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Kirche in WDR 5 | 19.02.2018 | 06:55 Uhr
Wunder in der Fastenzeit
Bewusst leben, einfach leben: Das wollen viele jetzt in der Fastenzeit. Ich selber möchte meinen Glauben erneuern. Das hat auch etwas mit bewusstem Leben zu tun, aber für mich noch mehr mit einer bewussten Beziehung zu den Quellen meines Glaubens. Deshalb möchte ich in dieser Woche über biblische Geschichten sprechen, die mir wichtig sind. Ich habe Geschichten ausgewählt, in denen Jesus Wunder tut. Vielen sind diese Geschichten wunderlich – weil nur wenige mit so etwas in der heutigen Zeit rechnen. Daher: Wenn diese Texte heute etwas bewirken, dann ist das vielleicht auch ein Wunder. Die erste Geschichte steht im Lukasevangelium, Kapitel 11:
„Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein. Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Dieser Mann war aus Samarien. Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“
Man kann diese Geschichte auf verschiedene Weise auslegen: moralisch, theologisch, seelsorglich und mystisch. Die moralische Auslegung ist einfach, aber sie gefällt mir nicht so gut: Jesus heilt zehn Aussätzige; neun sind undankbar, nur einer ist dankbar. Also sind die neun böse und der eine ist gut. So einfach ist das. Dann wäre dieser Text ein Appell, immer schön dankbar zu sein. Wie oft habe ich das als Kind gehört: Und was sagt man da? ... Mir ist das zu platt.
Besser gefällt mir eine theologische Auslegung: Jesus hält sich an das jüdische Gesetz, also an das Alte Testament. Darin steht, dass ein vom Aussatz geheilter zu einem Priester gehen muss. Erst, wenn dieser ihn für geheilt erklärt, darf er wieder am öffentlichen Leben teilnehmen. Was aber passiert in der Geschichte? Die Neun gehen zu den Priestern und holen das religiöse Heilungsattest. Als sie damit haben, was sie wollen, ist ihnen Jesus offenbar egal. Sie erfüllen religiöse Vorschriften, kommen aber nicht zum Glauben. Anders der Eine: Als er merkt, dass er geheilt ist, kehrt er um. Das Gesetz ist ihm nicht mehr wichtig. Er geht zu Jesus, dankt ihm – und kommt zum Glauben. Neun sind gesund geworden, einer ist geheilt.
Die seelsorgliche Auslegung ist sehr realistisch. Beinahe so, als wäre die Geschichte von den zehn Aussätzigen für heute geschrieben worden. Der pastorale Erfolg Jesu beläuft sich nämlich auf zehn Prozent. Zehn werden gesund, einer kommt zum Glauben. Das ist wie heute in der Kirche: hundert Prozent Einsatz, zehn Prozent Erfolg. Tatsächlich kommen von denjenigen, die ich getauft und getraut habe, noch etwa zehn Prozent überhaupt jemals wieder. Ähnlich ist es mit den Erstkommunion-kindern und Firmlingen. Nachdem sie bekommen haben, was sie wollen – nämlich die schöne Feier – sind sie einfach weg. Aber: In der biblischen Geschichte werden die Neun ja nicht wieder krank. Sie bleiben gesund, ihr Leben hat sich geändert. Das tröstet mich: Auch diejenigen, die ich nach einem religiösen Event nicht mehr wiedersehe, haben vielleicht eine gute Erfahrung gemacht. Eine Erfahrung, die ihr Leben prägt, ohne dass ich das merke. Gott ist bei ihnen.
Die mystische Auslegung ist ganz einfach: Ich darf Jesus den Aussatz meiner Seele hinhalten. Es gibt vieles in meinem Leben, das schiefgelaufen ist. Oder jedenfalls nicht so war, wie ich mir das gewünscht habe. Das alles kann ich ihm hinhalten, mit ganz viel Vertrauen. Er kann es heilen, ob ich das nun merke oder nicht. Er verlangt nicht einmal meinen Glauben. Sondern nur, dass ich mich von ihm beschenken lasse. Dieses Vertrauen wünscht Ihnen Pfarrer Stefan Jürgens aus Münster.