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Kirche in WDR 5 | 05.10.2018 | 06:55 Uhr

»Judenstempel«

Guten Morgen!

Es gibt Jahrestage, an die wird gerne erinnert. Dieser Jahrestag ist es nicht. Aber das Gedenken daran wird wichtiger, je länger die Zeit vergeht, je mehr Zeugen sterben und je lauter das Geschrei von denen wird, die lieber vergessen wollen.

Heute vor 80 Jahren trat die neue Verordnung über Reisepässe von Juden in Kraft. Die Nationalsozialisten erklärten ab dem 5. Oktober 1938 die Pässe der jüdischen Mitbürger für ungültig. Andere Pässe wurden mit einem Judenstempel versehen. Deutschen Juden war damit ein unbemerkter Grenzübertritt im visafreien Grenzverkehr unmöglich geworden. Jeder Grenzbeamte konnte den roten Stempel schnell erkennen.

Ausreise? Flucht? Unmöglich. Die Nationalsozialisten wollten nicht, dass Juden ausreisten.

Mit dieser Verordnung reagierten die Nationalsozialisten auf die wachsende Zahl jüdischer Flüchtlinge. Was in den Jahren bis 1945 dann an Grauen, Verfolgung, Deportation und systematischer Vernichtung folgte, das gehört zu dem unvorstellbaren Kapitel in unserer deutschen Geschichte.

Wie oft ist den letzten Jahrzehnten der Ruf laut geworden, dass es genug sei, uns mit dieser Schuld zu konfrontieren. Gellend sind die Schreie nach Schlussstrichen.

Wer aber wie ich je in Auschwitz-Birkenau an den Gleisen stand, an denen die Selektion von Männern, Frauen, Greisen und Kindern stattfand, wird dies nicht vergessen.

Es ist unfassbar. Mir wurde damals sehr bewusst, dass ich mit dafür sorgen muss, dass den Opfern gedacht wird und dass so etwas nie wieder passieren darf.

Selbst der Autor Navid Kermani hat das beim Anblick der Gleise gefühlt. Seine Familie stammte aus Persien, keiner in seiner Familie war verstrickt in diese dunkle Zeit. Aber Kermani hat einmal in einer Rede folgendes bekannt:

Es gebe einen einzigen Moment, an dem er ohne Wenn und Aber zum Deutschen wurde. Und zwar in dem Moment als er mit einem Aufkleber als Deutscher erkennbar war in einer Besuchergruppe in Auschwitz-Birkenau.

Natürlich ist das kein schönes Gefühl. Für mich nicht, und für Kermani sicher auch nicht. Vielleicht kann man angesichts der Größe des Schreckens des Holocaust auch nur kapitulieren. Umso mehr zählen die einzelnen Stimmen derer, die das erlebt haben. Sie machen das Unfassbare fassbar. Doch diese Stimmen werden stummen. Gerade weil die letzten Zeugen der Shoa bald nicht sprechen können, ist jeder Zugang wichtig. Auch der Literarische. Navid Kermani hat mich in seiner Rede an die Autobiografie des größten Literaturkritikers der Nachkriegsgeschichte erinnert. Ich spreche von Marcel-Reich-Ranicki. „Mein Leben“ ist kein neues Buch. Aber es muss immer wieder neu gelesen werden. Also habe ich habe das diesen Sommer getan.

In „Mein Leben“ schildert Reich-Ranicki auch die Zeit im Warschauer Getto. 23 Jahre war er alt. Seine Frau Tosia war schon an seiner Seite. Eines Tages bemerkt er, dass auch Tosia deportiert werden soll.

Sprecher:

„Man musste sofort handeln: Ich suchte jenen rabiaten Kommandanten der jüdischen Miliz auf dem »Umschlagplatz«, der meinen Eltern für die Fahrt zur Gaskammer ein Brot gegeben hatte. Ich fand ihn. Es war gerade ein ruhiger Tag, an dem es keine SS auf dem »Umschlagplatz« gab. So konnte er Tosia freilassen. Sie kam zu mir, aufgeregt und aufgelöst. Wie sie auf den »Umschlagplatz« geraten war und was sie dort erlebt hatte, wollte oder konnte sie mir nicht erzählen. Ich habe es nie erfahren. Nur glaube ich bis heute, dass die Krankheit, an der sie nach dem Krieg, zumal ab 1950 leiden musste, in jenen Stunden ihren Anfang genommen hat. Wer, zum Tode verurteilt, den Zug zur Gaskammer aus nächster Nähe gesehen hat, der bleibt ein Gezeichneter – sein Leben lang.“

Ein Leben lang waren Reich-Ranicki und seine Frau Gezeichnete. Ich bin Navid Kermani sehr dankbar, dass er mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat. Reich-Ranicki und seine Frau können heute kein Zeugnis mehr geben. Wir haben die Verantwortung das Gedenken wach zu halten und an sie zu erinnern.

Und Navid Kermani hat mir noch etwas deutlich gemacht. Er sagt, dass Verantwortung für die Geschichte zu tragen keine Frage der persönlichen Täterschaft ist. Sondern es ist eine Frage der Verantwortung für den Ort, an dem man lebt.

Ja, wir haben Verantwortung, derer zu gedenken, die umgekommen sind.

Und wir stehen in der Verantwortung neuem Unrecht gegenüber jüdischen Mitbürgern zu wehren.

Das meint: Peter Krawczack aus Düsseldorf?

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