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Das Geistliche Wort | 19.07.2020 | 08:40 Uhr

Wachsen lassen


Guten Morgen!

Könnten wir das Gras wachsen hören, ich bin überzeugt: Vieles sähe anders aus. Wir hätten vermutlich viel früher das wachsende Gras der Corona-Pandemie wachsen gehört und wären vielleicht besser gewappnet gewesen. Wir würden aber vielleicht auch genauer wahrnehmen, was schon wieder an Neuem und Gutem wächst, obwohl der Lockdown so viele Räder stillstehen ließ und teilweise auch noch lässt. Genau diese Wachstumsperspektive scheinen mir die drei Beispiel-Erzählungen Jesu aufzuzeigen, die in der katholischen Kirche am heutigen Sonntag im Gottesdienst vorgetragen werden.

Sie alle haben mit Corona erst einmal gar nichts zu tun. Weder Jesus selbst noch der Evangelist Matthäus, reagieren auf irgendeine vergleichbare akute Notsituation. Sehr wohl aber reagiert das Evangelium auf ein Grundgefühl, das durch die Jahrtausende hindurch immer dasselbe ist – bis heute: Angst. Angst, die die Hoffnung klein hält. Angst, die eher Untergangsszenarien entwirft als irgendwelches Wachstum erkennt. Angst, die in der Gefahr steht, die unangenehme Wirklichkeit zu verdrängen, nach Schuldigen zu suchen oder gar in Aggression umzukippen. Wie sich solche Angst anhört, das zeigt der Komponist Dmitri Schostakowitsch in einem seiner symphonischen Sätze, den er überschrieben hat mit: „Ängste“.

Ängste – auch vertont in der Musik – haben immer etwas Beklemmendes und erzeugen Verunsicherung. Auch schon zurzeit Jesu. Damals waren Ängste bestimmt vom täglichen Existenzkampf einer zum großen Teil ärmlichen Bevölkerung: Die Felderträge waren knapp, die Abgaben, hoch. Dazu drohten Gewaltmaßnahmen der römischen Besatzer, wenn sie Widerstand bemerkten. Dagegen setzt Jesus Worte, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen. Immer fangen sie an: „Mit dem Himmelreich ist es wie …“. Und sehr oft ist danach vom Wachstum die Rede, von dem in der Realität nicht wirklich etwas zu sehen – geschweige denn zu hören ist.

Sind dann aber die Reden Jesu vom Himmelreich damals wie heute nicht bestenfalls eine Vertröstung? Wird hier nicht einfach nur die bedrängende Gegenwart ausgeblendet?

Andererseits: Wenn schon wenige Jahrzehnte nach Jesu Tod und Auferweckung diese Worte schriftlich festgehalten und gelesen werden, muss es zumindest Menschen gegeben haben, die auch und gerade in ihrer Alltagswirklichkeit damit etwas anfangen konnten. Und als Bibelwissenschaftler kann ich nur sagen: In den Gleichnissen vom Himmelreich und seinem Wachstum steckt bis heute eine verändernde Kraft, etwas Bedeutsames. Hören wir den Anfang der ersten Erzählung (Mt 13,24-28):

Sprecher: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen?“

Die Erzählung ist ein sogenanntes Gleichnis. Wenn hier vom „Himmelreich“ die Rede ist, wörtlich: von der „Herrschaft der Himmel“, dann meint das die Herrschaft Gottes. Aus Ehrfurcht wurde damals im Judentum das Wort Gott vermieden und stattdessen das Wort Himmel verwandt. Das Gleichnis vom Wachstum mit der etwas rätselhaften Formulierung zu Beginn: „Mit dem Himmelreich ist es wie“ will also sagen: Da, wo Gottes Wirksamkeit sich zeigen will, und zwar schon hier auf Erden, da geht es so zu wie bei der Landwirtschaft: Die Wirksamkeit des Guten, also die Getreidesaat, wird immer wieder gestört. Aktuell würde ich das Gleichnis noch so deuten: Unkraut macht sich breit, so wie das Corona-Virus. Es stört das Weiterfunktionieren all der so gut eingespielten Abläufe des Alltagslebens mit Flugverkehr, Produktion und Verkauf, Restaurantbetrieb, Fußball und Kunstfestivals. Es stört, wie in den musikalischen Alltag des tschechischen Komponisten Bed?ich Smetana der Hörsturz mit anschließender Ertaubung einbrach. In seinem ersten Streichquartett hat er diese Störung in Musik gesetzt:

Das biblische Gleichnis vom Wachstum von Saat und Unkraut hat noch eine weitere Gemeinsamkeit mit unserer aktuellen Situation: Die Pandemie hat so wenig einen konkret haftbar zu machenden Verursacher wie das Unkraut auf dem Feld. Beides ist keinesfalls eine göttliche Strafaktion für was auch immer. Aber dennoch ist das die erste Frage: Wer war das? Wer ist verantwortlich? Woher kommt das Unkraut? Wo das Störende, das Fremde, das Unbeherrschbare und Ungreifbare in das Leben hereinbricht, geht die Frage nach dem Schuldigen sofort los. Im Gleichnis Jesu ist die Rede von einem nicht greifbaren Feind, der das Unkraut ins Feld streut. Schaut man einmal ins Internet, werden als Verursacher der Pandemie heutzutage unter anderem chinesische Fledermausesser, chinesische Laboranten, Juden oder böswillige, das Weltfinanzwesen lenkende Finsterlinge genannt. Alles abstruse Verschwörungstheorien!

Weiter im Gleichnis machen die Feldarbeiter einen zerstörerischen Vorschlag: Sie wollen das Unkraut, das zu keimen beginnt, ausreißen.

Doch die Antwort des Gutsherrn ist eindeutig (Mt 13,29-30):

Sprecher: „Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!“

In dieser Antwort stecken zwei Hinweise. Einmal: Der Umgang mit der Störung verlangt Geduld im Sinn von Ausdauer. Wie schwer es diese Tugend hat, wurde in den letzten Monaten deutlich, als es galt, Abstandsregelungen und Kontaktverbote einzuhalten, bis die Ansteckungszahlen auf ein unbedenklicheres Maß herabgesunken sind. Viele haben ausgehalten, viele aber auch nicht. Kaum sind Grenzen gesetzt, weicht die Einsicht der Ungeduld, die nach Lockerungen und Aufhebung verlangt.

Zum anderen: Es gilt auch Geduld zu haben mit denen, die stören. Das Gleichnis lässt erkennen: Die eigentlichen Störer sind nicht die Unkrauthalme, sondern die Knechte, die sofort eingreifen wollen, denen das Ausreißen des vermeintlichen Unkrauts wichtiger ist als das Wachstum des guten Korns, das vom Unkraut gar nicht zu unterscheiden ist in diesem frühen Wachstumsstadium. Die Knechte sind der eigentliche Feind des Gotteswirkens. Sie stehen vermutlich mitten unter der Hörerschaft Jesu. Sie müssen sich von Jesus sagen lassen: Aus solcher radikalen Sicht entspringt kein Wachstum. Es erinnert mich an den Satz einer Violinsonate Mozarts, der trotz wunderschöner Musik nicht vom Fleck zu kommen scheint.

Wachstum heißt Entwicklung und nicht auf der Stelle stehen bleiben. Und genau solches Wachstum ist die Absicht Gottes: Wachstum eines Lebens in seiner bunten Vielfalt. Dies verdeutlicht Jesus mit einem weiteren Gleichnis. Das Himmelreich wird verglichen mit einem winzigen Samenkorn, aus dem die Senfstaude wächst, die mit zwei bis drei Meter Höhe zu den größten Gemüsepflanzen zählt. Sie bietet am Ende Platz für alle Vögel des Himmels. Ich denke dabei an viele durchaus „bunte Vögel“. Auf die Pandemiezeit von heute übertragen: Hier ordnen sich alle gewachsenen, manchmal vielleicht auch seltsam erscheinenden Versuche ein, neue Wege des Miteinanders bei gebotenem sozialen Abstand zu finden, im weltlichen wie im kirchlichen Bereich. Gerade hier gilt es, weiter wachsen zu lassen und nicht vorschnell zarte Pflänzchen neuer Lebendigkeit herauszureißen, weil sie nicht ins Richtlinienschema passen. Dabei ist es noch wichtig, dass der Senfsamen als das kleinste Samenkorn von allen bezeichnet wird. Wenn es darum geht, den göttlichen Selbstentschluss, Leben wachsen zu lassen, in eigenes Handeln umzusetzen, ist kein Anfang zu klein. Welch ein Bild gegen alle, die zaghafte Neuanfänge, auch in der Kirche, kleinreden und ihnen kein Wachstum zu Großem zutrauen. Natürlich sind fünf Menschen, die sich im Netz per Videokonferenz finden und über Gott in Zeiten der Krise nachdenken, noch keine Massenbewegung. Ob sie je in einem Sonntagsgottesdienst auftauchen werden oder wie lange der Austausch anhalten wird, weiß niemand. Und doch: Wenn auch nur eine von den Fünfen einem einzigen anderen von ihren Erfahrungen erzählt, fängt ein Samenkorn an zu wachsen.

Zurück zu den Gleichnissen. Jesus setzt ein drittes Mal an und vergleicht das Himmelreich mit einem Stück Sauerteig, das im Backmehl verborgen wird, um es am Ende ganz zu durchsäuern. Die unsichtbare, Leben und Wachstum schenkende Kraft Gottes, die Christen an Pfingsten gefeiert haben, geht ihrer vollständigen Erfüllung am Jüngsten Tag entgegen. Der Wachstumsprozess ist schon längst im Gange. Man kann natürlich auf das Unkraut, die Kleinheit des Senfkorns und die Menge des Mehls schauen. Aber dann bleibt man ängstlich auf den Anfang fixiert. Die Gleichnisse Jesu vom Himmelreich dagegen wollen den Blick lenken auf das reifende Korn, die zu erwartende Senfpflanze und den vollständig durchsäuerten Teig.

Mit anderen Worten: Die Gleichnisse Jesu wollen aus der Perspektive der Angst herausführen und ermutigen, geduldig mit sich und den anderen zu sein, voll Schaffenskraft und voll Hoffnung zu schauen: Wo kann ich mitmachen, damit Lebendigkeit wächst und wo finde ich schon ermutigende Spuren davon? Mich persönlich beeindruckt das Aufkeimen von Initiativen der Nachbarschaftshilfe. Auch durfte ich die Erfahrung machen, wie ein spontaner Anruf bei Bekannten mit so gut wie keinen Außenkontakten im Gespräch Lebendigkeit aufbrechen ließ. Traurigkeit wandelte sich hörbar in Freude und neue Zuversicht.

Solche Zuversicht, die ohne Angst nach vorne schaut, wünsche ich auch Ihnen. Vielleicht entdecken Sie an diesem Tag ja etwas, wo Leben neu zu wachsen beginnt. Aus der Erzbischöflichen Bibelschule in Köln grüßt Sie Gunther Fleischer.




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