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Kirche in WDR 5 | 28.04.2018 | 06:55 Uhr
Ich bin die Tür
Guten Morgen.
Ich bin die Tür.
Zu einem alten Haus am Ende der Straße.
Schon viele Menschen, jung und alt, groß und klein, laut und leise sind durch mich ein– und ausgegangen.
Aber heute ist alles anders.
Da stehst du vor mir und – klingelst nicht.
Wie soll die alte Dame im Haus da wissen, dass sie zur Tür kommen soll?
Du warst hier doch schon so oft.
Das erste Mal als kleines Baby.
Nie war die alte Dame so glücklich, wie damals als das junge Paar mit dem Auto vorfuhr und dich ins Haus trug. Als du älter wurdest bist du fröhlich über meine Schwelle gerannt ins Esszimmer der alten Dame. Zu Weihnachten zum Beispiel. Mit einem großen Auto mit deinen Eltern kamst du, vollgepackt mit Taschen bis oben hin.
Aber heute bist du nicht fröhlich, fast hätte ich dich nicht erkannt. Und es ist auch nicht Weihnachten oder Ostern. Es sind nicht mal Ferien! Du müsstest doch in der Schule sein und wie bist du eigentlich ohne Auto hier hergekommen? Wo sind deine Eltern?
Und warum stehst du hier nur so rum und klingelst nicht?
Nein – nicht weggehen. Alle anderen Türen sind doch auch zu! Das macht doch keinen Sinn, jetzt noch mal ums Haus zu schleichen.
Weg bist du.
Ich bin nur die Tür und ich weiß nicht viel. Aber Menschen, die vor mir stehen, nicht klingeln und dann wieder weggehen – das ist nix Gutes. Das ist schlimmer als Menschen, die mich wütend zuschlagen.
Irgendetwas stimmt nicht.
Und die alte Dame hat auch nicht soviel eingekauft, wie sie das sonst tut, wenn sie Besuch bekommt.
Da bist du wieder – und ja, genau: Da ist die Klingel. Endlich!
Hoffentlich hört dich die alte Dame in der Küche, jetzt, wo sie gerade kocht.
Und hoffentlich spielt sie jetzt nicht die strenge Lehrerin, die sie vierzig Jahre lang war.
Jetzt keine falsche Fragen oder sonstwas. Es wird Zeit, dass du reinkommst ins Haus!
Ihre Schritte kommen näher.
Ihre warmen Hände drücken meinen Griff nach unten und sie zieht mich auf.
Möchtest du mitessen, fragt sie.
Ja, sagst du und huschst schnell in den Flur.
Ich falle ins Schloss. Das wichtigste ist geschafft.
Oder?
Und jetzt?
Kommen jetzt gleich deine Eltern?
Oder die Polizei?
Ein junges Mädchen, das die Schule schwänzt und Strecken zurücklegt, die man sonst nur mit dem Auto fährt, ist schon ein Fall für die Mordkommission. Oder?
Keiner kommt.
Und ich höre nichts, seit du mit der alten Dame ins Esszimmer gegangen bist und ihr die Tür geschlossen habt. Aber ich bin es auch gewohnt, dass stundenlang nix passiert.
Aber da bist du wieder. Mit der alten Dame.
Nicht ganz so fröhlich wie an Weihnachten, aber ich kann deine Augen wieder sehen.
Groß und braun, mit langen Wimpern. Du hast geweint, aber das ist jetzt vorbei, da glitzert wieder was.
Du hast es eilig.
Ruf mich an, wenn du wieder zu Hause bist, ja?
Ja, mach ich.
Sie winkt dir hinterher, wie immer, du blickst dich um. Und läufst rückwärts, bis die Straße dich verschwinden lässt.
Die alte Dame steht noch eine Weile da und schließt mich.
Ich bin nur die Tür und ich weiß nicht viel. Aber ich glaube, du kommst wieder und dann klingelst du sofort, die alte Dame wird dir immer öffnen.
Ich bin die Tür. Das hat Jesus einmal von sich gesagt und hinzugefügt: Wenn jemand durch mich hineingeht, wird er gerettet werden und wird ein- und ausgehen und einen Platz zum Leben finden. (Johannes 10,9)
Einen Platz, an dem sie weinen können und glücklich sein – den wünscht Ihnen Katrin Berger, Pfarrerin in Hamm