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Das Geistliche Wort | 16.09.2018 | 08:35 Uhr

Grünkraft

Guten Morgen!

Im Wald geht`s mir so richtig gut!

Frische, kühle Waldluft weht mir ins Gesicht. Die natürlichen Farben des Waldes sprechen mich an, das satte Grün trotz der Dürre, gerade jetzt noch im Übergang vom Sommer zum Herbst, wo sich das erste Gold-gelb zeigt. Ich atme die Waldluft tief ein. Es kommt mir vor, als ob eine geballte Ladung neuer Kraft in mich einströmt und jeder meiner Zellen eine Frischekur verpasst. Und dann rieche ich: Der Wald riecht immer anders, mal süßlich, mal würzig, dann wieder erdig-feucht. Am liebsten laufe ich barfuß über den weichen Waldboden oder mit ganz leichten Schuhen. Es fasziniert mich, wenn der Wind durch die Bäume geht und die Baumkronen sich hin- und herwiegen, als wollten sie mit ihm spielen. Und wenn die Blätter dabei rauschen, kommt es mir vor, als würden sie miteinander tuscheln. Ich tauche hier richtig ein. Der Wald wirkt auf mich anregend und beruhigend zugleich. Unter dem Blätterdach besonders der großen Bäume fühle ich mich wohl, beschützt und geborgen. Nach einer Zeit im Wald geht es mir besser. Der Wald tut mir gut, körperlich und auch seelisch.

Musik I: The Heart of Love (Lied 5 aus: Spirit of Peace and Harmony)

Der Wald tut mir gut. Warum das so ist? Vielleicht wirkt hier eine besondere Kraft? Das jedenfalls beschreibt Hildegard von Bingen, die große Gelehrte, Naturheilkundlerin und Mystikerin des 12. Jahrhunderts. Morgen, am 17. September, ist in der katholischen Kirche ihr Gedenktag. Hildegard hat schon früh entdeckt, dass in der Natur eine universale Kraft wirkt, die Leben schafft, erhält und fördert. Sie nennt diese Kraft „Grünkraft“, wohl, weil das Leben in der Natur oft in der Farbe Grün erscheint. Hildegard findet die Grünkraft in allem, was es in der Natur gibt, nicht nur in den Pflanzen, auch in den Tieren, den Steinen, dem Wasser, der Luft und vielem anderen mehr. Dass die Kraft der Natur, gerade der Bäume, sich auch auf den Menschen heilsam auswirkt, habe ich in ihren Schriften gelesen. Da ist beschrieben, welche Wirkung welche Pflanze auf den menschlichen Organismus hat, und auch, dass Bäume sogar Gemütszustände beeinflussen können. Hildegard spricht von einer engen Beziehung zwischen Baum und Mensch und dabei schreibt sie einer Reihe von Bäumen sogar individuelle Eigenschaften zu, die Charaktermerkmale und Verhaltensweisen auch für Menschen sind. So sieht sie etwa in der Tanne ein Sinnbild für Stärke, der Kastanienbaum steht für Gelassenheit, der Ölbaum für Barmherzigkeit. Nach Hildegard fühlen Menschen sich zu Bäumen hingezogen. Genau sowas habe ich vor kurzem im Wald selbst erlebt und es lässt mich nicht mehr los.

Eigentlich wollte ich wieder einmal einfach nur durch den Wald schlendern, abschalten, auftanken. Es war Traumwetter; die Bäume im Wald hatten an diesem Tag im Spiel von Licht und Schatten eine besonders intensive Wirkung auf mich: Die jungen, drahtigen Bäume, die vorwitzig in die Höhe strebten, andere, die viel zarter und eher zurückhaltend wirkten, und wieder andere: kräftig und stark, regelrecht selbstbewusst. Dann die großen, alten Bäume mit dickem Stamm und riesiger Baumkrone: majestätisch und erhaben, in sich ruhend, gefühlt seit Ewigkeiten da. Sie kamen mir lebenserfahren und weise vor. Es gab auch Bäume, die waren sonderbar geformt, einige ganz krumm, wie vom Leben gezeichnet. Auch die Rinde: ganz unterschiedlich: bei einigen glatt und dünn, bei anderen dick und faltig. Manche Bäume fühlten sich wärmer an als andere und fast alle hatten irgendwelche Verletzungen. Faszinierend daran: Der Baum schickt Energie zu der verletzten Stelle, um sie zu heilen, wie ein menschlicher Körper es auch tut. Es bildet sich eine Wulst rund um die Verletzung, quasi neue Haut, oder es wachsen an der Stelle neue kleine Zweige.

An diesem Tag im Wald fühlte ich mit den Bäumen und mir wurde klar, dass jeder Baum etwas ganz Besonderes ist, einmalig und einzigartig, wie … ja, wie jeder Mensch auch. Erfüllt von all den Eindrücken, lehnte ich mich schließlich an einen Baum an, der mir besonders gut gefiel: eine große Esche mit starkem Stamm und luftig-leichter Krone. Meine Augen fielen zu, ich überließ mich einfach dem Moment – und dem Baum in meinem Rücken. Bald schon gab es gefühlt gar keine Grenze mehr zwischen mir und ihm. Es kam mir vor, als wenn der Baum und ich eins geworden wären: für mich eine ganz besondere Erfahrung: belebend und kraftvoll. Hat all das mit der Grünkraft zu tun, von der Hildegard von Bingen spricht?

Musik II: Yiruma: Maybe

Die Grünkraft verbindet Mensch und Baum. Ich bin der engen Beziehung von beiden einmal nachgegangen. Entwicklungsgeschichtlich gibt es einen Zusammenhang. Bäume nehmen im Ökosystem eine wichtige Rolle ein. Dadurch, dass sie Fotosynthese betreiben und eine große Menge Sauerstoff in die Natur abgeben, haben sie entscheidenden Anteil daran, dass sich überhaupt höhere Lebensformen und Menschen entwickeln konnten. Wenn man so will, dann sind die Bäume gewissermaßen mitursächlich dafür verantwortlich, dass es Menschen gibt. Aber es gibt noch mehr, was mich staunen lässt über die Bedeutung der Bäume für uns Menschen. Der Biologe und Pflanzenwissenschaftler Clemens Arvay hat nämlich herausgefunden, dass Bäume kommunizieren, nicht nur untereinander und mit anderen Wald- und Wiesenbewohnern, sondern auch mit dem Menschen – mit seinem Immunsystem, aber auch mit seiner Psyche. Arvay hat entdeckt, dass Bäume Botenstoffe aussenden, die das menschliche Immunsystem aufnimmt. Die Baumkronen sind sozusagen „Sendestationen“, die „Botschaften“ in die Luft senden. Unter dem Dach der Bäume verdichten sich diese „Botschaften“. Wer im Wald spazieren geht, atmet also einen Cocktail aus bioaktiven Substanzen ein, die von Pflanzen an die Waldluft abgegeben werden. Darunter befinden sich etliche Stoffe, die sich nachweislich heilsam auf den menschlichen Organismus auswirken. Erwiesen ist auch, dass die Waldatmosphäre sich positiv auf gestresste Menschen auswirkt: So senkt ein Waldspaziergang die Stresshormone Cortisol und Adrenalin. Der Wald ist also Lebenskraft pur – wie die Grünkraft bei Hildegard von Bingen! Arvay bezieht sich übrigens immer wieder auch auf Hildegard. Erst allmählich, so sagt er, beginne die Wissenschaft die faszinierende Interaktion zwischen Mensch und Baum zu verstehen. Hildegard hat die Grünkraft in einem Choral als edelste und frischste Kraft beschrieben: „O nobilissima viriditas.“ Einen Ausschnitt daraus hören wir jetzt.

Musik III: Hildegard von Bingen: O nobilissima viriditas (aus: Spirit of Music von Seattle Pro Musica)

Hildegard von Bingen schreibt: „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün“. Für Hildegard ist die Grünkraft eine ursprüngliche Kraft, die von Gott ausgeht – mehr noch: in der Gott selbst da ist! Hildegard sieht diese Kraft Gottes in ganz besonderer Weise in Jesus Christus und durch ihn gelebt und verwirklicht.

So gesehen, habe ich Jesu Heilungen in den Evangelien für mich ganz neu entdeckt. Da ist zum Beispiel die Frau, die seit Jahren an Blutungen leidet (vgl. Mk 5, 24b-34). Aufgrund ihres Leidens galt sie in der religiösen Gesellschaft von damals als unrein und war vom gesellschaftlichen Leben praktisch ausgeschlossen. Nach dem Gesetz darf sie niemanden anrühren. Aber darüber setzt sie sich mutig hinweg. Diese Frau sucht Jesu Nähe. In der großen Menschenmenge will sie ihn berühren, wenigstens den Zipfel seines Gewandes. Sie glaubt, das reicht, um geheilt zu werden. Welchen Leidensdruck muss sie gehabt haben! Und welche Sehnsucht nach Heilung, nach Gesundsein und nach Wiedereingliederung ins gesellschaftliche Leben! Sie setzt alles auf Jesus. Sie vertraut auf seine Heilkraft – mit Hildegard gesprochen: auf seine Grünkraft. Und dann geschieht etwas, das ich von meiner Erfahrung mit dem Baum kenne: In dem Moment, als die kranke Frau Jesu Gewand berührt, spürt sie, dass sie geheilt ist. Und im selben Augenblick spürt Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmt. Was für eine großartige Kraft ist das, die Körper und Seele heilt! Die Frau konnte gesund werden, weil sie daran geglaubt hat und weil sie ihrem Glauben getraut hat. Und so sagt Jesus es ihr auch: „Dein Glaube hat dir geholfen!“

Musik IV: Yiruma: It’s your day

Dass der Glaube an Gott Menschen zu neuem Leben verhelfen kann, davon war auch Hildegard von Bingen überzeugt – und sie war sich sicher: Gottes Kraft ist immer da! Bereits der Apostel Paulus war davon überzeugt und hat es so gesagt (Apg 17,28): „In Gott leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“

Im Wald kann ich das spüren. Da fühle ich mich im Einklang mit dem Leben, da spüre ich Frieden, Mitgefühl, Dankbarkeit. Für mich haben die Erfahrungen im Wald mit der Kraft Gottes zu tun, die sich in liebevoller Güte, Mitgefühl und Akzeptanz zeigt, wie Jesus immer wieder deutlich gemacht hat. Und es gilt sein Wort: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ Das macht mir Mut für meinen Glauben! Wie auch die Bäume selbst: Je größer und älter sie werden, sich immer tiefer und fester in der Erde verwurzeln, umso mehr können sie ihre Krone entfalten. Sie zu betrachten und zu erleben, hilft mir, mich tiefer und fester in meinem Glauben zu verwurzeln, in der Zuversicht, dass die Kraft Gottes auch mein Leben durchdringt und es zur Entfaltung bringt. Der Wald ist für mich – und da bin ich ganz bei Hildegard: Grünkraft – Lebenskraft aus der Ewigkeit.

Musik V: Open your heart (Lied 7 aus: Spirit of Peace and Harmony)

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen

Ihre

Anke Wolf aus Bochum.

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