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Das Geistliche Wort | 20.08.2017 | 08:35 Uhr

„Die frohe Botschaft geht vor die Hunde“

Heute leben in unserem Land die Kirchen in einer großen Krise. Symptome sind Mitgliederschwund, Mitarbeiterschwund, Gotteshäuserschwund. Diese Krise hat ihre guten Gründe, auch wenn darüber viele verschiedene Ansichten existieren. Mich interessiert dabei vor allem die Frage: Geht da der Welt – zumindest Deutschland – nicht das Evangelium verloren? Geht die frohe Botschaft Jesu vor die Hunde? – Nun, vielleicht muss es genau so sein: Das Evangelium muss vor die Hunde gehen!

Guten Morgen,

die Geschichte, in der Jesus seine frohe Botschaft nicht vor die Hunde kommen lassen will – und sie dann doch genau dort landet, wird an diesem Sonntag in den katholischen Kirchen gelesen (Mt 15, 21-28). Es ist eine wirklich merkwürdige Geschichte, da man vielleicht zum ersten Mal den Eindruck bekommt, dass Jesus eben nicht alles besser weiß, dass er eben nicht von vorneherein schon klar hat, was für alle das Beste ist.

Es kommt nämlich eine fremde Frau zu ihm, eine, die nicht aus Israel stammte, sondern aus einem Gebiet, das Israel von früher her in herzlicher Feindschaft verbunden ist. Aber sie kommt zu Jesus und bittet ihn, ihre Tochter zu heilen. Offensichtlich ist sie sehr hartnäckig. Jesu Jünger bitten ihn sogar schon, ihre Tochter mal endlich zu heilen, denn die Frau geht ihnen auf die Nerven. „Befrei sie, denn sie schreit hinter uns her!“ Jesus aber weist sie zurück mit der Begründung, dass er eben nur für die Israeliten, also für die eigenen Leute da ist. Der Frau ist das aber egal, sie bleibt hartnäckig und glaubt wohl, dass nur Jesus ihr helfen kann. Darauf sein heftiger Spruch: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Mit anderen Worten: Meine Botschaft ist ein wenig zu gut für dich. Und der Vergleich mit einem Hund ist damals wie heute kein schmeichelhafter.

Dabei ist doch Jesus der, der von der Nächstenliebe redet. Und für den diese Frau doch auch eine Nächste sein müsste. Und doch lässt er sie erst einmal so abblitzen.

Dabei hat Jesus sonst für Außenseiter eine Menge übrig: Ausgestoßene Kranke heilt er, bei unbeliebten Zöllnern und Geizkrägen lädt er sich selbst ein, hat keine Berührungsängste mit Menschen, die offensichtlich am Rande der Gesellschaft stehen. Doch bei der Fremden da, da ist er zurückhaltend. Die gehört irgendwie nicht dazu, sitzt weniger am, als eher unter dem Tisch – um im Bild vom Hund zu bleiben, das Jesus gebraucht hat.

Musik: Nighthawks – Nightshift (ab 0:00)

Und heute? Mir scheint, die Kirche sitzt da am Tisch und realisiert nicht, wie viele nicht mehr dabei sitzen. Weite Teile der Gesellschaft haben sich weitgehend von ihr und ihren Strukturen emanzipiert. Der sinkende Gottesdienstbesuch ist da nur ein Beispiel unter vielen. Das zeigt sich auch im Religionsunterricht in den Schulen. Ich selbst bin Religionslehrer und erlebe, wie der Religionsunterricht nicht nur ständig in Zweifel gezogen wird, sondern er auch oft genug vor sehr gemischten Gruppen von katholischen, evangelischen, muslimischen, nicht-religiösen und vielen anderen Schülerinnen und Schülern stattfindet. Und das geschieht in einer Gesellschaft, die die Kirchen – und ihre Mitglieder – noch weitgehend toleriert, sich aber ihre Sinnsuche nicht von dieser Kirche diktieren lässt. Sinnsuche läuft heute anders: Da werden buddhistische mit esoterischen Elementen kombiniert, Lebensfragen mit exzessiver Fitness und peinlich korrekter Essenzubereitung betrieben sowie Bibel und christliche Moral nach eigenen Vorstellungen ausgelegt. Ich frage mich: Kann die Kirche noch mit solchen Mixturen umgehen oder hält sie sich davon lieber fern, weil sie das alles für falsch hält?

So eine Tendenz ist in der Kirche ja nicht zu leugnen. Zumindest in der katholischen Kirche, der ich angehöre, gibt es den Trend, sich mehr um die eigenen Mitglieder zu kümmern, die Gemeinden größer zu machen und gleichzeitig die Rundumversorgung auf kleinerer Flamme anzubieten. Die Kirche ist dann vor allem noch für die da, die dabei sein wollen. Bleibt die Frage: Wer will denn noch dabei sein? Die, die schon immer dabei waren und katholische Messe und Jugendarbeit schon mit der Muttermilch aufgesogen haben? Was aber machen die, die sich in einer solchen Kirche fremd fühlen?

Musik: Saint Privat – Bach en dub (ab 0:27)

Noch mal zurück zur fremden Frau, der Jesus nicht helfen will. Sie lässt sich jedenfalls nicht abwimmeln. Obwohl Jesus sie mit einem Hund verglichen und ihr damit sicherlich nicht geschmeichelt hat, steckt sie den Vergleich weg und antwortet: „Ja, du hast recht, Herr. Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren abfallen.“ Man kann diese Antwort als besonders demütig betrachten, ich würde sie eher als besonders schlagfertig ansehen, vielleicht sogar als etwas sarkastisch. In jedem Fall aber beweist die fremde Frau ein großes Vertrauen in die Kraft Jesu. Von ihm allein erwartet sie Heilung für ihre Tochter. Und genau so geschieht es dann auch. Dieser unbeirrbare Glaube der Frau, dass Jesus ihre Tochter heilen kann, hat ihrer Tochter geholfen. Ob die Frau danach auch an Jesus als Sohn Gottes glaubt oder ihm nachfolgt, wird übrigens nicht mehr berichtet.

In der Bibel markiert diese Auseinandersetzung zwischen Jesus und der Frau eine Trendwende: Nicht mehr nur die eigenen Leute, die Israeliten, sind nun für Jesus ausschließlich wichtig. Mit ihnen hatte er ja die größten Probleme und Konflikte, den eigenen Obrigkeiten, den Tempelpriestern, Pharisäern und Schriftgelehrten. Nein, wichtig sind ihm nun auch alle Fremden, die an einen Gott glauben, der Frieden und Gerechtigkeit will, der Gesundheit, Glück und Heil für alle Menschen will. Und dieser Trend zur Offenheit setzt sich in der jungen Kirche fort: Fremde – Römer, Äthiopier, Griechen – bringen nun fortan ihre ganz eigene Note in die Kirche mit ein, gründen Gemeinden in fernen Städten, richten sich ihre eigenen Hauskirchen ein, stoßen dort, wo sie leben, soziale und gesellschaftliche Projekte an.

Die christlichen Kirchen sind heute über die ganze Welt verstreut. Kein Kontinent, auf dem es sie nicht gibt. Aber gerade bei uns in Mitteleuropa stehen ihnen doch viele Menschen – vor allem junge – wieder fremd gegenüber. Die Sprache der Kirche erscheint oft nicht ganz von dieser Welt, und damit ist der Glaube Vielen fremd geworden. Kirchen und Gottesdienste werden oft zwar als etwas Erhabenes empfunden, scheinen aber andererseits nicht einladend zu sein. Haben sich ältere Generationen oft noch mit kirchlichen Ansichten auseinander gesetzt – egal ob mit positivem oder negativem Vorzeichen – so scheint für Jugendliche und junge Erwachsene Kirche mehr und mehr an Relevanz überhaupt zu verlieren. Kirche kommt mit ihrem Glauben, ihren Ansichten und Meinungen, ihrer Bibel und ihrem Jesus meist nur noch am Rande vor. Natürlich gibt es auch christlich entschiedene Jugendliche, aber sie sind und empfinden sich oft selbst mehr und mehr als Randgruppe in einer sich immer weiter säkularisierenden Welt.

Mag sein, dass es da für Kirche wichtig ist, sich verstärkt um die eigenen Schäfchen zu kümmern, mit schwindenden Ressourcen sich um die zu kümmern, die entschieden christlich sind, die Gott sonntags in der Kirche loben und einer Gemeinde angehören. Das sind die, die in der Geschichte von Jesus mit am Tisch sitzen. Aber was ist mit – sie verzeihen – den „Hunden“ unter dem Tisch, den Fremden, die nicht mit am Tisch sitzen können oder wollen, aber trotzdem etwas von Jesus, von der Frohen Botschaft der Christen erwarten – selbst wenn sie gar nicht so genau wissen, was? Und was ist mit denen, die da bisher überhaupt keinen Berührungspunkt hatten, also völlig fremd sind?

Musik: Herbert Pixner Projekt – Rien ne va plus (von 0:00)

In der fremden Frau hat sich für Jesus gezeigt, was er bei seinen eigenen Leuten vermisst hat: Glauben an Heilung, Glauben an eine bessere Welt. Jesus hat damals dazugelernt. Und genau das Gleiche kann auch heute gelingen, wenn die Kirchen sich nicht nur auf sich selbst beziehen, sondern wenn sie auch auf die schauen, die ihnen fremd sind. Ich bin überzeugt: Auch dort findet sich ein Glaube an eine andere, eine bessere Welt – kirchlich würde man sagen: an das Reich Gottes – einen Glauben, den man mancherorts in Kirchen vergeblich sucht. Man muss nur mal genauer hinschauen: Warum gibt es die 33-jährige Oberärztin, die eine Unfallchirurgie in Äthiopien aufbaut? Warum unterbricht der Student seine Forschungen, um Flüchtlinge an der Grenze zu versorgen? Warum kümmert sich die Pflegerin unentgeltlich um Obdachlose, die keine Krankenversicherung haben? Menschen setzen ihre Zeit, ihre Fähigkeiten, ihr Herzblut für den Glauben an Heilung, an Gerechtigkeit, an eine bessere Welt ein – und sind doch den Kirchen und ihrer frohen Botschaft fremd. Wie kann das eigentlich sein?

Für mich steht fest: Das Schicksal der Kirche kann nicht darin bestehen, sich auf das schon und noch bestehende Netz von Gemeindestrukturen zu besinnen und allein für die da zu sein, die bewusst dabei sein wollen. Glaubensgemeinschaft ist mehr, Frohe Botschaft ist mehr. Dazu gehören die Kirchenfremden, die aber an eine bessere Welt glauben und an ihr arbeiten. Kirche muss für diese Fremden zugänglich sein. Und mit „Kirche“ meine ich nicht nur die Offiziellen, die Priester, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der hauptamtlichen Sorte. Ich meine damit alle, die sich der christlichen Botschaft und ihrer Ideale verbunden fühlen. Und Kirche ist dann auch nicht auf ihre bisherigen Orte begrenzt, an denen man sie bisher angetroffen hat. Kirche kann auch in einer Kneipe stattfinden, wenn Lebens- und Sinnfragen diskutiert werden, beim Sport im Fußballstadion, wenn Gefühle von Sieg und Niederlage friedlich gelebt werden, in der Musik, wo sich echte Gerechtigkeit und Liebe verbreiten, auf dem Marktplatz, wenn zwischendurch die Sorgen eines ganz normalen Menschenlebens besprochen werden, an allen Orten meiner Stadt, wo ehrliche Freundschaft und Liebe gepflegt wird.

Ja, Orte, an denen die Frohe Botschaft vom Reich Gottes, von Frieden und Gerechtigkeit gelebt wird – solche Orte sind für mich Kirche.

Umgekehrt gilt für mich aber auch: Das Christliche muss in diesen Kirchen für mich und andere erkennbar sein, das Christliche muss in dem, was Christen tun, auch sichtbar sein. Es gilt, nicht nur für eine bessere Welt zu kämpfen, sondern für sie auch zu beten, die Frohe Botschaft vom Reich Gottes nicht nur zu leben, sondern auch in der Nachfolge Jesu von ihr zu sprechen.

Fest steht aber: Das Evangelium darf nicht unter den eigenen Leuten bleiben, es muss nach außen dringen, zu denen, denen es noch fremd ist oder wieder fremd geworden ist. Und um im Bild der Geschichte von Jesus und der Fremden zu bleiben: Es muss vor die Hunde gehen.

Musik: Habadekuk – Otte Mands Dans (ab 1:25 bis höchstens 2:45)

Es grüßt Sie Christoph Buysch aus Krefeld.

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