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Das Geistliche Wort | 25.10.2020 | 08:40 Uhr

Wenn die Zukunft die Richtung ändert


Guten Morgen!

„Nudeln, Reis und Mehl zum Selbstkostenpreis abzugeben“, steht auf dem Angebotszettel, der in meiner Straße an einem Baum heftet. Der untere Teil des Zettels ist so vorbereitet, dass man sich die Telefonnummer des Anbieters abreißen kann, um bei Bedarf, Kontakt aufzunehmen.

Solche Zettelaushänge sind in meinem Stadtteil in Recklinghausen, wo ich lebe und als Pastoralreferentin arbeite, nicht untypisch. Auf diese Weise wird gegen Finderlohn nach flüchtigen Haustieren gefahndet, nach einer Wohnung gesucht oder auf interessante Veranstaltungen hingewiesen. – ABER: Dieses Angebot ist so außergewöhnlich anders aufgemacht, dass ich neugierig bin und anrufe.

Corona bedingt hat der Anbieter sich bei Hamsterkäufen so gut eingedeckt, dass ihm jetzt in der Wohnung der Stauraum fehlt. Außerdem befürchtet er inzwischen, dass er die gehorteten Lebensmittel vor Ablauf des Verfallsdatums gar nicht selbst verzehren kann.

Am Telefon erzählt er über seine Sorgen zu Beginn der Pandemie: Panik habe ihn befallen, nachts habe er schlecht geschlafen, viel wach gelegen aus Sorge um seine Existenz. Seine ganze Alltagsroutine sei auf den Kopf gestellt gewesen. Erst ganz allmählich kehre etwas Gelassenheit zurück, aber von Normalität sei sein Leben ganz weit entfernt. Sein Fazit: „Nichts ist wie es war, alles ist anders! Damit komme ich einfach nicht klar!“

„Nichts ist wie es war, alles ist anders!“ Und was morgen wird, weiß angesichts der Corona-Krise auch niemand: Es gibt eben Zeiten, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Und Corona Zeiten sind solche Zeiten. Das Prinzip „Weiter so – wie gehabt“ funktioniert nicht mehr.

Und jetzt?

„Was wird werden?“ - Die offene Situation, in der es keine gesicherten Handlungsempfehlungen für die Zukunft gibt, bestimmt für viele den Alltag. Schlimmer:
Ungewissheit verunsichert und lähmt die Kreativität, neue Ideen für eine positive Zukunft zu entwickeln. - Für Unheilspropheten und Verschwörungstheoretiker bietet das einen willkommenen Nährboden: Die einen behaupten Bill Gates wolle die Menschheit zwangsimpfen und überwachen. Andere deuten die Corona Krise als Instrument der Chinesen, die eine neue Weltordnung anstreben, in der die geltenden Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden. Mit solchen Horrorszenarien werden Ängste geschürt und verstärken sich die Ohnmachtsgefühle vieler Menschen.

Nein: Angst ist kein guter Ratgeber. Ich frage mich vielmehr nach der Schockstarre, nach der Trauer über das, was die Pandemie ausgelöst, verursacht, ja vernichtet hat: Was lerne ich, was lernt unsere Gesellschaft aus der Covid-19-Pandemie?

Vielleicht zunächst, dass wir Menschen doch nicht alles im Griff haben, und dass wir endlich und begrenzt sind. Ein für das bloße Auge unsichtbares Virus verändert die ganze Welt – und das nicht in einem Ruck, sondern langsam und schrittweise aber sicherlich nachhaltig. Allerdings müssen die Veränderungen ja nicht nur negativ sein. Die Wirklichkeit ist ambivalent, will heißen, es gibt vielleicht auch positive Veränderungen.

Ich fange erst einmal mit einigen negativen Entwicklungen an, die sicherlich allseits bekannt sind: Die Corona Krise bewirkt einschneidende Verluste und erzeugt Existenzängste.

Konkrete Verlierer sind alle, die sich nicht rechtzeitig schützen konnten, die mit bleibenden gesundheitlichen Schäden oder gar mit ihrem Leben bezahlen mussten. Doch auch ohne sich selbst zu infizieren, leiden viele unter schwerwiegenden Folgen: Die Gastronomie und die Reisebranche sind eingebrochen, zigtausendfache Arbeitslosigkeit ist die Folge. Pause herrscht auf fast allen Theater- und Konzertbühnen. Kinosäle bleiben leer. Wirtschaftsunternehmen haben Probleme mit globalen Lieferketten. Die Auswirkungen des Virus in den Krisenregionen der Welt sind zurzeit noch gar nicht abzusehen. Ich denke da an Syrien und viele Staaten Afrikas und Lateinamerikas, wo sowieso schon Krieg und Hunger herrschen. Das Virus wird hier noch unzähligen Menschen das Leben kosten.

Und dennoch geht das Leben weiter. Und: Es lassen sich immer wieder kleine Lichtblicke im anhaltenden Krisenzustand ausmachen, die positiven Veränderungen:

Die unmöglich gewordene Fernreise findet ganz unvorhergesehen einen wunderbaren Ersatz durch Ausflüge ins bisher unentdeckte und sogar attraktive Naherholungsgebiet.

Kleingartenanlagen in unserer Region verzeichnen eine erhöhte Nachfrage von interessierten Pächtern, die die Freude am Gärtnern für sich neu entdeckt haben.

Die Fahrradbranche boomt genauso wie der Buchhandel. Menschen die vor lauter Erlebnishunger nicht zur Ruhe kamen, machen plötzlich ausgiebige Spaziergänge oder erleben neue Welten durchs Lesen.

Nachbarschaftshilfe wird neu wertgeschätzt. In einem bisher anonymen Mehrfamilienhaus initiiert ein junges Pärchen ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl mit einem kurzen Kartengruß an alle Hausbewohner und dem Angebot, für die älteren Mitbewohner einzukaufen.

Eine 13-jährige lädt die Nachbarschaft allabendlich zu ihren Balkonkonzerten ein, mit denen sie trotz social distance neue Nähe im Wohnviertel herstellt.

Und auch meine Kirchengemeinde hat wieder neu entdeckt, dass ihre Kernaufgabe nicht nur im Gottesdienstfeiern besteht, sondern besonders auch im caritativen Einsatz für Menschen mit ihren Alltagssorgen. Per Telefon werden jetzt ganz unkompliziert Hilfsdienste durch Jugendliche für Senioren organisiert.

Könnte es sein, dass das Virus unser Leben in eine Richtung verändert, in die es sich sowieso verändern sollte?

Covid 19 eröffnet viele Fragen. Die Antworten stehen zum großen Teil noch aus. Aber ich bin überzeugt: Gerade mit Fragen eröffnen sich neue Perspektiven. Mit den Fragen zeichnen sich die Antworten ab.

Paul Michael Zulehner, Theologe und Sozialwissenschaftler aus Wien, regt in einem Vortrag zu einem solchen Nachdenken, Nachfragen über uns und unsere kulturellen Umgangsformen an:

Sprecher: „Typisch für unsere Zeit ist eine hohe Wertschätzung der je einzelnen Person, des Individuums, der Menschenwürde und der vielfältigen Menschenrechte. Das ist auch gut so! Aber so wichtig der Einzelne ist: Nicht selten kippt die gepriesene Individualität in entsolidarisierten Individualismus. Das kann derzeit umso leichter geschehen, weil wir latent angstbesetzt sind. Angst aber entsolidarisiert. Entsolidarisierung zeigt sich derzeit vielfältig: Dann sorgen die Länder zunächst für sich. Antiglobalisierter Nationalismus macht sich breit. Wenn eine Wiederwahl gefährdet ist, werden Schuldige gesucht: ein Labor in China, Gouverneure, denen Menschenleben wichtiger sind als eine neuerliche Wiederwahl, auch wenn sie deshalb von Colt tragenden Demonstranten wegen Freiheitsberaubung beschimpft werden. – Aber muss die Pandemie wirklich solche dunkle entsolidarisierende Auswirkungen zeitigen? Es könnte auch anders kommen.“[1]

Ja, das denke ich auch. Und das lässt sich vielleicht schon an dem Wort „Pandemie“ ablesen.

Es klingt in unseren Ohren sehr bedrohlich. Dabei eröffnet das Wort „Pandemie“ einen ganz anderen Horizont. Es setzt sich zusammen aus den beiden griechischen Teilworten „pan“ für „alles“ und „demos“ für „Volk“. „Pan demos“ ist also „alles Volk“ und meint das ganze Volk.

Es geht um das Ganze. Und damit verbunden könnte daran erinnert werden, dass es nur die eine ganze Schöpfung gibt und in ihr nur die eine ganze Menschheit!

So hört sich „Pandemie“ gleich ganz anders an und signalisiert nicht einfach nur Bedrohung, sondern eröffnet auch Ermutigung!

Auch die Wirklichkeit der Pandemie ist ambivalent. Wie wäre es, wenn die Pandemie statt Hamsterkäufe eine Geschenkkultur befördern würde, statt Egozentrik Rücksicht und statt Nationalismus weltweite Solidarität?

Eine Pandemie weltweiter Solidarität – das wäre doch was für die Zukunft, ein Virus, das die Haltung verbreitet: Ich sehe Dich bevor ich auf mich sehe! Ich bin mir sicher: Solche eine Haltung bewirkt mehr Lebensqualität.

Wenn Menschen füreinander einstehen, sich mit Respekt begegnen und füreinander Sorge tragen, dass alle den für sie nötigen Raum zur Entfaltung ihrer Talente und Begabungen finden und das bekommen, was sie zum Leben brauchen, dann beginnt Leben in Fülle.

Letztens durfte ich ein Beispiel solcher Lebensfülle erleben: Es ging um die Erstkommunionfeier in meiner Gemeinde in Recklinghausen. Ein Kommunionkind musste morgens kurzfristig seine Teilnahme an der Erstkommunionfeier wegen Corona bedingter Quarantäne absagen. Dabei hatte es sich seit Monaten darauf vorbereitet und gefreut. Und, was machten die anderen Kinder aus der Erstkommuniongruppe? Ganz selbstverständlich – ohne große Aufforderung – gingen sie direkt im Anschluss an den Gottesdienst zu dem Jungen nach Hause. Eigentlich war für jedes Kind jetzt die familiäre Feier angesagt. Aber nein – der Besuch des Jungen ging vor. Vor seiner Haustür haben die Kommunionkinder Luftballons mit guten Wünschen aufsteigen lassen und ihn wissen lassen: „Auch wenn du nicht mit uns in der Kirche sein konntest, du gehörst zu uns und wir gehören zusammen. – Vergiss das nicht!“

Ja – so beginnt Leben in Fülle – trotz oder gerade wegen der Pandemie. Aus Recklinghausen grüßt Sie Cäcilia Leenders-van Eickels

[1] Covid-19 zwingt uns Fragen zu stellen; Reflexionen zur Pandemie; Vortrag für die OÖ LehrerInnenfortbildung; zitiert nach: https://www.zulehner.org/dl/mollJKJOLJqx4KJK/2006018_A5_PH_O__Onlinevortrag_Covid-19_stellt_uns_FRagen_die_uns_infragestellen.pdf

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