiger stellen lassen. Im Zukunftsbild des Ruhrbistums hat er unterschrieben, dass er sich eine „vielfältige“ Kirche wünscht. Wörtlich: „Wir haben Lust auf die Vielfalt der Leute. Wir schätzen die freie Selbstbestimmung der Menschen und die Vielfalt der Lebensentwürfe!“ Das unterschreibt ein katholischer Bischof? Ja, er hat es getan, nach langem Nachdenken und doch aus Überzeugung.
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
viele Diskussionen hat es in unserem Bistum Essen in den letzten Jahren gegeben. Der Bischof oft mittendrin. Es gab keine Tabus, auch das, was in der katholischen Kirche umstritten ist, kam auf den Tisch: Moral, Beziehungsleben, Gleichberechtigung der Frau. Ganz besonders erinnere ich mich an eine atemberaubende Diskussion mit 300 Leuten zur Sexualität. Selten habe ich erlebt, dass derart offen und einfühlsam darüber geredet und einander zugehört wurde.
Am Ende große Nachdenklichkeit: Nein, die alten Werte der Kirche sind gar nicht umstritten. Es geht ja um den Schutz der Liebe, um Achtsamkeit in Beziehungen. Denn wo Menschen sich nahe kommen, da verletzen sie sich schnell. Aber Menschen sind unterschiedlich, jede und jeder hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Sehnsüchte. Deshalb muss er seinen eigenen Weg suchen, ausprobieren und ringen – auch in der Liebe, auch in der Sexualität. Nicht leichtfertig, sondern um der Liebe willen.
Der Bischof und mit ihm viele in unserer Kirche begreifen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Menschen sich in allen Lebensbereichen nach einem einheitlichen Maßstab zu richten haben. Nach dem Motto: So und nicht anders geht richtiges Leben. Wahrscheinlich ging das noch nie. Wer weiß, was in vergangenen Zeiten unter der Oberfläche alles erlebt und erlitten wurde? In unserer gegenwärtigen freiheitlichen, pluralen und hochmodernen Gesellschaft ist das Leben zudem noch wesentlich komplexer und vielfältiger geworden.
Aber all das ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Vielfalt ist etwas Kostbares. Gott hat uns Menschen genauso erschaffen. Keiner gleicht dem anderen. Jeder Fingerabdruck der Milliarden Menschen auf dieser Erde ist anders. Die Kunst ist nur: Wie gelingt es uns, mit und in dieser Vielfalt zu leben, ohne einander zu schaden? Die Freiheit des einzelnen kann nicht grenzenlos sein, weil sie die Freiheit des anderen respektieren muss. Gott will, dass jeder in seiner Einzigartigkeit lebt – und dass niemand ausgegrenzt wird, weil er anders ist. Also müssen wir miteinander suchen und ringen, wie es gehen kann, miteinander zu leben – und in der Vielfalt auch das zu finden, was uns verbindet.
Das will unser Bischof. Und das wollen viele Katholiken. Und dazu gehört erst einmal große Offenheit – und das Eingeständnis, nicht schon alles im Voraus zu wissen. Unsere christliche Tradition birgt die Lebensweisheit von 2000 Jahren in sich. Und sie vertraut dabei auf Gottes Geist. Dieser Geist wirkt auch in der Gegenwart – auch in der Lebensweisheit der Menschen, die heute leben, und die oft anders denken und leben, als das früher der Fall war. Die Weisheit von gestern und die Weisheit von heute werden uns helfen, dass die Vielfalt unter uns Menschen keine Last ist, sondern ein Reichtum, der uns gut leben lässt.
Dass Sie sich heute an der Vielfalt der Menschen erfreuen; dass Sie es gelassen ertragen, wenn Ihnen die Vielfalt zu schaffen macht – das wünscht Ihnen liebe Hörerinnen und Hörer Generalvikar Klaus Pfeffer aus Essen.