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Das Geistliche Wort | 23.06.2019 | 08:40 Uhr

Kontrolle ist gut - Vertrauen ist besser

Guten Morgen!

„Was für ein Vertrauen“. Das ist das Leitwort, die Losung, des 37. Evangelischen Kirchentages. An diesem Wochenende treffen sich zigtausend evangelische Christinnen und Christen aus ganz Deutschland in Dortmund und ganz sicher sind auch viele katholische und orthodoxe dabei. Jetzt in diesem Augenblick sind viele von ihnen vermutlich gerade auf dem Weg zum Abschlussgottesdienst.

Das Leitwort des Kirchentages berührt ein zentrales Thema unserer Gesellschaft: „Was für ein Vertrauen“. Und als eine Bewährungsprobe des Vertrauens erweist sich bereits bei solchen Großveranstaltungen wie bei dem Kirchentag die Unterbringung der Gäste bei Privatleuten und in Familien. Die Gäste haben vertraut und sich fremden Menschen anvertraut. Auch die Gastgeber haben vertraut und fremde Menschen ins Haus gelassen. Und die allermeisten werden wohl am Ende sagen: Das war eine tolle Erfahrung!

Vertrauen ist nicht nur schön, sondern wichtig, lebenswichtig – sogar überlebenswichtig. Vertrauen ist die Basis unseres Zusammenlebens. Alles, wirklich alles in diesem Lande gründet letztlich darauf, dass wir einander vertrauen. Niemand von uns würde doch nur einen Schritt vor die Tür setzen, wenn wir nicht grundsätzliches Vertrauen in unsere Mitmenschen und auch in das gesellschaftliche System der Bundesrepublik hätten, wenn wir befürchten müssten, beim Brötchenholen oder auf dem Weg zur Arbeit, überfallen, verhaftet oder getötet zu werden. In vielen Regionen dieser Welt ist das anders. In Afghanistan oder Somalia möchte ich nicht über die Straße gehen. Die Gefahr, nicht heile anzukommen, wäre zu groß. Zum Glück lebe ich in Deutschland und genieße Sicherheit und Vertrauen.

Das Leitwort des evangelischen Kirchentages „Was für ein Vertrauen“ ist aus dem Alten Testament genommen, aus dem 2. Buch der Könige. Die Geschichte, in der es vorkommt, stammt aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Es geht darin mal wieder um Krieg und Frieden. Da droht der mächtige König von Assur dem kleinen Regionalkönig von Juda, Hiskija mit Eroberung. Um die Situation ohne Blutvergießen zu regeln, bietet Hiskija Verhandlungen an. Das kostet Mut, denn Juda ist Assur militärisch weit unterlagen.

Kein Wunder, der Abgesandte des Königs von Assur kommt und verhöhnt Hiskija wegen seiner vermeintlichen Naivität [vgl. 2 Kg 18,17ff): „Was ist das für ein Vertrauen, das du da hast? Meinst du, bloße Worte seien schon ausreichend, um zu kämpfen?“ „Auf wen verlässt du dich denn, dass du dich gegen mich stellst“ fragt er.

Was damals eher wie Hohn und Provokation klingt, ist bis heute aktuell: „Was ist das für ein Vertrauen?“ „Auf wen verlässt du dich?“ Ich würde noch weiter fragen: Auf wen kann man sich überhaupt noch verlassen?

Das Forsa-Insitut macht zu dieser Frage im Auftrag von RTL und ntv seit zehn Jahren eine konkrete Umfrage: „Wem vertrauen die Deutschen?“ Die letzte Umfrage ist gar nicht so alt. Sie stammt vom Januar dieses Jahres.

Hier ein paar Ergebnisse: Spitzenreiter, also am vertrauenswürdigsten, sind demnach die Polizei, die Universitäten und die Ärzte. Schlusslichter auf der Vertrauensskala sind die Manager, der Islam, was auch immer genau damit gemeint ist, und die Werbeagenturen.

Der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, kommentiert die Entwicklung der Umfrageergebnisse und zeigt sich besorgt. Er sagt: „Seit über einem Jahrzehnt fragen wir die Deutschen, wieviel Vertrauen sie zu den relevanten gesellschaftlichen Institutionen haben. Eine derart flächendeckende Vertrauens-Erosion wie in diesem Jahr haben wir in diesem Zeitraum noch nie gemessen.“[1]

Flächendeckende Vertrauenserosion, das ist eine starke, eine erschreckende Formulierung. Aber manchmal, wenn man „Volkes Stimme“ hört, dann bestätigt sich dieser Eindruck: Die Leute vertrauen „denen da“ oben nicht mehr. Dieses Gefühl breitet sich aus, keinem mehr trauen zu können und von Lügnern und Betrügern umzingelt zu sein. Beispiele fallen auch mir sofort ein: Präsident Trump natürlich, die Hersteller von Diesel-Fahrzeugen und stand nicht gerade letzte Woche noch wieder was von Enkeltrickbetrügern in der Zeitung?

Also wirklich, man kann doch keinem mehr trauen! Oder?

In der Bibel, gleich auf den ersten Seiten wird von einer Zeit erzählt, in der schon einmal eine Stimmung herrschte, die von Vertrauensverlust gekennzeichnet ist. Und besonders befallen davon war: Gott! Ich meine jetzt nicht die Sündenfallgeschichte, sondern die Zeit danach. Als Gott sich nämlich anschaute, was auf der Erde los war, wie die Menschen sich benahmen, befiel ihn Frust und Wut. Und er beschloss, das zu tun, was unsereins ja auch manchmal gern täte: zeigen, wo der Hammer hängt. Und so erzählt das Buch Genesis (Gen 6,5-7):

Sprecher: "Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den HERRN, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der HERR sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben."

Gott beschließt also, die Menschheit auszurotten. Nun säßen wir alle nicht da, wo wir gerade sitzen, wenn er es wirklich getan hätte.

Aber warum hat er es nicht getan? – Weil es diesen einen Menschen gab, der anders war. Noah. Und dem Noah vertraut Gott, dass er es besser machen wird, als alle anderen Menschen. Mit Noah startet Gott noch einmal ganz neu durch und lässt ihn alleine mit seiner Familie und allen Tieren der Erde überleben. So jedenfalls der Mythos der Noahgeschichte, die eine Vertrauensgeschichte ist.

Gibt es auch heute noch Vertrauensgeschichten? Ich will Ihnen eine aus meinem Leben erzählen. Vielleicht ist sie ein bisschen banal, aber ich denke: zumindest die Hundebesitzer unter Ihnen werden sie nachvollziehen können. Ich war mit Hund und Fahrrad auf einem Feldweg unterwegs. Es ging ein bisschen bergauf, mein Hund, ein alter Jack Russel, lief frei ohne Leine neben mir. Weil ich etwas schneller war, war der Abstand zwischen uns ziemlich groß geworden. Ich stieg ab, um auf ihn zu warten. Und ich sehe ihn heute noch, wie er mit seinen kurzen Beinen auf mich zu rannte. Naja, rennen ist das falsche Wort, er war schon etwas erschöpft, doch mit hängender Zunge kam er zielstrebig zu mir. Das war ein wunderschöner Moment und mir wird heute noch warm ums Herz, wenn ich daran denke. Er wollte zu mir, er hat mir vertraut. Und das zu erleben, tut doch einfach gut, sogar in der Erinnerung noch.

Und wenn schon das Vertrauen eines Tieres so gut tut, wie viel mehr stärkt dann das Vertrauen, das mir ein Mensch schenkt!

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Wenn ein Mensch ja sagt zu einem anderen, in aller Öffentlichkeit verspricht, ihn oder sie anzunehmen, zu lieben, zu ehren und zu achten.

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Wenn ein Kind seine Arme nach seiner Mutter ausstreckt.

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Wenn die Nachbarn den Schlüssel bringen mit der Bitte, die Blumen und die Katze zu versorgen

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Oder wenn der Chef einem ein wichtiges Projekt anvertraut.

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Wenn man in ein Amt gewählt wird.

All das sind doch beglückende Erfahrungen von geschenktem Vertrauen. Im Grunde sind das solche Momente, von denen ich lebe und die mich stark machen. Und ich hoffe, nein ich denke: Das gilt auch für Sie, die Sie das jetzt hören.
Vertrauen geschenkt zu bekommen ist nämlich so etwas wie eine Liebeserklärung. Es gibt ein wunderschönes Lied von Reinhard Mey, dessen Refrain ich ganz besonders stark finde:

„Ich habe unzählige Seiten vollgeschrieben. Ich habe mir Geschichten ausgedacht. Bin keine Antwort schuldig geblieben. Ich hab den Denker und den Clown gemacht. Ich habe Weisheiten von mir gegeben. Und dabei manche Torheit, wie's mir scheint. Ich hab geredet als ging's um mein Leben. Und doch nur immer eins gemeint: Ich liebe Dich. Ich brauche Dich. Ich vertraue auf Dich. Ich bau auf Dich. Wollte nicht leben ohne Dich. Ich liebe Dich.

Ich hab versucht, in immer neuen Bilder zu sprechen. Doch jetzt geht die Zeit mir aus. Ich kann nicht mehr um sieben Ecken schildern. Ich sag es einfach und grade heraus. Ich sag es einfach und ich schreibe auf Deinen Spiegel, auf die Bank, auf die beschlagene Fensterscheibe, wofür ich so viele Umwege erfand: Ich liebe Dich. Ich brauche Dich. Ich vertraue…“

„Ich vertrau auf dich“, hat Reinhard Mey gerade gesungen. Es ist eine wunderschöne Liebeserklärung, die den aufrichtet, dem sie gilt.

Und ich spanne den Bogen weiter zu Gott: Sein Vertrauen in den Menschen ist auch eine Liebeserklärung, ja eine Liebeserklärung an Noah, an Abraham, an Jesus und an jeden weiteren Menschen, an jeden von uns – bis heute. Gott vertraut den Menschen. Das ist ein Wesensmerkmal des Gottes, an den ich glaube.

Dennoch bleibt die Frage unter uns Menschen: Wem kann man noch vertrauen? Es stimmt: Wenn man die Frage so stellt, kommt schnell Frust auf bzw. dann liegt der Frust schon in der Frage. Viellicht drehen wir sie einfach mal um und fragen so: Kann man mir trauen? Bin ich vertrauenswürdig? Bin ich ehrlich? Bin ich zuverlässig? Kann ich meine Interessen mal hinten anstellen? Bin ich in der Lage, auch anderer Leute Schäfchen ins Trockene zu bringen? Hätte ich Noah sein können?

Ich gehe davon aus, dass die allermeisten von Ihnen diese Fragen mit Ja beantworten. Ich jedenfalls tue das. Und doch weiß ich auch selbstkritisch: Klar, es gelingt nicht immer, vertrauenswürdig zu sein. Manchmal gibt es doch Verständigungsprobleme, manchmal fehlt es am Talent, und über die Sache mit Noah müsste ich im Ernstfall auch noch mal nachdenken, aber es geht mir um eine Haltung.

Einem anderen zu vertrauen, bleibt natürlich immer ein Risiko. Aber wenn doch die allermeisten von uns sagen, dass sie sich bemühen, vertrauenswürdig zu sein, dann ist das Risiko nicht so groß, wie es sich manchmal anfühlt. Misstrauen produziert Misstrauen, Vertrauen schafft Vertrauen. Und genau deshalb würde ich gegen die altbekannte Redensart sagen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!

Ich wünsche Ihnen immer wieder die Erfahrung, dass Ihnen vertraut wird. Und dass Sie mehr vertrauen als kontrollieren. Denn es ist eine belebende Erfahrung, dass Menschen einander vertrauen – ohne Vorleistungen. Den evangelischen Schwestern und Brüdern und allen, die heute aus Dortmund abreisen, wünsche ich, dass sie mit gestärktem Vertrauen nach Hause fahren und Vertrauensbotschafter werden.

Aus Paderborn grüßt Sie Claudia Auffenberg

[1]








Zitiert nach: https://www.presseportal.de/pm/72183/4158914.

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