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Kirche in WDR 5 | 30.12.2017 | 06:55 Uhr
Älter werden ist nichts für Feiglinge - der Schmerz der Zeit
Guten Morgen!
Ist dieses Jahr wirklich schon wieder vorbei? Gefühlt war das doch erst gestern, als wir vor 12 Monaten an Silvester bei Freunden und Fondue zusammen saßen und auf das Neue Jahr 2017 angestoßen haben…
Je älter ich werde, desto schneller vergeht die Zeit. Und auch dieses Jahr ist wieder mal im Nu verflogen. In zwei Jahren werde ich die 60 knacken. Mir wird ganz flau bei dem Gedanken. Denn ich fühle mich mindestens sieben Jahre jünger, also genau so wie es Wissenschaftler über das Lebenszeit-Empfinden der Menschen herausgefunden haben. Und in einem Winkel meines Herzens – aber das verrate ich nur Ihnen – übrigens immer noch wie 18.
Älter werden ist nichts für Feiglinge, lautet ein Buchtitel. Bis zu meinem 40ten Lebensjahr habe ich tatsächlich das Leben nur nach vorne gedacht. Mein Verstand wusste es natürlich besser, aber mein Gefühl sagte mir: es geht immer so weiter, vorwärts, aufwärts. Erst mit dem Tod meines Vaters begann ich, das Leben auch von seinem Ende her anzuschauen und zu realisieren, dass es begrenzt ist. Heute stelle ich es mir manchmal vor wie einen großen Bogen, der einen Aufstieg, einen Höhepunkt und einen Abgang kennt. Wobei mir die Vorstellung schwer zu schaffen macht, dass ich jetzt in der Zeitspanne lebe, in der es nur noch bergab gehen soll. So wie es mir meine leichten Wehwehchen, die Falten oder die längeren Regenerationsphasen schon mal vorsichtig nahelegen.
Das ist so, ja. Aber - Gott sei Dank - kann ich dem schnellen Lauf der Zeit gleichzeitig auch was anderes abgewinnen:
Dass die Jahre begrenzt sind, macht sie zugleich unsagbar kostbar. Jedes Jahr, auch das neue, - so empfinde ich es als Christin - ist ein geheimnisvolles Geschenk von Gott, das ich auspacken und entdecken kann.
Sprecher (ältere Stimme)
‚Andere Geschenke mögen groß sein. Aber es wird nicht leicht eines zu finden sein -… -, das man nicht durch ein anderes, ebenso großes ersetzen könnte. Aber bei der Zeit, dem Augenblick, der Stunde und dem Tag ist keine Zeitspanne durch die andere ersetzbar. Jedes Jahr, jeder Tag, jede Minute sind einmalig… Diese unerbittliche Einmaligkeit ist nicht nur der Schmerz der Zeit, sondern auch ihr Adel!...‘
so etwa hat es ein großer Theologe des vergangenen Jahrhunderts ausgedrückt, Karl Rahner. Und so empfinde ich das auch: jedes Jahr hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Schönheit und Last, und auch seine eigene Herausforderung und Aufgaben. Die sind eben nicht besser oder schlechter, mehr oder weniger als in den Vorjahren, sondern anders und jetzt dran.
Karl Rahner sagt es weiter so:
Sprecher (ältere Stimme)
Jeder Tag, jedes Jahr …‘muss mit seinem Inhalt gefüllt werden, weil das nächste Jahr seine eigene Aufgabe hat, die es restlos verbraucht. Jedes Jahr ist ein einmaliges Angebot… : was du in diesem Jahr vor Gott in seiner Liebe tun kannst, das kannst du nicht auf das nächste verschieben. Denn da stellt dir Gott wieder eine neue Aufgabe, ….
Die neue Aufgabe mag der alten wie ein Ei dem anderen gleichen; sie ist doch ganz neu, ganz verschieden, wie eben das einmalige Heute und einmalige Morgen verschieden sind, wie kein Jahr im nächsten wiederkehrt, sondern einmal geschenkt wird, um nie wiederzukehren.“
Worte, die den Schmerz und die Größe der vergänglichen Jahre ausdrücken!
Im September wurden im Kölner Stadtanzeiger drei Über-Hundert-Jährige interviewt. Auf die Frage, wie macht man das, 100 Jahre alt zu werden, sagt der 104 -jährige Herr Jagdmann: „Das ist natürlich nicht mein Verdienst, aber ich habe vielleicht ein bisschen beigetragen: Kein Fernseher, der ist Zeitverschwendung und bringt die Welt nicht weiter, viel zu Fuß gehen, keine Zigaretten. Ich glaube aber, am aller wichtigsten ist es, dass ich die Dinge, die ich im Leben getan habe, gerne getan habe.“
Das wäre was! Die Einmaligkeit der Jahre wertschätzen und ihre je eigene Aufgabe gestalten – und dabei noch die Dinge des Lebens gerne tun.
Darauf will ich im nächsten Jahr achten – und Sie?
fragt
Irmgard Conin aus Köln