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Das Geistliche Wort | 02.07.2017 | 08:35 Uhr

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Evangelische Radikalität

Sprecher: Ein eheloses Leben für Christus hat symbolischen Wert; es ist eine Form evangelischer Radikalität, ein Zeichen für die ganze christliche Gemeinschaft, und auch für die Menschheitsfamilie. Wenn Christus einige Frauen und Männer dazu beruft, ehelos zu leben, dann geht es nicht darum, eine Elitetruppe innerhalb der Kirche zu schaffen. (Vielmehr brauchen wir) Menschen und Orte, an denen der absolute Ruf, der an jeden Christen ergeht, deutlich sichtbar gelebt wird. (1)

Autor: Bruder John von der Kommunität Taize in Frankreich hat sich für ein eheloses Leben entschieden. Auf diese Weise versucht er, den Weg des Glaubens zu gehen. Der Weg des Glaubens ist für ihn ein Weg, der zu einer neuen Gemeinschaft aufruft. Das gilt nach seiner Einschätzung für Menschen, die zölibatär leben, aber genauso für Menschen, die eine Ehe eingehen. In seinem Buch „Abenteuer Heiligkeit“ schreibt er:

Sprecher: Das neue Leben ist ein Leben in Gemeinschaft. Die „unpersönliche“ Existenz im Kollektiv, ein Leben ohne Verantwortung, stirbt. In ihrer tiefsten Dimension ist die Ehe ein Ruf zur Heiligkeit. Und wie jede Beziehung in Heiligkeit ist dieses neue Leben grundsätzlich offen für andere. (2)

Musik:

Autor: Ehelos leben. Allein und nicht in einer Partnerschaft. Männer und Frauen, die darauf verzichten, ihre Sexualität auszuleben, sind für viele nach wie vor irritierend. Ob es darum geht, wenn Menschen im Zölibat, also in freiwilliger Ehelosigkeit leben – zu irritieren? Vielleicht auch darum. Aber nicht in erster Linie. Evangelische Diakonissen etwa, die diese Lebensform gewählt haben, suchen vor allem einen eigenen Freiraum. Einen Freiraum, um auf besondere Weise lieben zu können.

Sprecherin: Unsere Ehelosigkeit weist in besonderer Weise voraus auf das kommende Reich Gottes. Da wird der Mensch weder heiraten noch sich heiraten lassen, denn die Gemeinschaft mit Gott wird ihn ganz erfüllen. Unser freiwilliger Entschluß zur Ehelosigkeit ist Ausdruck unserer Liebe zu Gott. Er läßt unser Leben nicht verkümmern, sondern ermöglicht es, unsere Liebeskraft in der Hinwendung vor allem zu ungeborgenen, ungeliebten, angefochtenen und kranken Menschen zu entfalten. (3)

Autor: So lautet das Selbstverständnis von Diakonissen. Diakonissen sind evangelische Frauen, die in einer geistlichen Lebensgemeinschaft mit anderen Frauen leben und sich dem Dienst am Nächsten verschrieben haben. Viele Menschen haben diese Frauen als besonders glaubwürdige Christinnen kennen gelernt. Nach wie vor engagieren sie sich in der Krankenpflege oder in der Kinder- und Jugendarbeit, vor allem dort, wo besondere Herausforderungen auf sie warten, weil die Lebensumstände schwierig sind. Das hört sich gut und schön an – ist es aber nicht immer.

Sprecherin: Es gab Jahre in meinem Leben als Diakonisse, in denen mir der Verzicht auf die Ehe sehr schwer war. In einem seelsorgerlichen Gespräch erkannte ich, dass Gott mehr für mich hat als nur schmerzlichen Verzicht. Als ich darüber nachdachte, machte Gott mir klar: Wen ich beauftrage, den begabe ich auch. Das hieß für mich: Ich bin beauftragt ehelos zu leben, folglich bin ich dazu auch begabt. Ich erlebte eine tiefe innere Befreiung. Ehelosigkeit bedeutet für mich nicht mehr Verzicht, sondern Gabe Gottes, mit der ich dankbar und fröhlich lebe. (4)

Autor: So beschreibt es Schwester Christa Reichmann von den Herborner Diakonissen auf deren Homepage. Überschrift: Wie wir leben. Sie ist mit ihren Lebensentscheidungen offensichtlich nicht immer glücklich gewesen. Aber sie hat für sich im Gespräch mit anderen Menschen und mit Gott einen Weg gefunden, zu ihren Entscheidungen „Ja“ zu sagen.

Ob das der Weg zu einem heiligen Leben ist – im Gespräch mit Gott und mit anderen Menschen „Ja“ zu sagen zu meinem Leben?

Musik:

Autor: Ich selbst bin froh, verheiratet zu sein. Aber den Zölibat gibt es schon so lange. In Klöstern, bei evangelischen Diakonissen, bei katholischen Priestern... Ich frage mich: was ist dran am Zölibat? In seiner klugen Satire findet der Kölner Publizist Hans Conrad Zander „10 Argumente für den Zölibat“. Was mich wirklich überrascht hat: Zander kann dabei aufzeigen: der Zölibat ist für viele Männer eine natürliche Form, zu leben. Er hat sich bei dem renommierten amerikanischen Sexualforscher Bernie Zilbergeld erkundigt. Der sagt:

Sprecher: Männliche Jungfräulichkeit gibt es wirklich und sie ist weit verbreitet. Und bei diesen Männern handelt es sich meist um besonders aktive, schöpferische, ja um besonders männliche Männer. (5)

Autor: Dr. Zilbergeld erinnert sich an ein Ereignis am Ende eines seiner Vortrags- und Diskussionsabende über männliche Sexualität:

Sprecher: Ein zwar scheu, aber dennoch entschlossen wirkender junger Mann trat vor das Mikrophon. Vor allen seinen Kommilitonen, mitten in dem rhetorisch von Erektionen und Ejakulationen geschwängerten Saal, sprach er mit leiser aber fester Stimme das Ungeheuerliche aus: I am a Virgin – ich bin eine Jungfrau. Eine fast unerträgliche Stille entstand. Keiner lachte. Mir selbst hat es in diesem Moment die Sprache verschlagen.

Alle spürten wir, was für einen ungeheuren Mut dieser junge Mann brauchte, um sich als Jungfrau zu bekennen. Und ich frage mich: ist so eine bekennende Jungfrau nicht etwas ungleich Männlicheres als so ein konformistischer Kerl, der ständig nur über Sex redet? (6)

Musik:

Autor: Das Leben im Zölibat: Für manche ist es möglich und ganz natürlich. Für andere eine besondere Berufung und Begabung. Für mich bleibt es eine Irritation. Es fordert mein Denken und Leben heraus. Denn vor allem will es ja das sein: ein Leben in klarer Ausrichtung auf Gott und seinen Willen, ein heiliges Leben also – doch genau das hat Martin Luther vor gut 500 Jahren bezweifelt. Schon sehr früh hat er sich dagegen ausgesprochen, dass man mit besonders frommen Taten, den Keuschheitsgelübden zum Beispiel, einen besseren Status bei Gott erreichen könne. In seinen frühen reformatorischen Schriften rät er vielmehr dazu, die Klöster aufzulösen und sie zu Schulen für alle zu machen. Auf seinen Rat hin verlassen Mönche und Nonnen die Klöster – und heiraten. Nur Luther selbst hat sich zunächst recht schwer mit seinem Entschluss getan, eine Ehe einzugehen.

Sprecher: So wie mir bis jetzt ums Herz war und jetzt ist, wird es nicht geschehen, dass ich heirate, nicht weil ich mein Fleisch und Geschlecht nicht spürte, ich bin ja nicht aus Holz oder Stein. Aber mein Sinn steht nicht nach der Ehe, da ich täglich den Tod und die wohlverdiente Ketzerstrafe erwarte. (7)

Autor: So schreibt Martin Luther im November 1524 ein gutes halbes Jahr vor seiner Hochzeit. Es ist die Zeit des Bauernkrieges. Luther erwartet seinen Tod, er will es keiner Frau zumuten, sich an einen solchen Mann zu binden. Zudem ist er arm wie eine Kirchenmaus. Auch wenn die Drucker an seinen Schriften recht gut verdienen, Luther hat es immer abgelehnt, für seine Schriften Geld zu verlangen. Er ist eigentlich unzumutbar.

Nur der Gedanke an eine Ehe kommt immer wieder bei ihm auf. Oft genug hat er in seinen Schriften betont, dass es Gottes Willen entspricht, wenn Mann und Frau zusammen leben. Kinder großziehen und sich der Freude und den Mühen des täglichen Zusammenlebens hinzugeben – das ist nach Luther der eigentliche tägliche Gottesdienst.

Musik:

Autor: Martin Luther räumt ein, dass Leute weiterhin ehelos leben können, wenn sie das wollen. Aber in der reformatorischen Bewegung wird die Ehe als völlig gleichwertige,nein, als die bessere Lebensform angesehen. Was für die Zeit von Martin Luther ein großer Befreiungsschlag gewesen ist, das ist heute bei vielen katholischen Autoren selbstverständlich: ehelos oder in einer Ehe zu leben – das ist gleichrangig zu sehen. Beide Lebensformen, die Ehe oder die Ehelosigkeit können scheitern oder aber auch das zum Ausdruck bringen, wozu Christen berufen sind– die Beziehungen unseres Lebens als Glaubende zu formen.

Wie gesagt: Ich selbst bin glücklich verheiratet – und ich bin froh, dass ich in meiner evangelischen Kirche Pfarrer sein und zugleich in meiner eigenen Familie leben kann. Aber die Lebensform des Zölibates fordert mich heraus. Diese Lebensform fragt mich: wem nützt deine Lebensform? Nützt sie nur dir und deiner Familie? Lebst du in protestantischer Selbstgenügsamkeit?

Ich will das Leben im Zölibat nicht verherrlichen – bestimmt nicht, denn ich weiß um die Konflikte, die entstehen, wenn ein katholischer Priester das Versprechen der Ehelosigkeit nicht mehr halten kann, wenn er mit seinem Vorhaben scheitert, zölibatär zu leben. Aber sind die Konflikte geringer oder einfacher zu überstehen, wenn eine auf Dauer angelegte Partnerschaft scheitert? Beide Lebensformen sind gefährdet. Und auf beiden Lebensformen kann großer Segen liegen. Bruder John aus Taize möchte in beiden Lebensformen vor allem eine große Offenheit.

Sprecher: In unserer modernen Welt müssen wir damit rechnen, dass es für manchen keine fertigen Modelle für einen äußeren Lebensstil gibt. Es gibt so viele Möglichkeiten „für Gott“ und „für andere“ zu leben, wie es Menschen gibt.

Jeder ist dazu berufen, sein persönliches Leben zum Blühen zu bringen

und seine eigene Freiheit zu entdecken,

indem er das annimmt, was Gott für ihn in der Gemeinschaft seiner Schwestern und Brüder wünscht,

und indem er sich selbst freiwillig aus Liebe hingibt. (8)

Musik

Autor: Ich glaube auch, dass man in verschiedenen Lebensformen eine große Freiheit entdecken kann: die Freiheit für andere und für Gott da zu sein. Das Leben im Zölibat stellt mir eine Frage, die mir wichtig geworden ist: wie lebst du deine Freiheit, die sich an Gott fest macht? Erkennt man in deinem Leben, dass deine Freiheit an Gott hängt?

Mit dieser Frage verabschiedet sich Eberhard Helling, Pfarrer aus Lübbecke in Westfalen

Anmerkungen:

(1) Frère John, Abenteuer Heiligkeit, Freiburg, 2008, S. 133

(2) ebd., S. 135f

(3) http://www.dgd.org/ueber-uns/diakonissen; aufgerufen am 16.05.2017

(4) http://www.diakonissenmutterhaus-hebron.de/schwesternschaft/wie-wir-leben/diakonissen-berichten; aufgerufen am 16.05.2017

(5) H.C. Zander, 10 Argumente für den Zölibat, Düsseldorf 2008, S. 116f

(6) ebd., S. 109

(7) Brief an Spalatin, WAB 3, 393,1ff, zit. nach Heinrich Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, Göttingen, 1979, S. 354

(8) Frère John, a.a.O., S. 146

Musik kommt von der CD:

Les Sacqueboutiers, Le Jazz et la Pavane, 2012, Labal Flora, CD Nr.: 2812

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