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Das Geistliche Wort | 21.07.2019 | 08:40 Uhr

Mit den Menschen leben. Über einen ruhelosen Wanderer


Guten Morgen!

Maximilian Kaller war Bischof und Seelsorger und starb fast auf den Tag genau vor 72 Jahren am 7. Juli 1947 in Frankfurt am Main. Vielen wird der Name Maximilian Kaller nichts sagen, außer vielleicht den Heimatvertriebenen aus dem Bistum Ermland in Ostpreußen. Aber es lohnt, sich mit ihm zu beschäftigen, denn bis heute kann man von ihm einiges lernen – gerade in Bezug auf die Seelsorge. Er war ein ruheloser Wanderer im Dienst an den Menschen.

Um es allerdings gleich vorneweg zu sagen: Seine Kritiker meinen: Er war ungeduldig und neigte gelegentlich zu cholerischen Ausbrüchen. Außerdem war er zwar ein solider, aber keineswegs der brillanteste Theologe seiner Zeit. Auch hatte er kurzzeitig gedacht, dass man Adolf Hitler vertrauen könne. Ja, vieles scheint tatsächlich gegen diesen Kirchenmann zu sprechen. Andererseits hat er sich für diese Fehleinschätzung nach Kriegsende öffentlich entschuldigt. Das beeindruckt mich – und noch vieles mehr.

Bischof und Seelsorger Maximilian Keller beeindruckt bis heute. Zum Beispiel, dass er sich stets mit Feuereifer an die Arbeit machte, wenn er eine neue Aufgabe übertragen bekam. Die Ungeduld, die man ihm wohl zurecht vorhalten kann, war gleichzeitig auch seine Antriebsfeder. Dabei suchte er vor allem die Begegnung mit den Menschen. Und dafür war ihm kein Weg zu weit. Ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, der Bahn oder sogar mit dem Ruderboot: Kaller erreichte die Menschen und stellte sich auf die unterschiedlichen Situationen mit ihnen ein.

Maximilian Kaller (1880-1947) hört als Seelsorger seinen Gemeindemitgliedern gut zu. Deshalb merkt er schnell, wo der Schuh drückt. Den Armen und Notleidenden gilt seine besondere Sorge. Er weiß zudem genau, wie er an notwendige Gelder kommt, um zu helfen. Der Dienst an den Menschen ist für ihn gleichbedeutend mit Christusliebe, wie sie im Evangelium beschrieben wird: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25,40). Die praktische Nächstenliebe hält Kaller für eine Kernaufgabe der Gemeinde, die man nicht einfach an den Staat oder den neu entstehenden Caritasverband delegieren kann. Dienst am Nächsten ist für ihn eine Form von Gottesdienst, ein Liebesdienst, wie es das Wort „Caritas“ im eigentlichen Sinne meint.

Dieser Liebesdienst orientiert sich nach Maximilian Kaller am Beispiel des Heiligen Franz von Assisi. Denn dieser hat das Liebesgebot Jesu radikal gelebt und sich den Menschen zugewandt. Um zu dieser tiefen Liebe zu Jesus fähig sein zu können – wie es der Heilige Franziskus vorgelebt hat –, legt nun Kaller seinen Gläubigen den häufigen Kommunionempfang nahe. Aus einer innigen Christusbeziehung müsse dann die Nächstenliebe erwachsen. Denn nicht wohltätiges Geben mache die christliche Existenz aus. Nein. Es ist die tägliche liebende Hinwendung zum Mitmenschen. Bei Kaller klingt das so:

Sprecher: „Erfülle dich an der Kommunionbank mit dem Strom göttlicher Liebe. Werte sie um in starke Nächstenliebe und Du wirst Franziskus ähnlich werden.“ (Be S. 125)

Als Kaller 1917 Pfarrer in Berlin wird, erlebt er hautnah die Krise der Hauptstadt: Kriegsversehrte des Ersten Weltkriegs, Wohnungslose und bettelnde Menschen prägen das Bild der Großstadt. Der spätere Glamour der Metropole während der Weimarer Republik ist nur oberflächlich, denn Wirtschaft, Kultur und Politik befinden sich in einer dramatischen Abwärtsspirale, und die Not der Bürger ist groß. Von der Kirche erwarten die Menschen offenbar nicht viel – damals und heute stellt das eine große Herausforderung da für die Kirche und für jede Seelsorgerin und jeden Seelsorger.

Das vielfältige Engagement von Maximilian Kaller als neuem Pfarrer von St. Michael in Berlin beeindruckt mich: Er krempelt selbst die Ärmel auf, um gehbehinderte Alte und Kranke zum Gottesdienst in die Kirche zu holen oder Religionsunterricht zu geben. Gleichzeitig plant und organisiert er systematisch die Seelsorge in der Großstadt: Zunächst analysiert er genau die Situation und diagnostiziert die Erwartungen, Befindlichkeiten und Sorgen seiner Gemeindemitglieder. Dann beginnt er das große Territorium seiner Pfarrei in Substrukturen zu unterteilen. Kaller weiß, dass Seelsorge anders nicht funktioniert als in überschaubaren Lebensbereichen. Denn sein Ziel ist es, grundsätzlich alle Getauften im Sozialraum in einer flächendeckenden Seelsorge zu erreichen. Für die Seelsorge am Ort braucht er deshalb viele helfende Hände. Eindringlich wirbt er um Gemeindemitglieder, damit sie ihn unterstützen. In einem Zettelkasten erfasst er die Mitglieder in den Bezirken und vernetzt sie mit Helfern und Aufgaben. Damit ist er seiner Zeit weit voraus. Ich frage mich: Was hätte Maximilian Kaller wohl alles geschafft, wenn er damals schon einen Computer gehabt hätte? Die Ideen dieses „Bahnbrecher(s) der modernen Seelsorgemethoden“ (Be S. 77) – wie er auch genannt wird – scheinen mir heute jedenfalls aktueller denn je zu sein, gerade in Bezug auf das Apostolat von Laien.

Die Herausforderungen für Maximilian Kaller nehmen noch zu, als er 1930 überraschend zum Bischof des östlichsten deutschen Bistums gewählt wird, dem Bistum Ermland. Weil ihm der Ruf eines „stürmisch vordrängenden Seelsorgers“ (Be S. 92) vorauseilt, wird er in Kreisen des Klerus zunächst als Ruhestörer empfunden. Doch gewinnt er auch hier sehr bald die Herzen der Menschen, weil diese spüren, wie sehr er sich für sie persönlich interessiert und einsetzt. Dabei geht Bischof Kaller in der nationalsozialistischen Diktatur oft bis an die Grenzen des Machbaren. Im Fastenhirtenbrief 1937 beispielsweise wehrt sich Kaller gegen den staatlichen Versuch, die Bekenntnisschulen abzuschaffen. Er kritisiert öffentlich, dass die Kinder und Jugendlichen jeden zweiten Sonntag bei Veranstaltungen der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel teilnehmen müssen, so dass sie den Gottesdienst nicht mehr mitfeiern können. Die Reaktion bleibt nicht aus: Die Gestapo überwacht den Bischof, weil sie im Bistum Ermland einen Herd des Umsturzes vermutet.

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs muss Bischof Maximilian Kaller auf seinen ermländischen Bischofssitz in Frauenburg verzichten. Zudem war die Bevölkerung Ostpreußens seit Anfang 1945 auf der Flucht vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee. Kaller kommt nach Halle: Und hier gilt seine größte Sorge den Menschen seiner Diözese Ermland. Er macht sich auf die Suche nach den Heimatlosen, um sie nach ihrer Flucht zu sammeln und zu trösten. Er erkennt in der materiellen Armut auch die seelische Not der Ermländer: Denn sie haben nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren Halt und ihre Orientierung verloren. So sagt er:

Sprecher: „Wohl denen, die dann die Heilige Heimat gesucht und gefunden haben, die ihre Wurzeln tiefer gesenkt, ihr Leben auf tieferen Grund gestellt haben! So viele haben dann doch erfahren, dass sie nicht ganz heimatlos sind. Ja, manche haben wohl jetzt die eigentliche, die tiefere Geborgenheit und Heimat gefunden.“ (Be S. 257)

Was vielleicht manchem nach einer bloßen Vertröstung klingt, ist Kaller ernst. Deshalb stellt er den Geflüchteten als Leitfigur den Heiligen Franz von Assisi vor Augen, der in der freigewählten Armut und Heimatlosigkeit zu einer tiefen Christusbeziehung gefunden hat. Kaller will so den Lebensmut und den Glauben der Menschen stärken, ohne die leibliche Not der Verzweifelten zu vergessen: So führt er auch Familien zusammen, besorgt ihnen ein Dach über dem Kopf oder vermittelt eine bezahlte Arbeitsstelle. Bischof Kaller reist umher wie ein unruhiger Wanderer, spendet Sakramente und predigt bei Wallfahrten. Niemals ist seine Verkündigung blutleer, sondern voller Mitgefühl und Wärme.

Bischof Kaller hat ein großes Charisma als Seelsorger und Organisationstalent. Er hat zwar als Bischof kein Territorium mehr, ist aber dennoch mit seinen Diözesanen verbunden! Deshalb erteilt Papst Pius XII., der Kallers Fähigkeiten erkennt, ihm im Jahr 1946 einen Sonderauftrag: Die Seelsorge aller deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen. Nun versucht Bischof Kaller einmal mehr, „Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen“ (Int.), um es mit den Worten des aktuellen Papstes zu beschreiben. Ganz im Geist von Franziskus verzehrte sich Kaller rastlos für die Menschen, für die er sich als Bischof und Seelsorger verantwortlich fühlte.

Doch schon bald ist die Kraft dieses unermüdlichen Wanderers verbraucht. In seiner kleinen Frankfurter Wohnung schläft Maximilian Kaller am 7. Juli 1947 ruhig ein. Die Nachrufe zu seinem Tod drücken übereinstimmend aus, wie solidarisch und authentisch Kaller mit den Vertriebenen war: „Dieser Bischof lebte keine Minute anders, als er sprach, und solch ein Mensch fehlt nun!“ (Be S. 315), heißt es im Kommentar des Hessischen Rundfunks zu seinem Tod.

Mich überrascht es daher nicht, dass diejenigen, die den außergewöhnlichen Seelsorger und Bischof erlebt haben, schon früh sein Andenken wachhielten. Im Jahr 2003 wurde das Seligsprechungsverfahren für ihn eröffnet, den letzten deutschen Bischof des Bistums Ermland. Aber reicht der Ertrag seines Lebens, das nicht frei von Schwächen und Fehlern war, dafür aus, als Heiliger verehrt zu werden? Noch einmal Papst Franziskus, dessen folgende Worte mich aufhorchen lassen:

Sprecher: „Um zu erkennen, welches Wort der Herr durch einen Heiligen sagen will, ist es nicht ratsam, sich mit Details aufzuhalten, denn es kann da auch Fehler und Schwächen geben. Nicht alles, was ein Heiliger sagt, ist dem Evangelium vollkommen treu, nicht alles, was er tut, ist authentisch oder perfekt. Was wir betrachten müssen, ist die Gesamtheit seines Lebens, sein ganzer Weg der Heiligung, jene Gestalt, die etwas von Jesus Christus widerspiegelt und die zum Vorschein kommt, wenn es gelingt, den Sinn der Gesamtheit seiner Person auszumachen.“ (GE)

Für die Gesamtheit der Person Kallers und seines Lebens steht – wie ich finde – sein Leitspruch: „Die Liebe Christi drängt mich.“ (nach 2 Kor 5,14) Ja, dieser Seelsorger hat die Christusliebe bis zum Schluss glaubwürdig gelebt. Denn was er von Anderen erwartete, das lebte er selbst vor. Für mich ist dieser Bischof nicht nur im Rückblick „eine herausragende Persönlichkeit, sondern auch eine Gestalt von höchster Aktualität“ (Be S. 14). Wie wäre es, wenn Bischof Kaller heute Schutzpatron würde der Flüchtlinge und Vertriebenen. Von ihm kann nicht nur ich viel lernen, gerade wenn es um den Umgangen mit Flüchtlingen geht. Auch heute müssen Flüchtlingsfamilien wieder zusammengeführt und ihnen ein sicheres Dach über dem Kopf garantiert werden. Dafür stand Bischof Kaller und dafür müssen Christen auch heute wieder stehen.

Literatur:

Maximilian Kaller, Unser Laienapostolat in St. Michael Berlin. Was es ist und wie es sein soll. Eingeleitet und neu herausgegeben von Hans Jürgen Brandt mit einem Geleitwort von Georg Kardinal Sterzinsky (Paderborn: Bonifatius 1997).
Rainer Bendel, Hans-Jürgen Kamp, Bischof Maximilian Kaller 1880-1947. Seelsorger in den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts (Münster: Aschendorff 2017);Be

Gaudete et exsultate. Apostolisches Schreiben des Heiligen Vaters Papst Franziskus über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute=Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 213 (2018); GE Nr. 22.
Andreas R. Batlogg SJ (Hg.), Spadaro, Antonio SJ, Das Interview mit Papst Franziskus (Freiburg: Herder 2013); Int. S. 47.

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