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Kirche in WDR 5 | 17.01.2020 | 06:55 Uhr
Lieben Sie ihre Frau?
Guten Morgen!
Es
gibt Krach in der Familie. Ein heftiger Wortwechsel zwischen Vater und Mutter.
Die Kinder stehen stumm und erschrocken dabei. Heimlich stiehlt sich die
Zwölfjährige aus dem Haus, greift zu ihrem Handy und wählt die Festnetznummer der Eltern. Der Vater geht ran. Und
ist überrascht, als sich eine junge Stimme meldet: „Guten Tag, ich bin
Reporterin und mache eine Umfrage für eine Illustrierte – lieben Sie Ihre
Frau?“ Der Vater, völlig verdutzt, zögert: „Ja, hm, natürlich!“ Dann ruft er:
„Maren, komm doch mal schnell!“ Die Mutter erkennt auch erst nach ein paar
Schrecksekunden die Stimme ihrer Tochter: „Verzeihen Sie, ich mache eine
Umfrage – lieben Sie Ihren Mann?“ „Ja“, sagt sie verwirrt. „Danke!“ ruft die
junge Stimme am anderen Ende der Leitung. - „Jetzt brauche ich erst mal einen
Kaffee“, seufzt der Vater.
Ich kann mir vorstellen, dass ihm in dieser Situation eigentlich nicht danach
zumute war, auf gerade diese Frage zu antworten. Nein, das war eine echte
Überrumpelung. Aber beide Elternteile mussten mitspielen. Vielleicht ist ihnen
erst in diesem Moment bewusst geworden, dass ihre Auseinandersetzung sich vor
den Augen und Ohren ihrer Kinder abgespielt hatte. Es stand wohl auch noch mehr
auf dem Spiel. Denn was hätte es bedeutet, wenn einer von beiden mit „Nein“ geantwortet hätte?
Von dieser Begebenheit habe ich im Bekanntenkreis gehört und sie hat mich ziemlich
beeindruckt. Das Mädchen hatte eine Idee und hat sie ohne zu zögern in die Tat
umgesetzt. Dieser Einfall hat die ganze Situation spürbar verändert. Ihre ganze
Phantasie hat die Zwölfjährige spielen lassen, als sie spontan in die Rolle der
Reporterin schlüpfte.
Manchmal wünschte ich mir, ich hätte eine solche Phantasie, eine lösende Idee,
wenn zwei Leute in meiner Gegenwart heftig miteinander streiten. Dabei
verfügt doch jeder über Phantasie. Der eine entwickelt sie beim Fotografieren,
die andere beim Erzählen, wieder andere beim Einrichten der Wohnung. Aber wenn
ich in einen Konflikt gerate. Da, wo ein böses Wort das andere gibt. Da verengt
sich der Horizont, jegliche Lockerheit ist verschwunden, der Spielraum meiner
Phantasie geht verloren.
Die Frage der Tochter ist intuitiv und genial. „Lieben Sie Ihre Frau?“ – das
platzt mitten in den Streit hinein. Also in den Augenblick hinein, in dem sich
das Gesicht des anderen so leicht in das Gesicht eines Feindes, einer Feindin,
zu verzerren droht. In eine Situation, in der ich schnell vergesse, dass sich
hinter dem Gesicht meines Gegenübers ein Mensch verbirgt, der trotz allem, was
im Moment dagegen spricht, auf Liebe angewiesen ist und selbst Liebe schenken
kann.
Manchmal wünsche ich mir, mitten in den ja auch oft notwendigen
Auseinandersetzungen diese Stimme zu hören: „Lieben Sie diesen Menschen?“ Ich
denke, dass ich dann lockerer würde. Und vielleicht käme ich dann auch eher zu
der lösenden Idee, die es uns ermöglicht, wieder Schritte aufeinander zuzutun.
„Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, lese ich in der Bibel. Das ist ohnehin
schwer, vor allem aber im Streit. Aber warum sollte eine Phantasie, die
Konflikte löst, nur den Kindern vorbehalten bleiben?
Ich wünsche Ihnen allezeit Mut zur Phantasie, im Frieden und im Streit.
Ihr Pfarrer Michael Opitz aus Düsseldorf.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze