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Das Geistliche Wort | 10.06.2018 | 08:35 Uhr

Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben?

Guten Morgen!

Hipp, Hipp, Hurra. Es war das Jahr 1981. Ich hatte mein Abitur in der Tasche. Meine Schullaufbahn mit allen Höhen und Tiefen war beendet. Endlich frei! Was für ein Hochgefühl! Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich am nächsten Tag meine Großeltern besuchte. Natürlich hatten nicht nur meine Eltern, sondern auch die Großeltern meinen schulischen Werdegang begleitet. Mein Großvater weinte vor Freude. Ich war der Erste aus der Familie mit Abitur. Er selbst hatte nie die Chance erhalten. Geboren noch im Kaiserreich und dann nach kurzer Schulzeit wurde er Drahtzieher in einem Stahlbetrieb im Ruhrgebiet. Harte körperliche Arbeit am Tag und in der Nacht, Lärm und Hitze – meist noch zu einem Hungerlohn. Ein Großteil seiner Generation war noch nicht erwachsen und musste bereits in einer Fabrik arbeiten. Arbeitsbedingungen, die man sich heute kaum noch vorstellen kann.

Ich habe dann später Theologie und Pädagogik studiert und arbeite heute beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Und das Thema Arbeit liegt mir sehr am Herzen. Ich frage mich: Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?

Musik I

Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben? Zur Zeit meines Großvaters vor 100 Jahren war die Antwort wohl: Du lebst, um zu arbeiten. Und die biblische Begründung wurde gleich mitgeliefert: Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen! Sündenfall – Schluss mit dem Paradies. Tja – Und seitdem müssen wir arbeiten.

Weltweit – so eine Uno-Studie – schuften 40 Millionen Menschen gegen ihren Willen auf Baustellen, in Minen, in der Landwirtschaft. Zum Vergleich: Das ist jeder zweite Bundesbürger. Aber ist körperliche Schwerstarbeit, ist Kinderarbeit, ist moderne Sklaverei hinzunehmen?

Klare Antwort: Nein!

Bereits vor mehr als 125 Jahren hat Papst Leo das Rundschreiben „Rerum Novarum“ verfasst, die erste katholische Sozialenzyklika. Der Papst ist davon überzeugt, dass die Menschen Wert und Würde aus ihrer Arbeit ziehen sollen. Eine Arbeit sollten sie haben, die sie nicht krank macht und sie sollen für gute Arbeit fairen Lohn erhalten. Für Papst Leo ist Arbeit mehr als Gelderwerb. Sie ist Teil des Menschseins.

Papst Leo reagierte auf die Herausforderungen, welche die Industrialisierung mit ihren sozialen und kulturellen Folgen mit sich brachte. Es standen Fragen im Vordergrund zum Verhältnis von Kapital und Arbeit und Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Reflektiert wurde auch die moralische und religiöse Bedeutung der Arbeit.

So wurden immer wieder Sozialenzykliken veröffentlicht, die den Wert der menschlichen Arbeit herausstellten. Keiner hat dies so deutlich gemacht wie Papst Johannes Paul II. 1981 hat er erstmalig in der Kirchengeschichte ein eigenes Lehrschreiben der Arbeit gewidmet. Die Arbeit ist ein Gut für die Menschen – für sein Menschsein –, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpasst, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen mehr Mensch wird. So der Gedanke von Papst Johannes Paul II.

Die theologische Verknüpfung von Arbeit und Menschenwürde findet ihren programmatischen Ausdruck in der oft zitierten Formel: „die Arbeit (ist) für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit“ (Nr. 6). Entsprechend kritisiert der Papst Arbeitsverhältnisse, die den Menschen zum funktionalen Element des Produktionsprozesses erniedrigen (vgl. Nr. 7). Der Papst versteht den biblischen Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen, als Aufforderung zur Umwandlung der Erde durch Arbeit. Ich verstehe das so: Auch im Beruf und am Arbeitsplatz ist der Mensch dazu berufen, Mitarbeiterin oder Mitarbeiter Gottes zu sein.

Aber das ist manchmal ein schwieriges Unterfangen: Es geht nicht darum, eine neue Gewerkschaft oder einen christlichen Betriebsrat zu gründen. Es geht um eine neue Annäherung zwischen den Kirchen und der Arbeitswelt.

Noch 1975 heißt es im Synodenbeschluss der deutschen Bischöfe zum Thema „Kirche und Arbeiterschaft“

Sprecher:

„Soll es nicht dabei bleiben, daß die Arbeiterschaft, anstatt in die Kirche hineinzuwachsen, zum sehr großen Teil ihr entwachsen ist, soll jetzt vielmehr die Kirche in die Arbeiterschaft hineinwachsen, dann gilt es, die spezifischen Ursachen ausfindig zu machen und so viel wie möglich auszuräumen, die Kirche und Arbeiterschaft in Gegensatz zueinander gebracht haben.“

Was aber hat Kirche und Arbeiterschaft gegeneinander aufgebracht? Eine Fehlentwicklung war sicherlich das problematische Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der Kirche. Das war zum Beispiel das Problem meines Großvaters. Er war strammer Sozialdemokrat und Gewerkschafter und gleichzeitig Katholik. Also in der Kirche ein „Roter“ und im gewerkschaftlichen Kollegenkreis ein „Schwarzer“. Von beiden Seiten beargwöhnt, dabei beschäftigen sich Kirche und Gewerkschaften aber mit derselben Frage: Leben wir, um zu arbeiten? Oder arbeiten wir, um zu leben?

Musik II

Die Arbeit steht im Zentrum des Lebens. Und zwar nicht nur, weil sie Geld bringt, sondern weil Arbeit auch Sinn und Identität stiftet. Was wäre wohl umgekehrt, wenn es keine Arbeit gäbe? Kaum noch Bestätigungen, kaum noch Erfolge. Ob das erstrebenswert ist?

Wie zur Zeit der Industrialisierung hat sich die Arbeit in den letzten Jahren erneut gewandelt. Arbeiterinnen und Arbeiter am Fließband gibt es immer weniger stattdessen vollautomatisierte Fertigungsanlagen. Der Kollege Roboter hat längst die arbeitenden Menschen abgelöst und aussortiert.

Doch diese digitalisierte Arbeitswelt existiert nicht nur in den Fabriken. Selbst beim Einkaufen zeigt sie sich. Die Scannerkasse ersetzt zunehmend die Verkäuferin. Der Kunde muss bloß seine Waren unter einen Scanner schieben und kann mit Karte bezahlen. Kein Leerlauf, effizientes Nutzen der Zeit. Nach und nach verschwinden in vielen Branchen die lebenslangen, gesicherten Arbeitsverhältnisse. Wo bleibt da die Würde der Arbeit und noch dazu der menschlichen Arbeit?

Wie vor mehr als 125 Jahren, als Papst Leo seine Enzyklika zur Industrialisierung schrieb, droht die Arbeitswelt wieder aus den Fugen zu geraten. Nun gilt es erneut die Würde des Einzelnen einzufordern, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht, um den Rhythmus von Arbeit und Ruhe. Wenn es um gute Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung geht.

Allein in Deutschland haben weit über 3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befristete Arbeitsverträge. Das ist fast jeder zehnte Beschäftigte. Vor allem junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen viel zu oft nur befristete Verträge. Mehr als 60 Prozent aller befristet Beschäftigten sind unter 35. Wie soll denn hier eine Lebensplanung stattfinden? Oder eine Familie gegründet werden? Auf welcher Grundlage denn, bitteschön? Und das in Zeiten, wo alles so rosig aussieht am Arbeitsmarkt und das Ziel Vollbeschäftigung heißt.

Auch heute sind es also immer noch ähnliche Befürchtungen und Hoffnungen, wie zu meines Großvaters Zeiten. Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?

Musik III

Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben? Die digitale Welt, das Informationszeitalter hat unsere Arbeitswelt verändert und wird sie schlagartig noch weiter verändern. Aber was heißt das konkret?

Zunehmend wird es keine starren, sondern flexible Arbeitszeiten geben und den „Job“ für das ganze Leben – die Idee kann man wohl vergessen. Beschäftigte werden künftig unterschiedliche Berufe an unterschiedlichen Standorten haben. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können auch schon heute nicht mehr sagen: „Jetzt habe ich Feierabend!“, weil schon die nächste Email wartet. Wie lässt sich verhindern, dass die Arbeit des Menschen immer mehr verdichtet wird, immer mehr beschleunigt wird, immer mehr abgewertet wird? Dabei ist der technische Fortschritt kein unausweichliches Schicksal. Auch im Zeitalter der Digitalisierung sollte klar sein, dass technische Entwicklung immer nur ein Werkzeug ist und dem Menschen zu dienen hat – und nicht umgekehrt.

Alles Humane stellt sich nicht von selber ein! Daher drei Ratschläge, die vielleicht weiterhelfen:

1.Es sollte immer an erster Stelle stehen: Arbeit ist mehr als Broterwerb, sie ist Teil des Menschseins, des Lebenssinns. Deshalb kann es nicht egal sein, was und wie der Mensch arbeitet.

2.Auch wenn der christliche Glaube keine Sicherheiten verspricht: Der Glaube besagt, dass Menschen immer wieder Neues wagen und dabei auch in ein ungewisses Land aufbrechen sollen. Manchmal bedeutet es: paradiesische Zustände aufgeben zu müssen.

3.Und drittens komme ich wieder auf meine Ausgangsfrage: Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben? Es kommt dabei auf meine innere Haltung an. Ich meine: Auch während ich arbeite, sollte ich leben – und bitte nicht schlecht!

Musik IV

Genießen Sie den heutigen Sonntag. Der Sonntag ist mehr als ein Tag der Erholung, der Regeneration der eigenen Arbeitskraft. Er ermöglicht Distanz zum Alltag, zu den Selbstverständlichkeiten der ökonomischen und technologischen Entwicklung, Distanz auch zu den eigenen Bedürfnissen und Interessen und damit Offenheit für andere, Offenheit sogar für Gott.

Es grüßt Sie Hans Ulrich Nordhaus aus Cappenberg.

*1Spiegel online vom 19.09.2017, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zwangsarbeit-uno-schaetzt-zahl-moderner-sklaven-auf-40-millionen-a-1168688.html; abgerufen am 24.05.2018

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