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Das Geistliche Wort | 08.03.2020 | 08:40 Uhr
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Mit Gottesfrieden grüßen
Sprecher: Guten
Morgen, ich grüße Sie. Wie geht es Ihnen? Hallo. Moin! Morgeen.
Autorin:
Wie schön, freundlich gegrüßt zu werden. Das
tut einfach gut. Ich freue mich immer, wenn mich jemand grüßt, egal, ob ich die
Person kenne oder nicht. Auf der Straße, im Büro, von meinen Lieben in der
Familie. Und ich grüße andere. Denn so habe ich es gelernt, von klein auf. In
Amerika bin ich aufgewachsen und da begegnet man anderen Menschen mit einem freundlichen
Sprecher: „Hi, how are you?“ „Fine thanks! And how are you?“
Autorin: „Hallo, wie geht es Ihnen? Gut,
danke der Nachfrage.“ So grüßt man, wenn man sich begegnet, und zeigt damit,
dass man den Anderen wahrnimmt. Als ich mit knapp zwölf Jahren wieder nach
Deutschland zurückkam, vermisste ich genau diese freundliche Art. Die Leute in meinem
hiesigen Heimatort gingen oft aneinander vorbei ohne ein Wort. Das mit dem Grüßen
ging nicht so beschwingt über die Lippen. Immer wieder sprach ich Grüße aus,
doch nichts kam zurück. Das hat mich irritiert und verunsichert.
Natürlich hat das amerikanische Begrüßungsritual auch Nachteile. Das wurde mir
spätestens klar, als mir damals eine Mitschülerin auf dem Flur ein „Fine,
thanks!“ entgegnete – und ich hatte noch gar nichts gesagt. Der ritualisierte
Gruß ist oft nicht bewusst gesprochen. Aber ich finde ihn allemal besser als
Schweigen.
Echte Grüße sind bewusste Handlungen, verbunden mit einer Haltung. Sie bergen
eine gute Kraft für unser Zusammenleben.
Musik 1: Interpret: Lack of Afro, Titel: All my love (Instrumental), CD:
Hello Baby. The Instrumentals, Track 3, Label: LOA Records, LC-Nr.: 49368.
Autorin: Der Gruß an sich ist bunt
wie das Leben. Er wechselt je nach Region, je nach Generation und je nach
Situation. Es gibt ihn in verschiedenen Abstufungen, mal fällt er knapp und
förmlich aus, mal freundlich und einladend. Da heißt es korrekt „Guten Tag“,
oder mit ausgestreckten Händen herzlich „Grüß Dich!“. Im Büro hört man auf den
Gängen „Mahlzeit“ oder ein gepflegtes „tach“ im Rheinland. Bei den
Konfirmandinnen erklingt ein „Was geht?!“ oder es blinken die Smiliys auf den
Smartphones.
Manche Grüße entwickeln sich aus praktischen Gründen. Wie der Bauerngruß von
Traktor zu Traktor, ein kurzes Kopfnicken mit abgespreiztem kleinen Finger;
damit der Rest der Hand am Lenker bleibt.
Innerhalb einer Gruppe zeigen Grüße eine Zugehörigkeit. So begegnen sich Jäger
mit einem „Waldmanns Heil!“ und Bergleute mit „Glück auf!“. Der Gruß als
gesprochenes Wort stärkt ihre Gemeinschaft, markiert das Verbindende und legt sich
wie ein Schutzwort über sie.
Wenn Gesten das gesprochene Wort ergänzen, verstärkt sich dieser Effekt noch.
Menschen aus der Reggae-Community erheben die rechte Hand und führen sie dann
als Faust auf die Herzseite des Oberkörpers. Die Geste transportiert das Motto:
ein Friede, eine Liebe. Das stiftet Identität. Doch ein Gruß kann auch zur
Gesinnungsprüfung werden und zum Ausschluss missbraucht werden. Ein
erschreckendes Beispiel hierfür finden wir in unserer deutschen Geschichte. Im
Nationalsozialismus wurde der gehobene rechte Arm zum Zeichen eines
diktatorischen, menschenverachtenden Regimes. Und zum Zeichen für Treue und Anpassung.
Wehe, man hat den Hitlergruß verweigert.
Musik
2: Interpret: Pet Metheny, Titel: Ferry
`cross the Mersey, CD: One Quiet Night, Track 8, Komponist: Gerry
Marsden, Label: Nonesuch (Warner), LC-Nr.: 00286.
Autorin: Das Wort grüßen geht auf das westgermanische „grotjan“ zurück,
welches „zum Reden bringen, sprechen machen“ bedeutet. Wenn wir grüßen, dann
nehmen wir den anderen Menschen wahr, suchen den Kontakt, wollen ihn zu Wort
kommen lassen. Im Gruß zeigen wir unsere Wertschätzung; im Supermarkt, in der
Fußgängerzone, beim Besuch. „Wie gut Dich zu sehen.“
Grüßen beginnt da, wo Gleichgültigkeit durchbrochen wird: im zugewandten Blick,
mit erhobenem Gesicht, mit einer Geste und einem Wort. Die Bibel hat für das,
was im Gruß mit Menschen passiert ein schönes Bild:
Sprecher: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr
lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein
Angesicht über dich und gebe dir Frieden. (4. Mose 6, 24-26) (1)
Autorin: Gott hebt ihr Angesicht, Gott hebt sein
Angesicht auf uns. Wir erfahren Gottes An-Sehen. Wir sind, weil wir gesehen
werden. Die bekannten Worte des aaronitischen Segens aus dem 4. Buch Mose sind
jeden Sonntag im Gottesdienst zu hören. Ein göttlicher Gruß aus der Bibel, der
uns Ansehen verleiht. Mir gibt der göttliche Gruß im Gottesdienst Halt,
bestärkt mich darin andere zu grüßen. Mit bewussten Worten und einer Haltung,
die von Herzen kommt. Denn ein solcher Gruß bewirkt viel. Für mich als
Christin, wird in solchen Grüßen Gottesfrieden weitergegeben.
In manchen Gebieten Deutschlands ist dieser Segenswunsch zum Alltagsgruß
geworden. „Grüß Dich Gott“, möge Gott Dir freundlich sein. Das „Dich“ ist im
Laufe der Jahre weggefallen. So wurde der Gruß zu „Grüß Gott“ und oft im Scherz
mit „wenn ich ihn sehe“ beantwortet. 2012 gelang es, den Gruß als EU-Marke im
Amt für Geistiges Eigentum schützen zu lassen. Ein Segenswort aus dem Alltag bewahrt
als europäische Marke.
Musik 3: Interpret: Thomas Siffling Trio, Titel: Die Leichtigkeit des Seins,
CD: Kitchen Music, Track 5, Komponist: Thomas Siffling, Label: JAZZNARTS
RECORDS, LC-Nr.: unbekannt.
Sprecherin:
Im neuen Jahr
grüße ich
meine nahen und
die fernen Freunde
grüße die
geliebten Toten
grüße alle
einsamen
grüße die Künstler
die mit
Worten Bildern Tönen
mich beglücken
grüße die
verschollenen Engel
grüße mich selber
mit dem Zuruf
Mut
Autorin: Oft wirken Grüße im
Alltag gegen die Ängste im Leben. Das zeigt die Dichterin Rose Ausländer in
ihrem Gedicht „Im neuen Jahr“ (2). Denn Grüße verbinden uns mit Freunden, mit
Fremden, ja sogar mit den geliebten Toten. Ein Gruß sagt: Du bist nicht allein
hier und ich bin nicht allein hier. Ein
Gruß ermutigt. Er schafft Kontakt, aus dem Begegnung werden kann. Das fühlt
sich lebendig an, aufmunternd, denn „alles wirkliche Leben ist Begegnung“. So
der jüdische Philosoph Martin Buber. Buber spricht vom „Ich und Du“. Erst in
der Begegnung mit anderen sind wir wir.
Grundlage für die Begegnung zwischen uns Menschen ist die Begegnung mit Gott. Wenn
wir uns grüßen, ist Gott mit im Spiel. Im Gruß vereinen sich vertikale und horizontale
Ebene. Ich und das göttliche Du. Ich und das menschliche Du. Im Gruß kreuzen
sich Gottes Zusage mit unserem Ansehen.
Die Bibel versteht den Gruß genau so. Im Lukasevangelium wird von der Kraft des
Grußwortes erzählt:
Sprecher: In diesen Tagen stand Maria auf. Sie
wanderte eilig durch das Gebirge in eine Stadt Judäas. Sie ging in das Haus des
Zacharias und begrüßte Elisabet. Und als Elisabet den Gruß Maias hörte, da
hüpfte das Kleine in ihrem Bauch. Elisabet wurde mit heiliger Geistkraft erfüllt,
und sie brach mit lauter Stimme in die Worte aus: „Willkommen bist du unter
Frauen, und willkommen ist die Frucht deines Bauches!“ Woher weiß ich, dass die
Mutter meines Herrn zu mir kommt? Siehe, als dein Gruß in mein Ohr hineinkam,
da hüpfte das Kleine in meinem Bauch voller Jubel. Glücklich ist, die geglaubt
hat, dass sich erfüllen werde, was die Lebendige zu ihr gesagt hatte.“ (Lukas
1, 39-45) (3)
Autorin: Elisabet hört Marias Gruß, ja, sie
verinnerlicht ihn. Er geht ihr durchs Ohr, direkt in den Bauch, ihr Kind hüpft
im Leib. Ein gutes Wort hat sie gehört. Es erfüllt sie mit Lebensenergie, mit
Geist und Kraft. Sie hat keine Angst mehr vor der Zukunft. Sie ist offen für
das, was kommt. Im Gruß zwischen den beiden Frauen liegt eine elementare Form
von Segen. Im Gruß sagen wir dem anderen ein gutes Wort, sagen den anderen gut,
im Sinne des lateinischen Wortes „benedicere“, „Gutes sagen“. Durch
unseren Gruß wird das Gegenüber verändert.
Musik 4: Interpret: Thomas
Siffling Trio, Titel: Anticipation, CD: Personal Relations, Track 1,
Komponist: Thomas Siffling, Label: JAZZNARTS RECORDS, LC-Nr.: unbekannt.
Autorin: Als Christinnen und
Christen ist uns der Gruß in die Wiege gelegt. Wir können andere grüßen mit
guten Worten, weil wir selbst von Gott gegrüßte sind. In der Taufe wird uns
dieser Gruß zuteil. Wir sind geradezu beauftragt, Grüßende zu sein. In unseren
Gemeinden übernehmen meist die Besuchsdienste das Grüßen. Sie gehen zu den
Menschen, besuchen sie zu Geburtstagen oder besonderen Anlässen, sie begrüßen die
Neuen in der Kirchengemeinde. Sie sprechen das „Willkommen“. Das tun sie, weil
sie Freude daran haben, Menschen anzusprechen, weil sie neugierig sind auf
deren Lebensgeschichten und weil ihnen etwas am Evangelium liegt. Die Botschaft
in die Häuser zu tragen, dazu sind die Menschen in der Nachfolge Jesu
beauftragt:
Sprecher:
Diese
Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: (…) Geht (…) und predigt und
sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt
Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. (…) Ihr sollt weder
Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche,
auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. (…)
Wenn ihr aber in ein Haus geht, so grüßt es; (4)
Autorin: Der Evangelist Matthäus
berichtet: die Jünger ziehen ohne Reisetasche, ohne bequeme Utensilien in die
Welt hinaus. Sie sollen sich den Fremden stellen und in ihrem Gruß den
Gottesfrieden weitergeben. Ein wunderbares Bild des Aufsuchens und Nachgehens,
der Sensibilität für die Bedürftigkeit der Menschen. Kirche sein für Andere. Kirche
sein mit Anderen. Spüren, was Not tut. Im Gruß fängt es an.
Was aber, wenn es ein Kreuz ist mit dem Gruß? Wenn wir an Menschen geraten, die
keinen Kontakt wünschen? Die Tür geht auf, und jemand erntet ein schroffes:
„Ich wünsche keinen Besuch.“ Dann fliegt die Tür zu. Wer grüßt, macht sich
verletzbar. Neben der Erfahrung, dass solche Worte im Herz stechen, bleibt die
Frage, was mit dem Gruß passiert. Der Evangelist Matthäus ist hier eindeutig.
Sprecher: Und wenn es das Haus wert
ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht wert, so wird sich euer
Friede wieder zu euch wenden. (5)
Autorin: Ein Gruß kann nur wirken,
wenn er angenommen wird, sonst kehrt er zum Grüßenden zurück. Das grüßende Wort
braucht also ein offenes Ohr. Das Schlimmste aber, was passieren kann, wenn wir
grüßen und keine Resonanz erfahren: wir nehmen den Gottesfrieden wieder mit!
Musik 5: Interpret: Julian
& Roman Wasserfuhr, Titel: Moondance, CD: Relaxin' in Ireland, Track
4, Komponist: Van Morrison, Label: Act Music, LC-Nr.: 07644
Autorin (overvoice): Von einem Gruß kann große Wirkung ausgehen. Also, wenn Sie heute
unterwegs sind, dann grüßen Sie doch ganz bewusst. Auch jene, die Sie nicht
kennen. Sie riskieren wenig, aber gewinnen können Sie und ihr Gegenüber überaus
viel. Leben ist Begegnung. Gute Erfahrungen wünsche ich Ihnen damit. Ihre
Susanne Wolf, Pfarrerin aus Wuppertal.
Musik 5: (s.o.)
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth
Quellenangaben:
1. 4. Mose
6, 24-26, in: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1999.
2. Rose Ausländer, Im neuen Jahr, in: dies., Wieder ein Tag aus Glut und Wind.
Gedichte. 1980-1982 (=Band 6, Gesamtausgabe), S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M.
1986, S. 69
3. Lukas 1, 39-45, in: Bibel in gerechter Sprache, Ulrike Bail u.a. (Hg.),
Gütersloh 2006.
4.
Matthäus 10, 5-15 in Auszügen, vgl. Anmerkung 1.
5. vgl. Anmerkung 4.