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Das Geistliche Wort | 01.01.2020 | 08:40 Uhr

Agenda 2020


Guten Morgen und Ihnen allen erst einmal ein frohes, glückliches und gesegnetes neues Jahr 2020!

Nun ist es da, das neue Jahr und ich weiß nicht wie oft ich in den letzten Wochen angesprochen wurde: Na, und wie sieht deine Agenda 2020 aus. „Agenda“ – Früher nannte man das wohl mal Vorsätze fassen an Neujahr. Aber bei Agenda scheint noch was anderes mitzuschwingen, sagt jedenfalls Doktor Wikipedia und der muss es ja wissen:

„Agenda (lateinisch für das zu Tuende, was getan werden muss).“[1]

Das ist zwar etwas umständlich formuliert und klingt auch ein wenig kompliziert. Dennoch passt das Wort „Agenda“ ganz gut. Heute, am ersten Tag im neuen Jahr. Aber was ist so dringlich, dass es schon getan werden muss? frage ich Dr. Wikipedia und damit auch mich.

Agenda. Das, was getan werden muss. Egal, ob Politikerin, Firmenchef, Verwaltungsbeamtin: Das Wort ist seit langem schon in aller Munde.

Mit dem Begriff verbinden vermutlich die meisten von uns vor allem die „Agenda 2010“, jenes Programm, mit dem unsere Bundesregierung seinerzeit versuchte, Deutschlands Wirtschaft auf einen erfolgreichen Stand zu bringen. Offenbar musste das sein, weil die Konjunktur damals nicht richtig lief. Neben der „Agenda 2010“ gab es allerdings auch schon eine „Agenda 2000“ der Europäischen Union. Da musste reagiert werden, weil viele neue Staaten in die Gemeinschaft der EU wollten. Und dann steht zukünftig an die „Agenda 2030“ der Vereinten Nationen, weil alles nachhaltiger sein muss … und … und … und. Wer weiß, was für viele Agenden noch kommen, weil etwas getan werden muss. Das hört sich nach Zwang an, nach Druck und auch nach Angst. Und das ist meistens kein guter Ratgeber.

Allerdings es ist wohl so, wie es der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann beschreibt: Die Gesellschaft ist momentan ziemlich unruhig. Wohin führt ihr Weg? Die Sehnsucht nach einem Aufbruch ist deutlich zu spüren, aber auch das Beharren im Alten. Das Pendel schlägt aus zwischen Abenteuerlust und dem Verlangen nach Sicherheit.

Es ist paradox: Je freier ich sein will, desto mehr muss ich mit dem Risiko der Unsicherheit leben. Und je mehr Sicherheit ich für mein Leben will, desto mehr muss ich Freiheiten aufgeben. Eine europäische Gemeinschaft schafft so Stabilität für alle Mitgliedsstaaten, dafür müssen alle aber auch bereit sein nationale Freiheiten einzubüßen. Was im umgekehrten Fall passiert, das werden wir an Großbritannien in diesem neuen Jahr noch erleben. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Aber auch im Kleinen gilt das: Die Leute suchen Schutz und Sicherheit, weil sie sich von allem möglichen bedroht fühlen. Aber zur gleichen Zeit wollen sie Freiräume ausschöpfen, in denen sie sich verwirklichen und das Leben genießen können. Zu leben, ohne persönliche Bindungen einzugehen, heißt vielleicht mehr persönliche Freiheit zu haben, aber eventuell auch einsamer zu sein und sich selber behaupten zu müssen. Wie dann das Leben genießen?

In der Soziologie gibt es seit langem die Vorstellung, dass menschliches Leben dann als geglückt erlebt wird, wenn der Einzelne sich in einem Umfeld von menschlichen Beziehungen orientieren kann, wo er auf sein Verhalten, seine Fähigkeiten, seine Persönlichkeit Resonanz und Widerhall erfährt. Und darin das Gefühl von Stabilität und Sicherheit verspürt. Das aber setzt voraus, dass der Einzelne bereit ist überhaupt in Beziehungen leben zu wollen. Und dazu muss er Kompromisse machen, auf Freiheiten verzichten.

Genau da passt eine Agenda gut hinein: Sie sagt, worauf es jetzt ankommt, sie listet auf, was getan werden muss. Worauf will ich verzichten und was ist für mich wichtig. Wo mache ich Kompromisse und wo bin ich kompromisslos. Eine Agenda kann aus ein paar Punkten bestehen, sie kann ein Beschluss sein, den ich für mein Leben fasse. Oder die Agenda greift in der Gesellschaft: ein Vorstand beschließt sie für den ganzen Betrieb oder sie ist vielleicht ein Parteiprogramm oder einfach nur eine stille Übereinkunft.

Wo eine Agenda ist, da ist auch ein Weg: Die Agenda ist ein willkommenes Programm gerade in Phasen von Unsicherheiten, eine Hilfe dort, wo die Dinge unübersichtlich scheinen und man den Widersprüchen von heute ausgeliefert ist.

Im Wort „Agenda“ steckt das lateinische Verb „agere“. Und das bedeutet: Handeln. Was aber meint eigentlich „handeln“? „Handeln“ meint doch: Innerhalb einer Reihe von Ereignissen „etwas zu bewirken, zu erzielen, zu verändern oder zu verhindern“ (Roman A. Siebenrock).[2] Ich handle und verändere damit die Welt – und wenn es nur meine kleine Welt ist. Dabei muss ich unterscheiden: geht es nur darum, bewusst Ziele zu erreichen: einen erfolgreichen Abschluss eines Geschäftes zu erzielen etwa, den guten Verlauf eines Bauprojektes. Dann würde ich nur instrumentell handeln. Oder geht es darum, den Mitmenschen, den Anderen zu dienen. Dann wäre das kommunikatives Handeln. Das Gespräch unter Freunden ist damit zum Beispiel gemeint, der Besuch bei einem Kranken, aber auch die spontane Hilfe, wenn jemand in Not ist.

Instrumentell oder kommunikativ. Sache oder Mensch. Mir als katholischer Theologe fällt dazu ein: Die Botschaft von Weihnachten ist da eindeutig: Gott ist kommunikativ. Gerade das Kind in der Krippe zeigt doch die Agenda Gottes: Weil er um uns Menschen besorgt ist, möchte er – wie man so sagt – mit Haut und Haaren, auf Gedeih und Verderb bei uns Menschen sein, unser Leben teilen. Und auch das Leben, das Jesus von Nazareth als Erwachsener führte, macht das deutlich. Jesus liebt die Welt, freut sich über ihre Schönheit. Er ist bei den Kranken, sorgt für sie. Er heilt, erweckt Tote zu neuem, anderem Leben. Und er erzählt denen, die es hören wollen, vom guten Vater im Himmel.

Alle, die Jesus begegnen – so erzählt es das Neue Testament –, spüren: Hier geht der Himmel auf. Und sie ahnen und begreifen: Durch Jesus handelt Gott. In ihm ist Gott untrennbar bei den Menschen. In ihren Leiden, in ihren Freuden, in Krankheit und Tod. Nichts in unserer Welt, wo Gott nicht wäre. Gottes Agenda eben.

Die einen macht das ratlos: Wie ist es mit all dem Elend, mit Gewalt, Terror und Krieg? Wo ist da Gott? Andere wiederum schöpfen Hoffnung: Wenn Gott dieser Welt so nahe ist, dann kann das – gerade in unruhigen, unsicheren Zeiten – Mut machen, sich für diese Welt einzusetzen.

Natürlich, es stimmt. Gottes Gegenwart kann man nicht herbeizwingen. Und doch bleibt seine Agenda bestehen: Er will ein Gott bei den Menschen sein. Davon bin ich überzeugt! Ich für meinen Teil habe schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass in dem Moment, wo ich einem Menschen wirklich ganz nahe bin, etwas von Gottes Agenda aufleuchtet: Tiefe, Sinn, Bedeutung. In einem Lächeln, in einem kurzen Gespräch. In einer verstohlenen Geste der Sympathie.

Der Begriff „Agenda“ bekommt so für mich noch eine weitere Bedeutung – es geht nicht ausschließlich um ein Handeln, das ganz sachlich seine Zwecke verfolgt. Und es geht auch nicht nur um ein Programm, mit dessen Hilfe ich für andere Menschen da sein möchte. „Agenda“ – das bedeutet auch, dass ich bei dem, was ich tue – vielleicht nur für einen ganz kurzen Moment – etwas an Bedeutung, Verbindlichkeit, an Anspruch erlebe, über das ich staune und das mich dazu antreibt, es weiter mit der Welt und den Menschen zu versuchen.

Was war noch gleich die Vorstellung der Soziologen: Menschliches Leben kann dann als geglückt erlebt werden, wenn der Mensch auf sein Verhalten, seine Fähigkeiten, seine Persönlichkeit Resonanz und Widerhall erfährt. Ich nenne das: Wo er Sinn erfährt.

Um etwas zu erreichen, um Eindeutigkeit und Sicherheit zu schaffen: Dafür ist sie da, eine Agenda. Aber auch dazu dient sie: Dass Mensch füreinander da sein können. Dass sich manchmal noch etwas Drittes dazu mischt – jenseits aller Zwecke, jenseits aller Sorge um den Mitmenschen – ist eine Erfahrung, über die zu reden sich lohnt. Gerade am Anfang eines neuen Jahres, in dem noch Vieles auf uns wartet.

Ich denke da an Papst Franziskus. Der deutsche Regisseur Wim Wenders hat über ihn einen Film gedreht – „Der Mann seines Wortes“. Der Film zeigt den Papst als einen Mann mit einem großen Tagesprogramm – ja man muss schon sagen mit einer großen Tagesagenda. Alles ist nach Zielen und anstehenden Aufgaben durchgeplant. Zu ahnen ist aber auch, dass diesen Papst eine große Vision leitet. Und so holt das Leben den Tagesplan immer wieder ein: Papst Franziskus nimmt sich Zeit für die Leute, geht auf sie zu. Bei ihm dürfen sich die Menschen daheim fühlen. Wie macht er das bloß? Woher holt ein Mann in seinem Alter dafür seine Kräfte?

Eine Szene im Film verrät es. Papst Franziskus besucht einen Slum. Bewohner umarmen ihn. Und er – er umarmt sie, lässt sie ganz nah an sich heran. Und dann löst er sich wieder, geht auf andere Menschen zu. Und wieder das gleiche Bild: Die Menschen umarmen ihn, er umarmt sie. Das ist wohl das Geheimnis. Der Papst empfängt Kraft aus der Begegnung mit dem einen, um sich dann dem Anderen zuzuwenden. Eine Kette der Verbundenheit entsteht. Der, der empfängt, gibt weiter, behält nichts für sich. Ist ganz beim Anderen. Anteilnahme, Herzlichkeit, Güte: In solch einer Begegnung öffnen sich die Tore der Seelen, da wird ein Sinn, ein Anspruch erfahrbar, die mich erahnen lassen, wie Gottes Agenda aussieht: Er ist der Gott, der die Menschen sucht und ihnen in ihrer Bedürftigkeit ganz nahe ist.

In meinem Planen und Handeln erfahre ich das manchmal sehr konkret. Es gibt Situationen und Begegnungen, die mich ganz einfach herausfordern, hier und jetzt etwas zu tun. Einem Bedürftigen – und sei es nur mit einer kleinen Münze – zu helfen. Jemanden, der es gerade braucht, zu trösten. Und ich ahne: Das ist Gottes Agenda: Er will Gott bei den Menschen sein, wie an Weihnachten manifestiert. Und das heißt für mich: Da sein für andere und etwas empfangen, was ich nicht erzwingen kann: Sinn und Bestätigung, Ermutigung und Hoffnung. Mitten unter uns, mitten in unserem Denken, Fühlen und Handeln ist der Ort, an dem Jesus Christus hier und heute noch geboren wird. Und wo er ankommt, dort wächst Güte und Menschlichkeit. Davon bin ich überzeugt.

Termine; berufliche Verpflichtungen; vielleicht ein familiärer Anlass, auf den Sie sich schon freuen – es mag sein, dass Sie bereits am Neujahrstag Ihre persönliche Agenda 2020 klar vor sich haben. Für all Ihr Planen wünsche ich Ihnen Erfolg und Gelingen!

Ich wünsche Ihnen – und natürlich auch mir selber – im neuen Jahr aber auch viele Begegnungen und Erfahrungen mit Menschen, in denen zu spüren ist: Es gibt jemanden, der mich in meinem Denken, Fühlen, Planen und Handeln begleitet und der bei mir ist. Es gibt jemanden, dem meine Agenda nicht egal ist – weil ich in seiner Agenda längst gut aufgehoben bin.

Es grüßt Sie Ihr Wilhelm Tolksdorf aus Essen


Literatur: https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda. Zugriff: 27.10.2019

Roman A. Siebenrock: Kommunikativ-dramatische Zeichen des angehenden Reiches Gottes. Die Sakramente der Kirche als Kriteriologie unserer Rede vom Handeln Gottes. In: Roman A. Siebenrock/ Christoph J. Amor (Hg.): Handeln Gottes. Beiträge zur aktuellen Debatte. Herder: Freiburg - Basel-Wien 2014, S. 238-264, hier S. 244-245 (= QD 262).


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda, Zugriff: 27.10.2019. [2] R. A. Siebenrock, Kommunikativ-dramatische Zeichen, S. 244.

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