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Das Geistliche Wort | 18.02.2018 | 08:35 Uhr

Es lebe die Freiheit

Was machen wir, wenn sie uns erwischen?

Wie können wir heil daraus kommen?

Diese Fragen wird die Geschwister Scholl umgetrieben haben, als sie beschlossen, das sechste Flugblatt der „Weißen Rose“ mitten am Tag in der Münchner Universität auszulegen. Die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe ahnten nichts von diesem gewagten Vorhaben. Bisher haben alle viel Mühe investiert, um nicht aufzufallen, haben den Postweg genutzt, um die Flugblätter unters Volk zu bringen. Der Widerstand sollte wirkungsvoll sein. Aber die Köpfe dahinter sollten unentdeckt bleiben. Mit ihrem Entschluss, die Flugblätter persönlich unters Volk zu bringen, haben sich Hans und Sophie Scholl in Gefahr begeben und das war ihnen sicher bewusst.

Heute vor 75 Jahren eilen sie mit ihrem Koffer voller Flugblätter durch die Flure der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihre Mitstudenten sollen lesen, in welchem Unrechtssystem sie leben:

„Es gibt für uns nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteigliederungen, in denen man uns politisch weiter mundtot halten will! Heraus aus den Hörsälen der SS-Unter- und Oberführer und Parteikriecher! Es geht uns um wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit! Kein Drohmittel kann uns schrecken, auch nicht die Schließung unserer Hochschulen. Es gilt den Kampf jedes einzelnen von uns um unsere Zukunft, unsere Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewussten Staatswesen.“

Es gibt kein Vielleicht in diesem sechsten Flugblatt. Ich lese da pure Entschlossenheit. Entschlossenheit, ihre Mitstudenten aufzurütteln. Sie aufzufordern, ebenfalls in den Widerstand zu gehen. Aber waren Hans und Sophie Scholl auch entschlossen, dafür zu sterben?

Ihr Plan war das nicht. Sie haben zunächst versucht, mit heiler Haut da rauszukommen. Hans und Sophie haben sich eine gemeinsame Geschichte ausgedacht, die plausibel machen sollte, wie es zu all dem kam. Nur um eine Verabredung abzusagen, wären sie in die Universität gegangen. Und dann hätten sie ganz zufällig diese Flugblätter dort liegen sehen. Jeder habe eines eingesteckt, ohne es auch nur zu lesen. Aus Übermut habe sie, Sophie, dann den Stapeln einen Stoß gegeben. Eine Dummheit sei das gewesen, sagt sie im Polizeiverhör.

Sie wollten heil da rauskommen. Lebend. Denn das war ihr Plan: Leben. Nur einen Tag zuvor schrieb Sophie an ihre Freundin Lisa, wie sehr sie sich auf den nahenden Frühling freue. Als sie am nächsten Tag mit Hans in die Universität ging, dann bestimmt nicht, um zu sterben. Im Gegenteil: Ihnen ging es darum, für ein Leben in Freiheit zu kämpfen.

Überhaupt: Freiheit. Das ist ein ganz zentraler Begriff für Hans und Sophie Scholl. Sie wachsen in einer Familie auf, in der das Denken und das Glauben von Bedeutung sind. Vater Robert ist Politiker und Pazifist, ihre Mutter Magdalena ist gläubige evangelische Christin. Beide Eltern prägen ihre Kinder mit dem, wie sie leben und wofür. Im jungen Leben von Hans und Sophie spielten Musik, Sport, Natur eine zentrale Rolle – und das Lesen. Nietzsche, Thomas Mann, Augustinus – all das stand auf ihrer Literaturliste, wie man in Briefen nachlesen kann, die von Hans und Sophie erhalten sind.

Doch so prägend die Eltern auch waren – zunächst waren die Geschwister gegen den Wunsch der Eltern begeisterte Mitglieder der Hitlerjugend und im Bund der Deutschen Mädchen. Der Vater warnte sie eindringlich, doch die Angebote der Nazis waren verlockend: die Musik, das Gemeinschaftsgefühl, die Naturverbundenheit – das Gefühl, bei etwas ganz Großem dabei zu sein.

Mit der Zeit begannen sie, die Erziehung der Nazis zu durchschauen. All dieses Singen und Sporttreiben passiere doch nur, "damit niemand auf dumme Ideen kommt", schrieb Sophie ins Tagebuch – also, damit niemand auf eigene Gedanken kommt. Das widerstrebt den Geschwistern und sie wenden sich ab von der Hitlerjugend und ihrer Propaganda.

Frei denken, frei leben… das war Hans und Sophie so wichtig, dass sie dafür ihr Leben riskierten. Dafür werden sie bis heute von vielen bewundert, bekommen Respekt für ihren Mut. Oder war das Leichtsinn?

Ich glaube ja. Weil Leichtsinn und Freiheit nahe Verwandte sind. Das eine bedingt das andere geradezu.

Hans Scholl war ein leichtsinniger Mensch. Genau so jedenfalls beschreibt ihn George Wittenstein, ebenfalls Mitglied der Weißen Rose in einem Interview, Jahrzehnte später.

Nun ist Leichtsinnigkeit in der Regel eher negativ konnotiert. Als leichtsinnig wird ein Mensch bezeichnet, der sich keine Gedanken über die Folgen dessen macht, was er sagt, tut oder unterlässt.

Aber ich glaube, dass man Leichtsinnigkeit nicht mit Unbedarftheit gleichsetzen darf. Sie wussten viel über das verheerende System der Nazis. Ihnen war sicher bewusst, dass sie sich in Gefahr begeben. Unbedarft waren sie sicher nicht. Aber Sie waren womöglich leichtsinnig im Sinne dessen, dass sie frei waren von der Angst, verlorenzugehen. Leichten Sinnes, sozusagen. Sophie und Hans waren gläubige Christen. Der Glaube war für sie existentiell. Man weiß, dass Hans gerne Kierkegaard gelesen hat. Und ich kann mir vorstellen, wie die Aussagen des dänischen Theologen und Philosophen Hans bestätigt haben, vielleicht sogar Ansporn waren.

Von Kierkegaard stammt der Satz: „Das Ungeheure, das einem Menschen eingeräumt ist, ist die Wahl, die Freiheit.“ Und dieses Geschenk nehmen Hans und Sophie ernst. Sie haben in ihrem jungen Leben schon so manche einschneidende Wahl getroffen: Den Verlockungen der Nazis zu widerstehen. Sich für die Freiheitsrechte einzusetzen. Mit Gott leben zu wollen.

In den überlieferten Briefen der beiden ist zu lesen, wie sehr sie darum ringen, eine eigene Spiritualität zu entwickeln.

Sophie schreibt in ihr Tagebuch:

„Wie ein dürrer Sand ist meine Seele, wenn ich zu Dir beten möchte, nichts anderes fühlend als ihre eigene Unfruchtbarkeit. Mein Gott, verwandle Du diesen Boden in eine gute Erde, damit Dein Samen nicht umsonst in sie falle, wenigstens lasse auf ihr die Sehnsucht wachsen nach Dir, ihrem Schöpfer, den sie so oft nicht mehr sehen will.“

Die beiden sind kritische Denker und spirituell Suchende. Sie ringen darum, so zu leben, wie es ihrer Meinung nach dem Willen Gottes entspricht. Vielleicht kannten sie auch den Aufruf Kierkegaards an die Christen: „Christus will keine Bewunderer, sondern Nachfolger.“

Mit dem, was ich von den Geschwistern Scholl gelesen habe, kann ich mir gut vorstellen, dass ihr Glaube eine Rolle gespielt hat in ihrer Entscheidung, in den Widerstand zu gehen und auch in der Entscheidung, an diesem Morgen des 18. Februar einen Schritt weiterzugehen. Inzwischen ermittelte die Gestapo gegen die Initiatoren der Flugblätter. Früher oder später wären sie womöglich aufgeflogen. Vielleicht wollten sie alles tun, was ihnen möglich ist, bevor sie verhaftet werden.

Wie haben Hans und Sophie Scholl die letzten Stunden vor der Verbreitung der Flugblätter in der Universität München verbracht; heute vor 75 Jahren? Waren sie fest entschlossen? Oder vielleicht doch schwankend? Und wenn ja: Wer könnte es Ihnen verdenken?

Selbst Jesus hatte seine schwankenden Stunden – damals im Garten Getsemani, wie die Bibel erzählt. In jener Nacht, bevor er sterben sollte, ringt selbst der Gottessohn mit seiner Entschlossenheit.

Erst bittet er Gott darum, dass der Kelch an ihm vorübergehen möge. Er will nicht sterben. Er will nicht leiden. Wenn es einen anderen Weg gibt, dann wäre ihm der lieber gewesen.

Aber am Ende zählt für Jesus nur eins: Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe. Das Vertrauen in seinen Vater ist größer als die Angst vor dem was kommt und vor dem, was nicht mehr sein wird.

Damit der Kelch an ihnen vorübergehen möge, hatten Hans und Sophie Scholl sich zunächst ihre Geschichte zurechtgelegt. Sie wären lieber heil da herausgekommen. Aber nicht um jeden Preis. Die Protokolle der Verhöre machen deutlich: Größer als alle Angst um sich selbst, ist ihre Entschlossenheit, für die Freiheit der Menschen einzutreten.

Als die Beweislast für die Flugblattaktion erdrückend wird, lassen sie von der Geschichte ab. Sie halten mit nichts mehr hinterm Berg, listen ihre Taten und Gedanken auf. Man könnte sagen: Sie ritten sich immer mehr hinein in die Bredouille. Lediglich ihre Freunde versuchten sie zu schützen.

Ich glaube: Da ist sie wieder, diese innere Freiheit. Ihre Leicht-Sinnigkeit. Der Glaube daran, dass sie heil daraus kommen werden. Wenn auch nicht lebendig.

Kurz vor ihrer Hinrichtung werden Hans und Sophie mit ihrem Freund Christoph Probst zusammengeführt. Er war inzwischen auch verhaftet und verurteilt worden. Gemeinsam rauchen sie ihre letzte Zigarette. „Ich wusste nicht, dass Sterben so leicht sein kann“ sagt Christoph Probst und dann „In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder.“ Danach werden sie abgeführt, Sophie zuerst. Der Scharfrichter sagte, so habe er noch niemanden sterben sehen. Denn sie ging aufrecht. Scheinbar frei von Angst. „Es lebe die Freiheit!“ Dieses Wort schrie Hans laut durch das ganze Gefängnis, bevor er sich auf das Schafott legte.

In meinen Augen sind die drei keine Helden, die über allem stehen. Sondern ganz menschliche denkende Glaubende, die zutiefst darauf hofften, dass es mehr gibt, als das Jetzt und Hier.

„Das Seil über den Abgrund wird von denen gespannt, die es am Himmel festmachen“, hat der einstige UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld einmal geschrieben. Hans und Sophie Scholl waren an jenem Tag vor 75 Jahren Seiltänzer. Ihre Liebe zur Freiheit haben sie festgemacht an einer Hoffnung, die stärker war als die Angst vor dem Tod. Sie haben das entschlossen gemacht und, wohlgemeint, leicht – sinnig.

Leben wir leicht. Und sinnig. Denn ich gebe Kierkegaard Recht: Christus will keine Bewunderer. Er will Nachfolger. Und Nachfolgerinnen. Wie Hans und Sophie. Und mich. Und Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer. Aus Nottuln grüßt Sie Pastoralreferentin Michaela Bans.

Quellenangaben:

www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/weisse-rose

www.spiegel.de/einestages/hinrichtung-von-hans-und-sophie-scholl-erzogen-zum-widerstand

Hans und Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, Fischer-Verlag, Herausgegeben von Inge Jens

https://www.soulsaver.de/weltgeschehen/weisse_rose/

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