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Das Geistliche Wort | 21.05.2018 | 08:35 Uhr

Wes Geistes Kind sind wir?

Wes Geistes Kind sind wir? Diese Frage taucht oft dann auf, wenn größere Krisen anstehen, umfassende Entscheidungen gefordert sind. Das ist eine klärende Frage. Und sie kann helfen – mir als Einzelnem wie auch der Gesellschaft als Ganzer, wenn es eben um mehr geht als um die Gestaltung eines freien Tages wie den heutigen Pfingstmontag.

Guten Morgen!

Musik I

Also: Wes Geistes Kind sind wir?

Wenn eine Gruppe in eine tiefe Krise gerät, dann lassen sich fast immer zwei Gründe ausmachen.

Der erste Grund liegt im Ausscheiden der Gründer- oder Leitfigur. Das passiert in Firmen und Parteien genauso wie in kirchlichen Gruppen – z.B. in Ordensgemeinschaften. Da kenne ich mich aus, weil ich selber Ordenspriester bin. Wenn eine unangefochtene Autorität ausfällt, etwa durch Tod, Pensionierung, Stellenwechsel oder aus anderen Gründen, bleibt zunächst eine Lücke. Wenn z.B. in einer Familie die Mutter stirbt, die Streit schlichten und zwischen den unterschiedlichen Meinungen der Kinder vermitteln konnte, dann wird es weiterhin schwierig, zu Lösungen zu kommen. Oder nehmen Sie den souveränen Chef, der sein Unternehmen durch die wirtschaftlichen Klippen manövriert hat, der für jeden Mitarbeiter ein offenes Ohr hatte und seinen Betrieb zu solidem Gewinn geführt hat: Wie lange braucht es, damit seine Stelle adäquat ausgefüllt wird, falls dies überhaupt gelingt? Das Ausscheiden einer souveränen und allseits akzeptierten Führungsfigur hat so manches Unternehmen, so manche Gruppe in eine tiefe Krise gestürzt oder manchen Menschen durch diesen Verlust verunsichert. Auch jeder Orden kennt das, wenn seine Gründerfigur stirbt. Das bedeutet dann zunächst: Krise.

Der zweite Krisen-Grund einer Gruppe hat etwas zu tun mit dem Wechsel der Rahmenbedingungen. Immer dann, wenn sich zum Beispiel die wesentlichen Umstände für die Entstehung eines Unternehmens verändern, gerät dieses und seine eigene Substanz in Gefahr. Auch hierzu zwei Beispiele. Wenn heute der Weltmarkt dafür sorgt, dass hierzulande niedrigere Preise für einheimische Güter gezahlt werden, stürzt das die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Krise. Sei das bei den Milchbauern oder bei den Stahlkochern. Das trifft besonders hart. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und ich weiß noch, wie das in den Nachkriegsjahren war, als durch Stahl und Bergbau solide Geld verdient wurde. Kohle und Stahl bildeten den Grund des Wirtschaftswunders der Bundesrepublik. Dass sich die Rahmenbedingungen hier geändert haben, hat meine Heimatregion in eine große Krise gestürzt, das heißt dann so schön „Strukturwandel“.

Ein zweites Bespiel betrifft die hiesige Ordenslandschaft, wo ich mich auskenne. Im 19. Jahrhundert war ein wesentlicher Auslöser für die Entstehung vieler sozial-caritativer Ordensgemeinschaften vor allem die Industrialisierung und Verstädterung. Mangelnde Versorgung der Kranken und Alten und fehlende Schulbildung ließen neue Ordensgemeinschaften entstehen, die sich genau dieser Defizite annahmen. Heute sind diese Bereiche in Deutschland durch den Staat geregelt. Der garantiert eine allgemeine Schulbildung und regelt auch die Grundversorgung von Kranken und Alten. Früher sind viele Männer und Frauen Nonnen oder Mönche geworden, weil sie in genau diesen Bereichen arbeiten wollten. Heute geht dafür kaum jemand mehr ins Kloster. Lehr- und Krankenpflegeberufe sind längst säkularisiert. Die großen Ordensgemeinschaften wie z.B. die Clemensschwestern, die unzählige Krankenhäuser etwa im Münsterland unterhielten, haben heute große Nachwuchsschwierigkeiten. Und sie sind nicht die einzigen. Zu tiefgreifend sind heute die Veränderungen der äußeren Lebensbedingungen für die Ordensgemeinschaften und andere kirchliche Unternehmen im Vergleich zur Gründungszeit.

Musik II

Eine Gruppe schlittert ganz schön schnell in die Krise, wenn sie die Leitfigur verliert oder wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und das „Geschäftsmodell“, so nenne ich das mal, in Frage gestellt wird. Was tun angesichts solcher Umbrüche? Was tun, angesichts einer grundlegenden Krise in einer Organisation, einem Familienunternehmen, einer Gruppe, in kirchlichen Vereinigungen in den Klöstern?

Die meisten halten inne: „Rückbesinnung“ ist angesagt als klassische Strategie. Es wird zurückgeschaut auf die Ursprünge, auf die anfänglichen Rahmenbedingungen: Was war damals der Auslöser für die Entstehung unserer Einrichtung? Welche Antworten wurden gegeben auf die früheren Herausforderungen und Nöte?

Zur Besinnung kommt dann oft noch der Versuch hinzu, im Geiste des Gründers oder der Gründerin weiter zu denken und zu wirken. Welche Herausforderungen und Nöte liegen jetzt an? Der Geist der unangefochtenen Autorität wird beschworen, um die Krise zu managen, um Lösungen für aktuelle Probleme zu finden, um zu neuen, zukunftsorientierten Entscheidungen und Handlungsstrategien zu gelangen.

Und damit komme ich zu dem, was gestern gefeiert wurde und heute, am Montag noch vielen Menschen hierzulande sogar einen freien Tag beschert: Das Pfingstfest. Beschwörung des Gründergeistes und Rückbesinnung auf ursprüngliche Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen. Genau das markiert, was an Pfingsten Jahr für Jahr von Christen gefeiert wird. Die Anhänger Jesu sind der biblischen Überlieferung nach nämlich auch in der Krise. Fakt ist, dass Jesus nicht mehr bei den Jüngern ist, die Gründungsfigur also nicht mehr da ist. – Egal wie man sich Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu vorstellt.

Fakt ist auch, dass sich die Rahmenbedingungen der ersten Anhänger Jesu hin zur christlichen Kirche deutlich zu verändern beginnen: Schnell fassen sie den Entschluss, die Frohe Botschaft nun nicht mehr nur dem Volk Israel zu bringen, sondern auch allen anderen Völkern bis an die Grenzen der Erde. Eine weitere Frage ist die, ob für neue Christen die jüdische Beschneidung eine Voraussetzung ist oder nicht. Schließlich stellt die gesamte Hinwendung zum Heidentum durch den Apostel Paulus, der Jesus nie gesehen hat, einen massiven Umbruch dar, mit vielen Konsequenzen für das Alltagsleben. So darf kein Fleisch mehr gegessen werden, das zuvor heidnischen Göttern geopfert worden war. Und die Jerusalemer Urgemeinde soll durch Spenden von allen Christen unterstützt werden.

Die junge Kirche muss eben viele Entscheidungen treffen und kann ihren Gründer, Jesus von Nazareth, nicht mehr fragen, was und wie sich alles entwickeln soll.

Damit es aber weitergeht, damit dieser Umbruch, diese Krise gemeistert werden kann, versuchen die Jünger, im Geiste Jesu zu handeln. Sie fragen daher ganz einfach: „Wie hätte Jesus wohl gehandelt?“ In seinem Geiste die Geschicke der Kirche weiterzuführen bedeutet – eigentlich bis auf den heutigen Tag – den Geist dieses Jesus, des Christus, anzurufen.

Musik III

Der Geist Jesu, der Geist Gottes, der Heilige Geist spielt eine wichtige Rolle, um der Kirche in den Umbrüchen und Veränderungen der Zeit eine Identität zu geben, um zu gewährleisten, dass es einen Ausweg aus Krisen gab und gibt. Dafür stand der Rückbezug auf den Geist Jesu, den Heiligen Geist. Im Neuen Testament ist das bereits angekündigt: Jesus sagt da, dass er „seinen Geist“ schicken wird als guten Ratgeber. Und darauf wird sich dann berufen, bis heute. Und es ist bemerkenswert: Dieser Geist ist immer für Überraschungen gut.

Umgekehrt gilt aber auch: Der Geist Gottes darf nicht missbraucht werden, was leider bis auf den heutigen Tag geschieht. Denn wer beruft sich nicht alles auf diesen Geist, um seine Ideologien damit zu untermauern und seine Meinungen und Beurteilungen zu rechtfertigen. Ich denke da zum Beispiel an christliche Fundamentalisten oder an die Beschwörung des christlichen Abendlandes, um gegen Flüchtlinge, Migranten oder Andersgläubige zu hetzen.

Es gilt also noch einmal, sehr umsichtig mit dem Geist Jesu, mit dem Heiligen Geist umzugehen.

Woran ließe er sich wohl erkennen? Schon die Bibel vergleicht den Geist mit dem Wind und sagt (Joh 3,8): „Der Geist weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“

Für mich zeigt sich darin eine besondere Qualität des Geistes: Der Geist Gottes ist sozusagen eine heilsame Beunruhigung. Oder, wie es Michael Klessmann, ein evangelischer Theologe unserer Tage formuliert: „Der Geist streicht gewissermaßen alles wieder durch, was Bekenntnis, Dogmatik und Ethik an vermeintlichen Eindeutigkeiten und Gewissheiten formulieren. Der Bezug auf den Geist bedeutet: Es könnte alles auch ganz anders sein, nicht nur die Lebensverhältnisse unserer Welt, sondern eben auch die Glaubensverhältnisse in den Religionen und bei Einzelnen.“

Und er fordert: „Bleibt offen für diesen – geistlichen – Vorbehalt.“

Musik IV

Es könnte alles ganz anders sein. Das ist die heilsame Beunruhigung des Geistes Jesu, des Heiligen Geistes. Aber hilft diese Vorstellung, wenn größere Krisen anstehen, umfassende Entscheidungen gefordert sind – für mich als Einzelnen wie auch für ganze gesellschaftliche Gruppen und Einrichtungen, für Unternehmen, für die Kirche?

Ich denke ja, und zwar aus zweierlei Gründen: Die Vorstellung vom Geist Gottes als der heilsamen Beunruhigung hält weiter die Frage offen: Wes Geistes Kind sind wir? Wes Geistes Kind bin ich? Worauf stützen sich meine Gewissheiten? Bin ich offen genug, auch das anzunehmen, mit dem ich gerade nicht rechne? Darf es Wandlungen geben, auch wenn ich sie nicht überblicke?

Und ein zweiter Grund. Bei all den Fragen, die Umbrüche mit sich bringen, bei all den Verunsicherungen eines Wandels, bei dem der Geist heilsam beunruhigt und sagt: „Es könnte alles auch ganz anders sein“, er ist zugleich der Geist, der da ist – egal was kommt.

Und des Geistes möchte ich sein: Des Geistes, der da ist und der mich heilt, indem er mich beunruhigt.

Musik V

Aus Duisburg grüßt sie Pater Philipp Reichling

*Michael Klessmann, Ambivalenz und Glaube, Stuttgart 2018, 241.

** Ebd.

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