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Seele, vergiss es ja nicht

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Kirche in WDR 5 | 04.06.2020 | 06:55 Uhr

Seele, vergiss es ja nicht

„Und dann lass mal so richtig die Seele baumeln!“

Die Menschen, die mir das wünschen, meinen es gut. „Entspann dich“, wollen sie mir sagen, „nimm den Druck raus“, „lass es locker angehen.“ „Befrei deine Seele aus dem Hamsterrad und leg sie in die Hängematte.“

Eigenartigerweise konnte ich mit diesem Wunsch noch nie etwas anfangen. Meiner Seele bekommt es nicht, wenn sie baumelt. Das habe ich in den vergangenen Wochen des Ausnahmezustands noch deutlicher gespürt als sonst.


Im Gebetbuch der Bibel, in den Psalmen, ist bemerkenswert viel von der Seele die Rede. Nach biblischer Vorstellung sitzen dort unsere sämtlichen Gefühle. Die glücklichen und die schönen. Die traurigen und die ängstlichen. Die quälenden und die wütenden auch.

Die hebräische Sprache, in der die Psalmen ursprünglich aufgeschrieben wurden, gebraucht ein- und dasselbe Wort für „Seele“ und „Kehle“. Manchmal, wenn die Angst mich hat, sitzt der berühmte Kloß im Hals und macht alles eng. Das Leben ist spürbar bedroht. Und manchmal, wenn ich gut drauf bin, will die Freude buchstäblich durch die Kehle – lässt mich singen oder beten, jubeln oder leise flüstern.


„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“: So spricht im 103. Psalm ein Mensch seine eigene Seele an. Offenbar hat er am eigenen Leib erfahren, wie er aus Angst und Not gerettet wurde. Wie er plötzlich noch einmal befreit aufatmen konnte, neu Luft bekam. Wie er nach Traurigkeit wieder Zuversicht schöpfte; wie ihm in elender Schwäche neue Kraft zuwuchs.

Dieser Mensch weiß: Not und Tod und Krankheit und Gefahr sind dadurch nicht weggezaubert oder für immer gebannt.

Aber er spürt: Was ich da erfahren habe, das will ich tief im Herzen behalten. Es ist ein kostbarer Schatz und eine starke Kraft. Und wenn ich wieder in Not geraten sollte, wenn Traurigkeit mich überfällt oder der Mut mich verlässt, will ich mich daran erinnern und neue Zuversicht schöpfen. Nebenbei: Wie schön, dass die deutsche Sprache das Zwiegespräch mit der eigenen Seele aufbewahrt! „Sich erinnern.“ Das hat einen Rückbezug auf mich: Ich erinnere mich an etwas oder an jemanden und sage damit mir selbst: „Vergiss nicht, Seele!“. Es ist, als machte ich meiner Seele Beine.

Das braucht sie. Und wie!


Meinen Körper und meinen Geist, die lasse ich gern mal baumeln.

Aber für meine Seele ist das Gift. Sie will wach bleiben. Nicht baumelnd, sondern auf Empfang gestellt.

Sie braucht die Ansprache: „Vergiss nicht!“; „Was betrübst du dich?“ „Sei nun wieder zufrieden!“

Sie darf das Schlimme nicht vergessen, damit es nie wieder geschieht.

Und sie soll sich an das Gute erinnern, damit sie neue Kraft gewinnt und das Vertrauen auf Gott nicht verliert.

Ob Sie Ihrer Seele heute einen Stups geben?


Aus Bielefeld grüßt Sie Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.




Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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