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Das Geistliche Wort | 08.11.2020 | 08:40 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Frauen sind keine Engel…

Autorin: „Was würdest Du tun, wenn es 24 Stunden lang keine Männer gäbe?“ Isabell Gerstenberger ist Influencerin. Mehr als 36.000 Frauen und Männer folgen ihr auf Instagram. Und neulich hat sie ihre Follower:innen genau das gefragt: „Was würdest Du tun, wenn es 24 Stunden lang keine Männer gäbe?“ Frauen haben darauf geantwortet: „Ich würde anziehen, was mir gefällt.“ Und „Ich könnte im Fitnessstudio trainieren, ohne angestarrt zu werden.“ Oder „Ich könnte abends alleine spazieren gehen, ohne Angst zu haben.“


Eine einfache Frage und sehr eindeutige Antworten. Merken Sie was? Das alles sind Beschreibungen von sexualisierter Gewalt. Was ziehe ich an, gehe ich alleine raus, starrt mich auch keiner an? Das fragen sich so nur die Frauen. Das zeigt: Männer und Frauen werden ungleich behandelt. Und die sexualisierte Gewalt ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Das, was man sofort sieht. Ich bin mir sicher, darunter schlummert noch viel mehr. Und deshalb soll es heute mal um Frauen gehen. Wie Frauen leben, wie mit Frauen umgegangen wird, wie sich Frauen selbst sehen und was Frauen stark macht.


Musik 1: Track 10: „Raus aus’m Reichstag mit’n Männern“, CD: Babylon Berlin (Vol. II), Interpretin: Claire Waldoff, Autor: Friedrich Hollaender, Label: BMG, LC 19813.

“Die Männer haben alle Berufe

sind Schutzmann und sind Philosoph

sie klettern von Stufe zu Stufe

in der Küche stehen wir und sind doof

sie bekommen Orden, wir bekommen Schwielen

liebe Kinder, es ist eine Schmach!

Ja, sie trauen sich, ja, die Politik zu spielen

aber, na, sie ist ja auch danach …”


Autorin: Nicht schön, aber selten. Die Stimme von Claire Waldoff. Die gebürtige Gelsenkirchenerin singt in den 1920er Jahren auf den Bühnen Berlins von der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern. Dabei ist das doch die Zeit des Aufbruchs. Das Frauenwahrecht ist erstritten und nicht nur das. Heute, 100 Jahre später, sagt die Oxford-Ökonomin Linda Scott: „Frauen sind die größte Unterschicht der Welt.“ (1) Ist das so? Und vor allem: Muss das so bleiben? „Der Apostel Paulus war zwar nicht in Oxford, gilt aber als einer der großen Lehrer der Christenheit. Er hat schon vor 2000 Jahren geschrieben:


Sprecher:Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, unfreie Diener oder freie Menschen, Männer oder Frauen. Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus seid ihr alle wie ein Mensch geworden.“ (2)


Musik 2: Track 13, „Girls, girls, girls“, CD: The very best of Sailor, Interpreten: Sailor, Autor: Georg Kajanus, Label: Epic, LC 00199.

Autorin: 2020 sind Frauen die größte Unterschicht der Welt. Interessante Perspektive. Aber sehen sich Frauen so?

O-Ton-Collage:

Musik 3: Track 13, „Nein, Frauen sind keine Engel“, CD 1: Die Schlagerparade der 40er Jahre, Interpretin: Margot Hielscher, Autor: Theo Mackeben, Label: Musictales, LC 11391.

„Ja, Frauen sind keine Engel
Sie tun so doch nur zum Schein,
sie schau‘n euch mit sanften Augen an
und können so herzlos sein
Nein, Frauen sind keine Engel …


O-Ton: „Ich bin vielseitig.“


Autorin: Ja, darum geht es! So sind all die wunderbaren Frauen in meiner Umgebung: engagiert und talentiert. Vielseitig eben. Ein paar von Ihnen haben mir – Corona-tauglich – Sprachnachrichten geschickt und mir gesagt, wer sie sind.


O-Töne: „Ich bin Journalistin.“ „Evangelische Pfarrerin und Pfadfinderin.“ „Volkswirtschaftlerin.“ „Physiotherapeutin und Notfallsanitäterin.“ „Sozialarbeiterin.“ „Kunsthistorikerin und Museumspädagogin.“ „Mutter und Personalentwicklerin.“ „Ethnologie-Studentin, Praktikantin und werdende Mutter.“ „Vermessungsingenieurin.“ „In einer Ausbildung zur Sozialassistentin.“ „Fröhliche Ehefrau.“ „Kauffrau und Familienmanagerin.“ „Mit Leib und Seele Ärztin.“ „Mama, Familienorganisatorin und Lehrerin.“ „Nebenbei Musikerin.“


Musik 4 = Musik 1:

„Wat die Männer können, können wir schon lange

und vielleicht 'ne janze Ecke mehr.

Raus mit'n Männern aus'm Reichstag

und raus mit'n Männern aus'm Landtag

und raus mit'n Männern aus'm Herrenhaus

wir machen draus

ein Frauenhaus …”


O-Ton-Collage Ende


Autorin: wieder Claire Waldoff. Eigentlich wollte sie Ärztin werden. Geworden ist sie Sängerin. Eine mit dem Mut über Dinge zu singen und zu sprechen, die ihr nicht passten. Eine starke Frau!


Musik 5 = Musik 2


Autorin: Keine der wunderbar starken Frauen, die mir Sprachnachrichten geschickt haben, hat mehr als drei, vier Worte gebraucht, um sich zu beschreiben. Das kommt mir alles sehr bescheiden vor. Und es liegt vielleicht daran, dass ich sie alle kenne und weiß, dass die Vermessungsingenieurin ihren Master in Städtebau gemacht hat, Rock’n‘Roll tanzt und noch beim THW aushilft. Und dass die Vielseitige von Beruf Augenoptikerin ist und außerdem Gemeindehelferin und Übungsleiterin im Sportverein. Und dass die Sozialarbeiterin ganz selbstverständlich lange Zeit auch noch halbtags in der Praxis ihres Mannes ausgeholfen hat.

Die können alle so viel mehr – denk‘ ich. Also bin ich mit einer tiefer ins Gespräch eingestiegen. Kornelia Kupski:


O-Ton 1 Kornelia Kupski, Organistin in Melsungen: „Ich bin Kirchenmusikerin. Das heißt, ich bin Organistin und Chorleiterin und diese beiden Fächer sind die künstlerischen Hauptfächer meines Berufes. Dann habe ich ein kleines Kind, und ich arbeite als Musikpädagogin.“

Musikbett für O-Ton 2:

Emma Lou Diemer (*1927), Fiesta

Gespielt von Kornelia Kupski auf der Klosterkirchenorgel in Breitenau.

O-Ton 2 Kupski: „Berufsmusikerin bin ich geworden, weil ich das Glück hatte, mir aussuchen zu dürfen, was ich studieren möchte und was ich später arbeiten möchte. Und ich bin auch Musikerin geworden, weil es Stücke gab, die mich ungemein fasziniert haben und die ich einfach wunderschön fand.“


Autorin: Sich einen Beruf aussuchen dürfen. 1958 trat in Deutschland ein Gesetz über die Gleichberechtigung von Frau und Mann in Kraft. In der alten Bundesrepublik dauerte es trotzdem noch bis 1977, bis zum Beispiel die gesetzlich verankerte Aufgabenteilung in der Ehe gekippt wurde und Frauen beim Bewerbungsgespräch nicht mehr gefragt wurden: „Weiß ihr Mann, dass sie hier sind…?“

1979 wurde dann von den Vereinten Nationen eine Konvention zur Überwindung aller Diskriminierungen von Frauen verabschiedet. Sie liegt einer vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution aus dem Jahr 2000 zu Grunde, in der es heißt:


Sprecher: „Die Vertragsstaaten verurteilen jede Form von Diskriminierung der Frau; sie kommen überein, mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen […].“ (3)


Autorin: „Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Männer oder Frauen seid...“, was der Apostel Paulus vor 2000 Jahren als christliche Grundhaltung formuliert hat, es sickert durch in die moderne Gesellschaft, in Gesetze und Resolutionen. Aber: Diese Resolution der Vereinten Nationen ist bis heute nicht von allen Staaten dieser Welt anerkannt und unterschrieben. Und Diskriminierung gibt es selbst in den Ländern, die unterschrieben haben. Auch bei uns in Deutschland wird diskutiert und gekämpft:


Um Frauenquoten für Führungspositionen in Wirtschaft und Politik oder auch in der Frage nach gleicher Bezahlung von gleicher Arbeit. Und es gibt immer neue Gesetze gegen sexualisierte Gewalt: Upskirting ist jetzt verboten, also das heimliche Fotografieren von Frauen unter den Rock. Und Missbrauch ist kein Vergehen mehr, sondern ein Verbrechen. Nur zwei Beispiele von Schritten gegen die Diskriminierung.

Kornelia Kupski habe ich gefragt, ob für sie in ihrem Beruf eine Ungleichbehandlung spürbar ist:


Musikbett für O-Ton 3:

Jeanne Demessieux (1921-1968), 12 Choral-Preludes on Gregorian Chant Themes, Tu es petrus.

O-Ton 3 Kupski: „… in der Zusammenarbeit mit anderen Musikerinnen und Musikern gab es für mich keine wahrnehmbaren Unterschiede. In manchen beruflichen Zusammenhängen war es allerdings so, dass man deutlich gemerkt hat, dass es eine subtile Erwartung gibt, die damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin. In der Zusammenarbeit mit Kollegen geht es schon mal schnell, dass man dann eine beschwichtigende Rolle zugewiesen bekommt. So nach dem Motto: Ich hau jetzt mal ordentlich raus, und du kannst die Leute dann wieder besänftigen.“


Autorin: Kornelia Kupski spielt Frauenliteratur. Also Musik, die Frauen komponiert haben. Damit möchte sie diese Frauen stark machen. Damit sie vorkommen und gehört werden. Für diese Sendung hat sie in die Tasten einer ganz besonderen Orgel gegriffen. Diese Orgel steht in der Klosterkirche und Nationalsozialismus-Gedenkstädte Breitenau.

Lilli Jahn – Kinderärztin jüdischen Glaubens – war hier 1943 vor ihrer Deportation und vor ihrer Ermordung in Auschwitz gefangen. Eine starke Frau. Ein bisschen spielt sie auch für Lilli Jahn dort an dieser Orgel. Weil sie von ihrem Leben berührt ist und von ihrem Tod.

Kornelia Kupski spielt an vielen Orten. In Gottesdiensten und auf Konzerten. Sie merkt bei ihrer Arbeit, wie wertvoll es ist, wenn ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Ganz gleich ob Frau oder Mann.


Musikbett für O-Ton 5+6:

Emma Lou Diemer (*1927), Fiesta

O-Ton 5 Kupski: „Ich glaube, das wichtigste Ziel, was alle Musikerinnen und Musiker vereint, ist, dass die Musik gehört wird und dass die Musik zum Klingen gebracht wird, dass sie aufgeführt wird, dass sie weitergegeben wird oder dass sie neu interpretiert wird. Entdeckt. Wie auch immer.“


Autorin: Empowerment – also Mädchen und Frauen den Rücken stärken – das ist auch Kornelia Kupski wichtig. Zusammenhalten ist wichtig. Und Musik kann dabei helfen. Und dann ist sie bei einem ganz anderen Thema, dass uns ja nun auch schon viele Wochen begleitet:


O-Ton 6 Kupski: „Im vergangenen halben Jahr haben viele Menschen bemerkt, wie schnell es gehen kann, dass die Kunst bedroht ist in ihrer Existenz. Um den musikalischen Kunstbereich zu stärken – der mir nun am meisten am Herzen liegt – braucht es glaube ich, die verschiedenartigsten Menschen, die man sich vorstellen kann, weil ich glaube, dass diese Unterschiede dafür sorgen können, dass Kunst eine Zukunft hat.“


Autorin: Dazu braucht es Männer und Frauen. Es braucht Frauen auch an den Drehbänken, an den OP-Tischen und auf den Dirigentenpulten dieser Welt. So wie Kornelia Kupski. Sie macht mir Mut, dass engagierte, talentierte, vielseitige Frauen die Welt aus den Angeln heben und was verändern können.

Immer nur Männer an den Rednerpulten und hinter den Sterne-Kücheninseln, das geht so nicht. Der Apostel Paulus hat Recht: Es soll keine Rolle spielen müssen, wo ich herkomme oder ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Wir gehören zusammen, wir sind eins. Und bevor wir’s vergessen: Das gilt auch für den Platz auf der Kanzel und am Altar.

Auch in der Kirche ist das, was Paulus sagt, an vielen Stellen immer noch nicht angekommen. Deswegen wünschen sich Frauen von ihrer Kirche zum Beispiel:


O-Ton: „… dass in meiner Kirche nicht nur von der gleichen Würde aller gesprochen wird. Ich wünsche mir, dass jede Frau den Beruf ergreifen kann, zu dem sie sich berufen fühlt und das zum Beispiel auch ein Beruf als Priesterin in der Kirche sein kann.“


Autorin: Priesterin sein dürfen. Für die katholischen Schwestern im Glauben noch ein weiter Weg. Die Ordination von Frauen ist aber auch in der evangelischen Kirche eine vergleichsweise neue Entwicklung. Immer wieder wird sie in Frage gestellt. Es gibt Länder, die haben Frauen ordiniert und lassen es jetzt: Lettland zum Beispiel.

Wir tun also gut daran, uns ökumenisch auf der Straße zu treffen. Und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass Frau offen von ihrem Glauben sprechen kann.

Ich wünsche den Frauen dieser Welt, sich selbst ernst und wichtig zu nehmen. Und mit diesem Wunsch bin ich nicht allein:


O-Ton-Collage:


„Ich wünsche jeder einzelnen Frau auf dieser Welt, dass sie frei entscheiden kann, mit wem sie ihre Zeit verbringen möchte.“ „… dass Unterdrückung und Gewalt gegenüber Frauen aufhören.“ „… dass sie ein selbstbestimmtes chancengleiches und chancenreiches Leben führen können.“ „… dass unser Reden, Tun, Handeln nicht als emotional, sondern engagiert und sachlich kompetent beschrieben wird.“ „… dass diese fiesen Männerseilschaften bitte schön durchbrochen werden.“ „Endlich Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt.“ „Mehr Anerkennung für unsere vielfältigen Tätigkeiten.“ „… dass der Druck abnimmt, sich ständig beweisen zu müssen.“ „Vor allen Dingen Wertschätzung.“


Autorin: Unter all den Stimmen, die ich eingefangen habe, hat sich übrigens auch mein ehemaliger Konfirmand und Jugend-Teamer Bela gemeldet. Das ist die vielleicht wichtigste Sprachnachricht des Tages. Er meint:


O-Ton: “Feminismus darf nicht nur Frauen-Sache sein. Männer müssen sich ebenso aktiv dafür einsetzen.“


Autorin: So und nicht anders. Mit diesen Worten verabschiede ich mich und wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Bleiben Sie gesund und behütet, Ihre Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel aus Odenthal.


Musik 6: Track 12, „Run the World“, CD: „4“: Interpretin: Beyoncé, Autorin: Beyoncé; u.a., Label: Columbia, EAN: 0886979082427.



Anmerkungen:

(1) ZEIT online (Arbeit): https://www.zeit.de/2020/40/frauenrechte-geschlechtergerechtigkeit-wirtschaft-ungleichheit-linda-scott (zuletzt abgerufen am 25.10.2020)

(2) Galater 3,28 – Basis Bibel

(3) UN-Resolution, Frauen, Frieden und Gerechtigkeit (1325), Art. 2: https://www.unwomen.de/informieren/frauen-und-ihre-rolle-in-friedensprozessen/die-resolution-1325-mit-der-agenda-frauen-frieden-und-sicherheit.html (zuletzt abgerufen am: 25.10.2020)




Redaktion: Pfarrer Dr. Titus Reinmuth



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