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Das Geistliche Wort | 03.06.2018 | 08:35 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Licht und Dunkelheit

Musik 1: Ludovico Einaudi, CD: Elements,

Track 2, Titel: Night, Interpreten: Ludovico Einaudi , Label: Decca (Universal Music) (2015), LC 00171

Sprecher (Mann): „Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben. Nur Licht kann das. Hass kann den Hass nicht vertreiben. Nur Liebe kann das."(1)

Autorin: Guten Morgen!

Im Dezember 2016, nach den Terroranschlägen in Berlin, waren diese Zeilen von Martin Luther King Junior überall in den sozialen Medien zu lesen.

Eine klare Ansage gegen alle Extremisten,

Rechtspopulisten, besorgten Bürger,

fundamentalistischen Christinnen und Christen, Neonazis und viele mehr.

Sie sprachen nach den Anschlägen reflexhaft von Krieg, von Rache, Hass und Gewalt.

Sie wollten die Grenzen für Geflüchtete am liebsten sofort schließen.

„Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben. Nur Licht kann das.

Hass kann den Hass nicht vertreiben. Nur Liebe kann das."

Beide Sätze sind richtig

Aber die Verknüpfung der beiden Satzhälften macht dieses Zitat für mich schwierig.

Warum? Es wird vorausgesetzt, dass Dunkelheit beseitigt werden muss, genauso wie Hass.

Und: Dunkelheit wird mit Hass verknüpft und Licht mit Liebe.

Aber ist das so?

Helfen diese Vereinfachungen? Ich finde nicht.

Im Gegenteil. Sie können auch Gräben vertiefen.

Sie können einseitige Zuschreibungen und Bilder aktivieren.

Und davon gibt es viele:

Schwarz - Weiß - Malerei

Schwarzer Peter, schwarze Liste,

schwarze Kasse, Schwarze Magie

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Niemand.

Und wenn er aber kommt? Dann laufen wir.

„Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben. Nur Licht kann das.

Hass kann den Hass nicht vertreiben. Nur Liebe kann das."

Das Dunkle wird als schlecht und gefährlich angesehen.

Das Helle als gut und beruhigend.

So einfach geht das.

Es gibt Orientierung in unsicheren Zeiten.

Doch so einfach ist es gar nicht. Es gibt auch Zwischentöne und Schattierungen. Und da wird es spannend.

Musik 1

Autorin: Ich habe eigene Erfahrungen mit der Dunkelheit gemacht.

Ein Beispiel:

Im Herbst vor zwei Jahren war ich zwei Wochen auf der schottischen Insel Iona und habe die Iona Community besucht. Es ist eine ökumenische Kommunität, die sich für moderne Liturgie und Spiritualität, internationale Friedensarbeit und nukleare Abrüstung einsetzt. Auf der Insel gibt es keine Straßenlaternen. Jeden Abend habe ich einen Spaziergang in der Dunkelheit gemacht. Meine Erfahrung:

Je länger ich im Dunklen gegangen bin, desto mehr habe ich gehört, gerochen, gefühlt und schließlich auch gesehen.

Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und haben Schattierungen unterschieden.

Ich habe Umrisse und andere Lichtquellen wie Katzenaugen, Glühwürmer, Bootslichter im Wasser, Sterne oder Mondlicht wahrgenommen. Nur wenn mir jemand mit einer Taschenlampe entgegenkam und mich anstrahlte, habe ich überhaupt nichts mehr gesehen. Zu grell war das Licht. Es hat alle anderen Schattierungen und Farbnuancen um mich herum verschluckt.

Je länger ich im Dunkeln gegangen bin, desto intensiver habe ich die Wellen gehört, Möwen über der Bucht, ein Fischerbootsmotor in der Ferne, ein Windstoß im Wipfel vom Baum in der Nähe. Ich habe Seetang gerochen, die salzige Luft geschmeckt und meinen Atem gespürt.

Es waren intensive Momente. Kostbar, selten. Wann bin ich schon mal so bewusst in der Dunkelheit? Gerne möchte ich es öfter sein.

Musik 2: Kalle Mattson, Someday, the Moon Will Be Gold (CD)

Track 2 (4:33), Titel: Darkness, Komposition/Interpreten: Kalle Matson, Label: Listenrecords (2015),

„Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben. Nur Licht kann das.

Hass kann den Hass nicht vertreiben. Nur Liebe kann das."

Nein, Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben.

Aber sie muss es auch gar nicht.

Denn nicht die Dunkelheit ist gefährlich, sondern das, was in der Dunkelheit geschehen kann. Deshalb ängstigen sich Menschen in der Dunkelheit.

Das ist das Problem.

Die Angst schreibt der Dunkelheit Gefahren zu, weil Menschen nichts sehen,

keine Kontrolle haben, keine Sicherheit und keinen Schutz.

Das ist nachvollziehbar.

Denn in der Dunkelheit kann ich nunmal weniger sehen.

Und ich weiß nicht, was hinter der nächsten Ecke passiert…. In der Regel nichts.

Und trotzdem.

Der Münsteraner Lichtforscher Christian Saalbur hat seine Doktorarbeit über die Zusammenhänge von Dunkelheit und Kriminalität geschrieben. (2)

Er kommt zu dem Schluss, dass Dunkelheit insgesamt nicht zu vermehrten Straftaten führt. Tatsächlich würden nachts in den letzten Jahren immer seltener Straftaten aktenkundig. Es gebe sogar einen besonders deutlichen Rückgang bei nächtlichen Gewalttaten. Einzige Ausnahme seien die Intensivtäter. Sie sind Tag und Nacht aktiv.

Warum wird Dunkelheit dennoch als gefährlicher wahrgenommen?

Saalburg erklärt, dass vor allem die spektakulären Fälle in die Medien kommen.

Und die geschehen vor allem nachts. Diese Fälle machen aber nur einen kleinen Teil der Gesamtkriminalität aus. Die Wirklichkeit sieht also anders aus.

Damit wird die Dunkelheit denjenigen überlassen,

die etwas zu verbergen haben, die Dunkelheit schätzen, weil sie bei ihren zweifelhaften Geschäften nicht gestört werden wollen. Sie übernehmen die Dunkelheit, weil es andere nicht tun.

Das ist schade. Denn es gibt auch einen Zauber der Dunkelheit.

Wenn ich im Winter früh morgens an der Ruhr laufe, spüre ich ihn.

Er umfängt mich, grüßt mich, hüllt mich ein.

Ich habe meine Ruhe, wenn ich im Dunkeln laufe. Niemand starrt mich an, kein Hund schreckt mich auf. Ich muss auch keine Kommentare zu meinem Laufstil fürchten.

Ich kann einfach ungestört meinen Gedanken nachhängen und die Stille einatmen.

Und die Dunkelheit kann auch Schutz bedeuten.

Schutz vor Verfolgung.

Schutz vor zu viel Sonne, Hitze und Licht.

Schutz vor Überbelichtung, vor zu vielen Eindrücken,

vor zu vielen Bildern,

vor zu viel Hass und Gewalt.

Dunkelheit kann bedeuten:

Ruhe, Rückzug in eine Höhle, in eine Kirche,

ins Schlafzimmer, an einen ruhigen Ort,

an dem das Auge ruhen kann;

Pause, Unterbrechung, Stille, Schlaf.

Ohne Dunkelheit werden Menschen genauso krank wie ohne Licht.

Ohne Dunkelheit gibt es zu wenig Pausen, Ruhepunkte und Verlangsamung.

Ohne Dunkelheit ist es schwieriger, sich zurückzuziehen und Hektik zu unterbrechen.

Ohne Dunkelheit gibt es weniger Mut zu Tränen und Umarmungen, zu Zärtlichkeit und Liebesspiel.

Im Licht werden die Sehnerven oft überfordert.

Alle anderen Sinnesorgane verkümmern und verlieren ihre Kraft.

Zu viel verlagern die Sehenden ihr Vertrauen auf Helligkeit und Licht.

Rainer Maria Rilke hat es in einem Gedicht aus dem Jahr 1919 so formuliert:

Sprecher (Mann): „Du Dunkelheit, aus der ich stamme

ich liebe dich mehr als die Flamme,

welche die Welt begrenzt,

indem sie glänzt

mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -

für irgend einen Kreis,

aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:

Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie's errafft,

Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft

rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte." (3)

Musik 3: The Mortal Instruments: City of Bones. Original Picture Soundtrack (CD),

Track 5 (4:16), Titel: When the Darkness Comes, Interpreten: Colbie Calliat, Label: Universal Republic Records (2013), LC 25289

Autorin: Auch in der Bibel gibt es Bilder von Licht und Dunkelheit.

Auch hier werden Licht und Dunkelheit zumeist bewertet.

Das Licht bringt Erleuchtung, Heil und Schutz und setzt sich von der Dunkelheit ab.

Im Johannesevangelium wird Jesus sogar mit Licht gleichgesetzt.

Sprecher: „Jesus spricht: Ich bin das Licht der Welt.

Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis,

sondern das Licht des Lebens haben." (4)

Autorin: Im Alten Testament sieht es ähnlich aus.

Gott ist das Licht oder die Wolke oder das leuchtende Feuer, das den umherirrenden Israeliten auf der Flucht und im Exil Orientierung verspricht.

Gott spendet Licht, das allen Gläubigen und Ungläubigen,

Zweifelnden und Suchenden Trost und Halt gibt.

So wie ein Glaubender (?) in Psalm 36 betet:

Sprecher: „Denn bei Dir Gott ist die Quelle des Lebens

Und in deinem Lichte sehen wir das Licht“ (5)

Musik 1

Autorin: Aber die Bibel kennt auch andere Bilder.

Sie ist differenzierter als ein erster Blick vermuten lässt.

Im ersten Buch Mose wird die Geschichte von Jakob erzählt.

Er hatte als junger Mann den Erstlingssegen von seinem sterbenden Vater Isaak erschlichen.

Gegenüber dem fast blinden Vater hatte Jakob sich als seinen älteren Bruder Esau ausgegeben. Denn gemäß der Tradition hätte eigentlich der ältere Bruder den Segen erhalten müssen. Jakob hatte sich Ziegenfell über die Arme gelegt, da Esau viel behaarter war als er. Nach dem Betrug musste Jakob ins Ausland fliehen und im Exil leben. Als er viele Jahre später in seine Heimat zurückkehrte, traf er einen Fremden am Fluss Jabbok. Dort hatte er sein Nachtlager aufgebaut. Jakob kämpfte nun die ganze Nacht mit diesem Unbekannten. (6)

Doch mit wem kämpfte Jakob wirklich in jener Nacht? Gegen sich selbst und gegen sein schlechtes Gewissen? Er kämpfte mit dem Unbekannten und ließ dabei seinen Gefühlen von Schuld und Scham freien Lauf. Er kämpfte mit dem Fremden um seine Würde und um Vergebung, um seine Zukunft und um Gottes Segen. Was er nicht wusste: Der Fremde war Gott selbst. Jakob kämpfte gegen Gott in jener Nacht. So wird es erzählt.

Der Kampf fand am Ufer vom Fluss Jabbok statt.

Es war ein Kampf im Schlamm,

Ein Kampf auf der Grenze zwischen trocken und nass,

zwischen Nacht und Tag, Leben und Tod, schuldig und nicht schuldig,

zwischen Sein und Nicht-Sein, Ende und Neubeginn, Todesgefahr und Gottes Segen.

Am Ende der Nacht hatten weder der Fremde noch Jakob den Kampf gewonnen.

Aber Jakob erlitt eine Verletzung an der Hüfte.

Er blieb gezeichnet und verändert zurück.

Hinkend musste er von da an weiter leben.

Aber Gott, der Unbekannte, hat ihn gesegnet, bevor er verschwandt.

Der Kampf, die Veränderung und der Segen geschahen in der Dunkelheit, noch bevor der neue Tag dämmerte.

Musik 3

Autorin: Jakob hat um sein Leben gekämpft. Es ging ums Ganze.

Und all das geschah nachts in der Dunkelheit. Danach hat sich sein Leben verändert.

Ohne die Geschehnisse der Nacht würde weniger Neues entstehen.

Insofern muss die Dunkelheit die Dunkelheit nicht vertreiben. Denn sie hat ihren eigenen Platz im Leben und ist wichtig.

Es braucht also nicht nur Licht, sondern auch Dunkelheit.

Es braucht die Grautöne, Zwischentöne, Schattierungen,

Lichteinfälle, Abschattungen, Verstecke,

Rückzugsorte, Höhlen und Schutzräume - im Hellen wie im Dunkeln.

Ohne Bewertung und Schubladendenken.

Keine Schwarz- Weiß - Malerei.

Keine Dämonisierung des Schwarzseins,

keine Verteufelung von Dunkelheit und Nacht.

Jakobs Kampf mit sich selbst und mit Gott geschah im Schutz der Nacht.

Der Kampf endete mit Gottes Segen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie wachsam bleiben für den Zauber der Dunkelheit und Gottes Segen immer wieder erleben können. Ihre Pfarrerin Kerstin Söderblom vom Ev. Studienwerk in Villigst in Westfalen.

Musik 2

-------------------------------------

(1) Dr. Martin Luther King Junior: Kraft zum Lieben, Eine Rede (1963).

(2) Christian Saalbur: Nachtkriminalität, http://www.politplatschquatsch.com/2014/10/nachtkriminalitat-ein-mythos.html (abgerufen: 6.02.2017)

(3) Johannesevangelium 8, 12.

(4) Rainer Maria Rilke: Du Dunkelheit, aus der ich stamme (1919), in: Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1986.

(5) Psalm 36, 10.

(6) 1. Buch Mose, Kapitel 32.

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