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Das Geistliche Wort | 26.05.2019 | 08:40 Uhr

Warum eigentlich bitten?

Guten Morgen!

Als ob das mal so einfach wäre? Ein Stoßgebet, eine kurze Bitte an Gott – und schon wird alles wieder gut. So jedenfalls erzählt das der aktuelle Kinofilm „Breakthrough. Zurück ins Leben“ der amerikanischen Regisseurin Roxann Dawson – nach einer wahren Geschichte. John, ein 14jähriger Junge bricht auf einem zugefrorenen See im Eis ein. Es dauert 15 Minuten, dann wird er tot geborgen. Und weitere 30 Minuten lang wird er reanimiert im Krankenhaus – vergeblich. Johns Mutter will den plötzlichen Tod nicht akzeptieren, betritt die Notaufnahme, sieht den leblosen Körper ihres Sohnes und fleht laut:


O-Ton: „Bitte Gott, schick den Heiligen Geist, um meinen Sohn zu retten“.

Darauf beginnt das Herz des Jungen wieder zu schlagen.

Als ob das Mal so einfach wäre? Ein Stoßgebet, eine kurze Bitte an Gott – und schon wird alles wieder gut.

Musik I

Werden Bitten eigentlich von Gott erhört? Und hat das Gebet Einfluss auf das Leben oder das Schicksal? Folgt man dem Film „Breakthrough“, dann scheint das wohl zu stimmen. Und wer sich etwas in der Bibel auskennt, der findet auch gleich noch einen passenden Spruch dazu. So sagt Jesus schon zu seinen Jüngern (Mt 17,20): „Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.“ Und zum besseren Verständnis muss man sich dazu in Erinnerung rufen: Ein Senfkorn ist winzig klein.

In „Breakthrough“, dem Film, versetzt der Glaube offenbar solche „Berge“ und lässt Tote wieder lebendig werden. Aber was bedeutet das dann umgekehrt, wenn meine Bitte nicht erfüllt wird: War dann mein Glaube einfach nicht groß genug, noch nicht einmal so groß wie ein Bruchstück eines winzigen Senfkorns? Und grundsätzlich gefragt: Lässt sich Glaube überhaupt messen?

Also – ich halte davon nichts. Ich wüsste gerne mal die Maßeinheit, mit der das möglich sein sollte. Erfolg? Erhörte Gebete? Das wäre ja wie eine Leistungsspirale: Der Grad meiner Gebetserhörung sagt etwas aus über die Größe meines Glaubens bzw. über die Kleinheit meines Glaubens. Je mehr meine Gebete erhört werden, desto gläubiger bin ich – und je weniger meine Gebete erhört werden, desto ungläubiger bin ich.

Ich muss zugeben: Gemessen an diesem Schema bin ich dann wahrlich ein Kleingläubiger. Aber wer kann mir denn den Zusammenhang zeigen zwischen Glauben und Gebetserhörung. Ist es nicht eher so, dass Menschen oft erst im Nachhinein sagen: „Es ist gut gegangen, Gott hat meine Bitte erhört.“, und sich selbst damit eine Deutung geben: „Mein Glaube hat geholfen!“ Das ist natürlich schön, wenn Menschen so etwas erfahren, erfahren dürfen.

Aber jetzt stelle man Sie doch mal den Umkehrschluss vor. Wäre das nicht zynisch zu sagen: Du hast keinen Erfolg mit deiner Bitte, also bist du ungläubig! Wer will da Richter sein und das beurteilen? Was ist denn mit all denjenigen, die gebetet, gebittet, gefleht haben und deren Gebete nicht erhört wurden: die Totkranken, die trotz Gebetes vorzeitig verstorben sind, die Flüchtlinge, die trotz Bittgebetes nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Sind sie alle kleingläubig oder gar ungläubig?

Wenn ich einmal unterstelle: Es gibt diesen Zusammenhang nicht zwischen Glauben und Gebet auf der einen Seite und Gebetserhörung auf der anderen, dann muss ich mir auch die Fragen stellen: Warum soll ich dann überhaupt noch Gott um etwas bitten? Ist das nicht müßig?

Musik II

Warum ich heute über das Bitten spreche, das hat mit der Zeit im Kirchenjahr zu tun, in der sich die Christen gerade befinden. Die Zeit vor Christi Himmelfahrt. Natürlich: Gott um etwas zu bitten, gehört wohl zu den religiösen Urformen und Urgesten des Menschen und geschieht wohl häufig. Bei den Christen verdichtet sich das aber besonders in den nächsten drei Tagen bis zum Fest Christi Himmelfahrt. Es ist das Fest, das daran erinnert, dass Christus als Auferstandener nach seiner Zeit auf Erden „in den Himmel aufgefahren“ ist. Gerade im Volksglauben war die Vorstellung sehr einfach: Wenn Jesus dann Richtung Himmel steigt, kann er ja die Bitten noch möglichst „betfrisch“ mitnehmen von der Erde.

Zugegeben, das ist ja ein sehr einfach gestricktes Bild, aber auch aus einfachen Glaubensvorstellungen strickt sich das christliche Überlieferungsnetz, bis heute. Und noch heute gibt es in einigen Teilen der katholischen Kirche – besonders in Süddeutschland und Österreich – den besonderen Brauch der Flurprozessionen an den Tagen vor Christi Himmelfahrt. Da geht es vor allem um das Gebet und die Bitten um eine gute Ernte.

Als ich nach meinem Eintritt ins Kloster im Noviziat in Österreich war, habe ich an so einer Flurprozession teilgenommen. Es war auch an einem Tag vor Christi Himmelfahrt. Am Nachmittag versammelten sich viele Gläubige aus der Kirchengemeinde und zogen los: raus aus der Klosterkirche und rein in die Natur auf Äcker und Felder mit kräftiger Blasmusik.

Die Leute trugen bei der Prozession festliche Kleider: Trachtengruppen mit Goldhauben oder anderen bunt gestickten Kopftüchern. Fahnenträger waren dabei und natürlich die Messdiener mit Weihrauch, Kreuz und Laternen – Messdienerinnen gab es damals dort noch nicht. Es wurden Lieder gesungen und eben Bittgebete vorgetragen, die Heiligen angerufen und ganze Litaneien gebetet. Und schließlich wurde dann ein sogenannter Wettersegen erteilt, um damit einer schlechten Ernte vorzubeugen. Dazu wurde ein besonderes Kreuz verwandt: Reich geschmückt birgt dieses Kreuz nämlich eine kostbare Reliquie, ein Stück vom Holzkreuz, an dem Jesus gestorben ist. Und mit diesem Reliquienkreuz verbinden viele Gläubige offenbar eine besondere Segensmacht: Der Segen mit diesem Kreuz soll vor allem vor Gewitter und Hagel schützen, damit Korn, Obst und Gemüse gut gedeihen und nicht verderben.

Übrigens: Flurprozessionen finden sich in vielen alten Religionen. Die Götter sollten milde gestimmt werden. Das liegt natürlich nahe, denn in den archaischen Kulturen spielte die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Ernte oder Missernte entschied nicht selten über Leben und Tod. Also tat man alles, damit die Natur es gut mit einem meinte, die Ernte reich ausfiel und das Überleben gesichert war. Und so opferte man den Göttern.

Bei den Römern in der Antike zum Beispiel kennt man bereits Bittprozessionen, die aus der Stadt heraus aufs Land führten. Die Menschen wandten sich an den Gott Robigus oder die Göttin Robiga und opferten Tiere, um Schaden vom Getreide abzuwenden. Die Christen griffen dann später diesen Kult auf und ersetzten ihn durch eine Bittprozession mit eigenen Riten und Gebeten.

Auch in Gallien findet man christliche Bittprozessionen schon recht früh. Im 5. Jahrhundert führte sie der christliche Bischof Mamertus von Lyon ein, um die Menschen vor Missernten, aber auch vor Erdbeben und anderen Katastrophen zu schützen. Und dieser Brauch weitete sich dann nach und nach weiter aus.

Mamertus legte bereits die Prozessionen auf die Tage vor Christi Himmelfahrt fest. Man kann sich das quasi bildlich so vorstellen: Die Gläubigen geben ihre Gebete und Bitten Jesus mit, wenn er zu seinem Vater in den Himmel aufsteigt. Salopp formuliert: Jesus ist an Christi Himmelfahrt der Postbote für die Gläubigen. Denn in den Tagen zuvor hat man ihm all die Gebet und Bitten „zugesteckt“ oder besser gesagt „zugerufen“. Zugegeben – das alles zeugt von einer etwas naiven Vorstellung. Und kein Wunder: Einer meiner Professoren im Theologiestudium hat das aufklärerisch aufgespießt und das Ganze scherzhafterweise bezeichnet als „Düngung mit vorrationalen Mitteln“.

Aber was hat es nun mit den Bitten dann noch auf sich? Warum eigentlich bitten?

Musik III

Kann ein Bittgebet etwas verändern, zum Beispiel für eine gute Ernte sorgen? Oder ist das nicht alles bloß naives, unaufgeklärtes Gerede? Werden Bitten von Gott überhaupt erhört? Sicherlich wird der eine oder die andere genau das sagen: „Ja, Gott hat mein Bitten und Beten erhört.“ „Die Ernte war gut, also war das Gebet auf der Flurprozession erfolgreich.“ Natürlich kann man das im Nachhinein sagen, wenn die Bitte in Erfüllung gegangen ist. Und dann ist es eine ganz persönliche Deutung des Lebens oder des Schicksals.

Aber was sagt man dann, wenn die Ernte ausbleibt, wenn eine Bitte eben nicht in Erfüllung geht? Warum hat Gott denn hier nicht eingegriffen und geholfen? Warum setzt er zum Beispiel den Kriegen kein Ende, wenn so viele Menschen darum bitten? Warum hilft Gott hier und nicht da, wo die Not vielleicht viel größer ist? Ist das nicht alles ungerecht und unverständlich?

Warum dann eigentlich noch Bitten?

Ich persönlich glaube ja, dass Bitten immer noch sinnvoll ist. Nicht in dem Sinne, dass Gott dann eingreift und die Welt verändert, wenn ich ihn nur inständig genug darum bitte. Nein, nicht so. Das Bittgebet verändert zunächst einmal mich selbst. Und das ist sehr wichtig. Wenn ich nämlich um etwas bitte, dann gestehe ich mir doch selbst zunächst einmal ein: Hier bin ich an meine Grenzen gekommen. Ich brauche Hilfe. Und einen Schritt weiter gedacht: Nicht alles liegt in meiner Macht. Ich habe nicht alles im Griff, denn ich bin kein allmächtiger Gott, sondern eher ein ohnmächtiger, ein fragiler, zerbrechlicher Mensch. So gesehen führt das Bittgebet zu einer Selbsterkenntnis und führt mich dazu, mich selbst in meinen selbst erkannten Grenzen besser anzunehmen.

Und auch die Flurprozession macht das deutlich. Trotz aller Fähigkeiten, aller technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft: Ich bleibe als Mensch Dingen ausgesetzt, die ich letztlich nicht beherrsche und nicht bestimmen kann, die ich bestenfalls nur annehmen kann, wie Naturgewalten, zum Beispiel Hagel und Gewitter. Und genau das kann ich einüben: Annehmen, was nicht in meiner Macht steht. Lernen zu akzeptieren: Das Allermeiste in dieser Welt ist nicht perfekt. Und zu dieser Erkenntnis und zur Annahme dieser Erkenntnis verhilft das Bittgebet.

So gesehen kann das Bittgebet doch etwas bewirken: Es verändert die Wirklichkeit – indem es mein Verhältnis zu dieser Wirklichkeit verändert, weil ich durch das Bitten meine eigenen Grenzen begreife und damit mich selbst besser erkenne. Und daher bete ich immer noch zu Gott, wissend, wie schwierig es ist, Gott um etwas zu bitten.

Dabei finde ich allerdings bei dem Apostel Paulus eine Hilfe. Der schreibt nämlich in einem Brief an Christen in Rom von dieser Ohnmacht und Schwachheit des Menschen und seines Gebetes. Da heißt es (Röm 8,26): „So nimmt sich auch der Geist (Gottes) unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise bitten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.“

So bleibt mir letztlich doch ein Bittgebet, indem ich Gott darum bitte, dass sein Geist für mich eintritt. Kurz: Gott ich bitte dich, lehre mich beten.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag

Ihr Pater Philipp Reichling aus Duisburg

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