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Das Geistliche Wort | 05.08.2018 | 08:35 Uhr

Der Erfolgsmensch

Guten Morgen,

es ist schon ein paar Monate her, da kam ich abends nach Hause, setzte mich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. „Hart aber fair“ lief. Das Thema der Sendung war „Wampe oder Waschbrettbauch“. Eigentlich beides nicht mein Thema, aber ich ließ laufen und wollte mich entspannen.

Der Moderator stellte gerade einen Mann vor, ungefähr 40 Jahre alt. Der berichtete, von seinem Lebensstil und worauf er so achtet: Viel Bewegung, das ist das oberste Gebot. Das war für mich nichts Neues. Ich versuche auch, jeden Tag 10.000 Schritte zu schaffen. Soll ja gesund sein!

Der Gast in der Talkshow achtete aber auch auf andere Dinge: zum Beispiel eine optimierte Einwirkung von Licht und Temperatur, Nahrungsergänzungsmittel und ein ausgerechnetes Schlafzeitoptimum von sechs Stunden. Hin und wieder ein Personaltrainer.

Der Mann trug zudem spezielle Kleidung, die mit Sensoren alle Körperaktivitäten misst. Und er hatte sogar einen Sensor im Oberarm implantiert. So kann das Smartphone den Insulinspiegel permanent überwachen.

Ich muss gestehen, ich war schockiert.

Natürlich versuche ich auch, halbwegs gesund zu leben und wenn meine App abends nur 2.000 Schritte anzeigt, bekomme ich schon mal ein schlechtes Gewissen. Aber alles kontrollieren und optimieren...? Alles kalkulieren...? Alles planen und berechnen...? Solche Art der Selbstoptimierung, das ist nicht meine Welt.

Musik I

Selbstoptimierung als Lebensmodell, das ist nicht meine Welt. Ein bekanntes Sprichwort lautet zwar: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber was bedeutet das? Das bedeutet wohl: Ich muss die Zeit sinnvoll nutzen, um das Beste rauszuholen.

Wenn die Arbeitswoche geschafft ist, heißt es also nicht einfach: Füße hochlegen, wie ich, als ich mich vor den Fernseher hockte, um zu entspannen.

Es gibt auch in der Freizeit viel zu erledigen: nicht nur auf Fitness und Gesundheit achten, sondern auch soziale Kontakte pflegen oder das beste Schnäppchen im Sale finden. Verkaufsoffene Sonntage und 24-Stunden-Onlineshopping machen das möglich!

Bei so vielen Ansprüchen aber auch Möglichkeiten kommt es schon mal zu Freizeitstress. „Freizeitstress“, eigentlich ein Wort, das sich selbst widerspricht. Freie Zeit und Stress passen nämlich nicht zusammen. Also lasse ich das mal mit der freien Zeit, wenn es um Selbstoptimierung geht, denn der Erfolgsmensch kann es sich nicht leisten, einfach mal in den Tag hineinzuleben. Er lebt in einer Leistungsgesellschaft und das bedeutet die Zeit, die er hat, muss er möglichst effektiv nutzen. Optimierung ist angesagt – und zwar nicht nur im Beruf, sondern auch in der Freizeit – bzw. der Zeit vor und nach der Arbeit. Denn frei ist diese Zeit meistens nicht!

Musik II

Das Wichtigste für den Erfolgsmenschen ist – na klar – Erfolg. Der Erfolgsmensch „ist vor allem erfolgreich darin, erfolgreich zu sein“ , habe ich gelesen. Schwächen kann er sich offensichtlich nicht erlauben. Und was das bedeutet, hört sich dann so an:

Er muss eine Persönlichkeit entwickeln! Authentisch soll er sein, der Erfolgsmensch, ein richtiger Typ – nicht wie jeder, sondern ganz individuell, eine echte Marke. Normal zu sein, ist für den Erfolgsmenschen eine Horrorvorstellung. Er ist besonders und hat seinen persönlichen Style.

Er braucht eine gute Figur, einen tollen Partner oder eine tolle Partnerin, er braucht coole Hobbies. Und egal, was er sonst noch so in seinem Leben macht – das, was er macht, muss zu ihm passen und er muss es gut machen. Wenn er eine Familie gründet, muss er aufgeweckte coole Kids erziehen, die am besten schon charakterstark auf die Welt kommen. Um das zu unterstreichen, bekommen die Kinder auch mal eher ausgefallene Namen.

Fährt der Erfolgsmensch in den Urlaub, dann muss er sich was einfallen lassen. Mit dem Wohnwagen nach Holland ist ziemlich out. Dann schon eher luxuriös all inclusive in irgendeinem Urlaubsressort.

Beim Erfolgsmenschen kommen auch nur beste Speisen auf den Tisch – regionale und saisonale Kost mit den besten Inhaltsstoffen und kreativ zubereitet. Schließlich braucht der Erfolgsmensch die Power für seinen durchorganisierten Alltag.

Damit der Erfolgsmensch schließlich zeigen kann, wie erfolgreich er sein Leben meistert, nutzt er Facebook und Instagram. Imagepflege ist für den Erfolgsmenschen unverzichtbar!

So einen Erfolgsmenschen gibt es zum Glück nicht wirklich. Er ist eine übertriebene Zeichnung. Aber diese Karikatur weist auf eine große Gefahr hin: Selbstoptimierung kann den einzelnen Menschen von sich selbst entfremden.

Musik III

Ich frage mich: Wohin führt das überzogene Ideal eines Erfolgsmenschen? Werden hier nicht falsche und verheerende Zwänge aufgebaut? Immer wieder: Du musst, Du musst, Du musst!

Du musst dich selbst entwerfen. Du musst etwas aus dir machen. – Und je nach dem Maß wie mir das gelingt, so erfolgreich bin ich dann. In jedem Fall aber muss ich, sonst bin ich schnell abgehängt: ohne Erfolg keine Wertschätzung. Das fängt an beim Schulbesuch – natürlich Gymnasium – über den Studiengang – natürlich an einer internationalen Uni – bis zur Partnerwahl – natürlich auch Elite.

Anders formuliert: Entschleunigung kann sich der Erfolgsmensch eigentlich nicht leisten.

Ich bin überzeugt: Das Nicht-Müssen-Müssen ist vielleicht die eigentlich Strategie, um ein wirklicher Erfolgsmensch zu werden.

Wie wäre es, einen Gang runterzuschalten. – Nicht gleich mit dem Hintergedanken, um wieder Kraft für die anstehenden Aufgaben zu sammeln, sondern einfach mal so! Spazieren gehen; aber nicht um den Body-Mass-Index zu optimieren, sondern einfach um zu genießen. Ich zum Beispiel, ich lese heute noch ein Buch und genieße ein Eis!

Die Seele baumeln lassen, eigenen Gedanken nachgehen. Für mich ist klar: Ein Mensch ist nie nur das, was er sich erarbeitet hat. Ein Mensch ist nie nur der aktive Gestalter seines Lebens, er ist immer auch gestaltet, weil er eingebunden ist in Zusammenhänge: in soziale Zusammenhänge, in wirtschaftliche und kulturelle. Jeder Mensch verfügt über eine Vielzahl passiver Persönlichkeitsmerkmale. Das geht übrigens nicht erst damit los, auf welche Schule ein Kind gehen kann. Familie, Freunde, Werte, Glaube – vieles hab ich mir nicht selbst ausgesucht oder gar erarbeitet. Ich habe es mitgegeben bekommen oder vorgefunden.

Für mich ist klar: Der Mensch ist nie nur das Produkt seiner Entscheidungen und Leistungen. Viel mehr lebt er von dem, was er selbst gerade nicht machen kann: Er lebt von Zuwendung und Zuspruch. Christen nennen das „Gnade“. Gnade ist wie ein echtes Geschenk: ungeschuldet und voraussetzungsfrei. Wenn mir jemand sagt: „Das hast du toll gemacht!“ oder „Schön, dass du da bist!“ – dann hab ich keinen Anspruch darauf. Ich kann mir solche freundlichen Worte letztlich nicht verdienen. Trotzdem freue ich mich über sie. Ich habe nichts für sie getan. Sie sind mir einfach geschenkt worden. Und sie tuen gut.

Mir ist es wichtig, dass vor allem „Du musst“ ein „Du bist“ steht. Es ist das „Du bist“, das Gott jedem Menschen zusagt, weil er jeden – so wie er oder sie ist – ins Leben gerufen hat. Gott sagt: „Ich möchte, dass Du bist.“

Und dass ich bin, dafür habe ich nun rein gar nichts getan.

Musik IV

In seinem Ursprung ist jedes Leben nach christlichem Verständnis reines Geschenk. „Du bist“ steht vor jedem Leben und vor jeder Entscheidung, die es im Leben zu treffen gilt. „Du bist“ steht auch vor jeder Schulnote und jeder Bewerbung. „Du bist“ ist die Zusage, angenommen zu sein, gewollt zu sein – unabhängig und vor allen Leistungen. „Du bist“ ist die Logik Gottes. So sieht er auf uns Menschen. Er sieht unser Mühen, unsere Erfolge und unser Scheitern. Aber er bemisst uns nicht nach einer Leistungsbilanz. Body-Mass-Index und Kontostand sind ihm egal. Seine Haltung ist die Gnade. Gnade sieht immer den ganzen Menschen. Sie entdeckt hinter dem Handeln den guten Willen. Sie versteht und urteilt nicht vorschnell. Gnade lässt gelten.

Diesen gnädigen Blick, der gelten lässt, den vermisse ich im Zwischenmenschlichen. Wer einmal versucht, mit den Augen der Gnade auf die Welt und die Mitmenschen zu schauen, der entdeckt, dass jede und jeder einen unendlichen Wert hat – auch wenn er oder sie nicht perfekt ist – und dass alle Menschen doch nur das Gleiche versuchen: ein glückliches Leben zu führen.

Die Logik der Gnade setzt einen Kontrapunkt zum Leistungsdenken des Erfolgsmenschen. Gnade hebelt das Leistungsprinzip nicht aus: jeder Mensch darf seine Fähigkeiten bestmöglich einsetzten. Aber die Logik „Du bist“ befreit aus dem Sich-selbst-nie-genug-Sein, aus der Null-Fehler-Toleranz bei mir selbst und bei anderen. „Du bist“ befreit aus einem Perfektionismus-Wahn und schenkt eine Gelassenheit, angenommen zu sein, auch wenn es mal nicht so läuft. Solche Gelassenheit ist paradoxerweise dann wieder Voraussetzung für echten Erfolg – davon bin ich jedenfalls überzeugt. Gnade schenkt Freiheit, denn was vermag ich nicht alles zu tun, wenn ich weiß, dass Gott mir sagt: „Du bist!“. „Du bist bei mir, Mensch, in Ewigkeit.“

Ich wünsche allen eine Pause vom Erfolgreich-sein-müssen, denn es ist gut, so wie Du bist!

Ihr Philipp Schmitz, Aachen

*Vgl. Robert MISIK, Die Abgründe der Wettbewerbsgesellschaft. Der Erfolgsmensch, in: Neue Züricher Zeitung v. 06.02.2015. Verfügbar unter: https://www.nzz.ch/feuilleton/der-erfolgsmensch-1.18476690 (08.11.2017).

**Vgl. zum Ganzen auch Ulrich BRÖCKLING, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt/M. 2007 sowie die theologische Rezeption bei Ansgar KREUTZER, „Gnade für das unternehmerische Selbst“. Eine theologische Kritik der überzogenen Leistungsgesellschaft, in: Stimmen der Zeit 232 (2014) 547-557.

Robert MISIK, Die Abgründe der Wettbewerbsgesellschaft.

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