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Das Geistliche Wort | 03.06.2021 | 08:40 Uhr

Werden wollen, wer wir sind

Es war ein magischer Abend für mich. Dieser Mittwoch vorm Fronleichnamsfest 1982. In Ahlen, wo ich herkomme, fand früher die Fronleichnamsprozession immer schon am Vorabend statt.
Was das Ganze noch mal besonders macht: Fronleichnam im untergehenden Licht des Tages.
Ich habe die Musik noch im Ohr, die Bilder und den Geruch…

Musik: (Fronleichnamsprozession, Domradio, Köln 2019, Lobet den Herren)

Eine lange Prozession durch die Straßen unserer Nachbarschaft. Lauter Priester in kostbar bestickten Gewändern. Ein Baldachin mit goldenen Quasten, darunter ein Priester, der mit einer langen Stola die die goldene Monstranz trägt. Vor uns Kommunionkindern viele Messdienerinnen und Messdiener, einige mit Leuchtern, einer mit Weihrauchfass. Hinter uns etliche Menschen, die ich nicht kenne. Für alle schien das, was wir hier taten, normal zu sein. Sie kannten die Lieder, sangen mit, guckten fromm, wenn gebetet wurde. Ich dagegen traute meinen Augen nicht. Vor einigen Häusern lagen Blumenteppiche, Brote und Weinkelche, aus Blüten geformt, mitten auf den Bürgersteig gelegt. Stunden muss das gedauert haben. Ein Windhauch und alles wäre weg. Kleine Fähnchen hingen aus Fenstern. Eine Musikkapelle lief in der Mitte des langes Prozessionszuges. „Großer Gott wir loben dich!“. Mehrere Stationen hatten wir schon gemacht: Auf dem Schulhof, auf dem kleinen Gemeinschaftsplatz mitten in unserer Zechenkolonie. Zum zweiten Mal habe ich an diesem Abend die heilige Kommunion empfangen. Traditionell können die Kinder, die in einem Jahr zur Erstkommunion gehen, in ihren prächtigen Gewändern in der Prozession mitgehen und damit wird das Fest oft, wie für mich, zur Zweitkommunion. Fronleichnam am Vorabend 1982 in Ahlen: Das war ein Gemisch aus Gold, Weihrauch und Gesang. Als wir dann zum Abschluss in die Kirche zogen, stand mir der Mund weit offen: Alle Kerzen brannten, an den Wänden, vorne am Altar… Blumen überall, die Orgel überschlug sich fast. Ich ahnte: Dass muss ein wichtiges Fest sein. Aber was wir feierten, das ahnte ich nicht. So viel Glanz und Gloria an einem ganz normalen Mittwoch.

Musik: (Herrmann van Veen: Könntest du zaubern)

Bei meinem ersten Fronleichnamsfest, damals 1982 in Ahlen – da staunte ich über die Festgestalt, aber der Grund, warum gefeiert wurde, der lag mir noch verborgen. Heute ahne ich, was wir Katholikinnen und Katholiken an Fronleichnam feiern. Jesus Christus, der im Brot des Abendmahls, der Eucharistie, gegenwärtig ist. Auf seine ganz eigene Art feiert Fronleichnam, dass Jesus Christus sich auch nach seinem Tod, nach seiner Auferstehung nicht raushält, aus unserem Leben. Sondern in uns wirken und leben will.

Nicht wie ein Zauberer, nicht magisch, wie es mir damals an diesem Abend 1982 vorkam. Sondern real präsent. Auch an einem ganz normalen Mittwoch.

Schon nachvollziehbar, dass es vor einigen hundert Jahren die Idee gab: Dazu brauchen wir einen Festtag! Ja, heute weiß ich, was wir feiern. Aber ich frage mich: Warum feiern wir es so?

Musik: (Barbara Streisand, People)

Warum feiern die Katholikinnen und Katholiken Fronleichnam so, wie sie es nun mal feiern? Warum gehen sie zum Beispiel dazu auf die Straße? Selbst gestandene Katholiken-Freunde sagen: Fronleichnam? Ist doch nur was für die Insider der Kirche. Aber gerade hier wagt sich die Kirche raus aus ihren Mauern. Warum das? Eine Spur legt für mich die französische Mystikerin, Sozialarbeiterin und Schriftstellerin Madeleine Delbrêl. „Du hast uns heute Nacht in dieses Café „Le Clair de Lune” geführt…

So beginnt eines ihrer
Gedichte. Es trägt die Überschrift „Liturgie der Außenseiter“. Für Madeleine Delbrêl ereignet sich mitten in diesem Café genau jetzt ein Gottesdienst – denn das angesprochen Du ist Christus:

Sprecherin:

„Du hast uns heute
in dieses Café Le Clair de Lune geführt.
Du wolltest dort selbst sein,
für ein paar Stunden.
Durch unsere armselige Erscheinung,
durch unsere kurzsichtigen Augen,
durch unsere liebeleeren Herzen
wolltest du all diesen Leuten begegnen,
die gekommen sind, die Zeit totzuschlagen.
Und weil deine Augen in den unsren erwachen,
weil dein Herz sich öffnet in unserm Herzen,
fühlen wir,
wie unsere schwächliche Liebe aufblüht,
sich weitet wie eine Rose,
zärtlich und ohne Grenzen
für all diese Menschen, die hier um uns sind.
Das Café ist kein profaner Ort mehr,
dieses Stückchen Erde,
das dir den Rücken zu kehren schien.
Wir wissen, dass wir durch dich
ein Scharnier aus Fleisch geworden sind,
ein Scharnier der Gnade,
die diesen Fleck Erde dazu bringt,
sich fast wider Willen,
dem Vater allen Lebens zuzuwenden.
In uns vollzieht sich das Sakrament deiner Liebe.
Wir binden uns an sie
mit der Kraft eines Herzens,
das für dich schlägt.
Wir binden uns an dich,
wir binden uns an sie,
damit ein Einziges mit uns allen geschehe.“

Ein Gottesdienst ohne die üblichen Abläufe. Ohne die äußeren Zeichen. Kein Weihrauch, kein Gold, kein Baldachin, kein Leib Christi in festlicher Prozession, kein geteiltes Brot – oder doch? „In uns vollzieht sich das Sakrament deiner Liebe“ schreibt Madeleine Delbrel beim Anblick derer, die sie als die Außenstehenden bezeichnet. Und ich ahne, was sie meint, was sie gesehen hat, in diesem Café. Ich ahne, dass sie Gott im Zwischenmenschlichen suchte und fand. Nicht anders als Jesus an diesem letzten gemeinsamen Abend mit seinen Freunden.

Musik
Till Brönner, Dieter Ilg - Ach, bleib mit Deiner Gnade

Als ich damals, nach meiner ersten Fronleichnamsprozession nach Hause kam und meiner Familie erzählte, was ich erlebt hatte, staunten sie mit mir. Denn wir gehörten eher zu den Außenstehenden, wenn es um Liturgie ging. Nur selten waren wir in der Kirche. Und an Fronleichnam nie. Und doch, wenn ich auf die Zeilen von Madleine Delbrel schaue: Liturgie haben wir oft gefeiert, am Tisch im Esszimmer oder auch auf der Hollywoodschaukel, wo es sich so schön erzählen ließ.

Ich glaube: Das Alltägliche ist das Besondere an Jesus. Auch und gerade, weil er sich an uns verschenkt, als das Brot, das Leben bedeutet. Vor und nach dem Tod.

Ich meine, er hätte sich ja ganz anderes ausdenken können, um uns zu zeigen, dass wir ihm wichtig sind. Besondere Wolkenformationen etwa oder ein Duft, den er versprüht. Er hat sich für etwas sehr alltägliches entschieden. Ein ganz normales Abendbrot, das er mit seinen Freunden feierte, wie so oft. Ein ganz normales Brot soll es sein, das uns daran erinnert: Mensch, ich bin da. Ich will mit Dir leben. Willst Du das auch?

Brot und Wein. Für mich heißt das: „Wenn ihr zusammenkommt, Euch erzählt, was gerade ist, einander zuhört, unterstützt, teilt, was zu teilen ist – immer dann habt ihr verstanden, worum es Eurem Gott geht. Immer dann erinnert Euch: Stimmt, auch an diesem ganz normalen Donnerstag, an diesem chaotischen Abendbrottisch mit der Familie – er ist da.“ Christus begegnet uns im Zwischenmenschlichen, ob bei Matetee oder Wein. Ob Tiefkühlpizza oder Brot. Er feiert Begegnung mit uns. Mir scheint: Gott braucht kein Brimbamborium. Wir vielleicht.

Musik: https://www.youtube.com/watch?v=-YHcHzhmWIA

Joan Baez God Is God

„Empfangt, was ihr seid: Leib Christi. Werdet, was Ihr empfangt: Leib Christi.“ Diese Sätze, kurz vor der Kommunion gesprochen, verursachen bei mir zuverlässig Gänsehaut. Genau darum geht es doch. Mich hineinzuleben in dieses mit ihm verbunden sein. Ja, mehr noch, in dieses Eins-werden mit ihm. Er, Jesus Christus, der ganz andere, ist zugleich ganz nahe. Der ganz Unbegreifliche wird zum Lebens-mittel. Dem Brot, dem Wort, der Begegnung, aus der ich leben kann.

Ich vermisse die Fronleichnamsprozession in diesem Jahr nicht. Es ist nicht meine Form, zu feiern, dass Jesus Christus wirklich präsent ist. Das Staunen des Kindes ist bei mir zum Kopfschütteln geworden. Ich verstehe all diese Gewänder nicht, all der Stoff und all das Gold, das zwischen Jesus Christus, dem Brot und uns Menschen gelegt wird, um ihn durch die Straßen zu tragen. Er sucht Nähe, wir schaffen Abstand, so kommt es mir vor.

Ich suche nach neuen Formen. Und die nicht nur zuhause, nicht nur mit denen, die ich gut kenne. Ich suche nach Formen, wie sie Madeleine Delbrel im Café Le Clair de Lune beschreibt. Communio, Brotgemeinschaft, mittendrin. An der Tankstelle oder im Park. Gottes Zwischenmenschlichkeit mit anderen feiern, auch heute, an einem gar nicht mal so alltäglichen Donnerstag, das wünsche ich mir.

Musik:
Max Raabe: Ich geh durch den Park an einem Donnerstag

Ich bin Michaela Bans, aus Nottuln bei Münster. Ich glaube ja: Ob unterm Baldachin in feierlicher Prozession oder mit Füßen hoch auf der Terrasse: Er lässt sich nicht davon abhalten, mit uns Begegnung zu feiern. Seine Einladung steht.

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