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Kirche in WDR 5 | 19.05.2021 | 06:55 Uhr
Seelensound
Autorin: Guten Morgen!
Jeden Morgen lese ich als Startkick in den Tag einen kleinen Bibeltext. Der ist aus ganz vielen anderen Texten ausgelost für diesen Tag und in einem kleinen Büchlein und einer App veröffentlicht. Ganz viele Christinnen und Christen lesen morgens diese so genannte Tageslosung aus Herrnhut. Heute steht da ein Vers aus dem Alten Testament:
Autsch, der gibt meiner Seele einen Tritt.
Sprecher: „Singt Gott dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ (1)
Autorin: Klingt doch toll. Was daran tut weh?
Weh tut, dass Singen, dass Musik meine Überlebensstrategie ist. Und jetzt schon seit über einem Jahr nicht funktioniert. Und das nicht nur für mich.
Künstlerinnen und Künstler leiden darunter, nicht auftreten zu können. Darunter, kein Geld zu verdienen. Chorsängerinnen und Chorsänger leiden darunter, nicht zusammen an was arbeiten zu können. Und ich. Ich singe. Unter der Dusche und im Auto. Aber gut fühl‘ ich mich dabei nicht. Denn Spaß. Spaß macht’s irgendwie nur zusammen. Mit Freunden auf ´nem Konzert oder mit der ganzen Gemeinde.
Sprecher: „Singt Gott dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ (2)
Autorin: Als ich klein war, habe ich auf dem Weg in den Keller gesungen und wenn ich abends allein zu Hause war. Meine Mutter kann drei Gitarrengriffe und wenn es regnete und wenn wir nicht in den Garten konnten, dann haben wir zusammen Musik gemacht.
Es ist erstaunlich wie viele Lieder mit drei Gitarrengriffen – A, D und E – funktionieren. Unser Repertoire war bunt gemischt. Für jede Stimmung war was dabei. Zum Beispiel: „We shall over come“ von Joan Baez, „Summertime“ aus der Oper Porgy and Bess und „Katzen brauchen furchtbar viel Musik“ aus dem Disney-Film Aristocats.
Heute ist es immer noch so, dass ich für bestimmte Situationen Playlists habe. Auf dem Weg zum Friedhof höre ich zum Beispiel oft „Tears in Heaven“ von Eric Clapton oder „Hinterm Horizont“ von Udo Lindenberg. Und vor Ausschusssitzungen oder Teammeetings „Probier‘s mal mit Gemütlichkeit“ aus dem Disney-Film Das Dschungelbuch. Ich singe laut mit und fühle mich besser.
Musik, das ist ein Stimmungsaufheller. Musik, das ist Medizin. Und diese Musik nicht zu bekommen. Das tut weh.
Sprecher: „Singt Gott, dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ (3)
Autorin: Ein neues Lied für Gott. Weil er Wunder tut. Das neue Lied – das wird mir langsam bewusst – das ist es, was in meiner Seele los ist. Das ist mein Klagegeschrei, mein Wutgebrüll oder auch mein Freudentaumel. Und das Wunder. Das Wunder ist: Einmal rausgeschrien und Gott entgegengeschleudert werde ich ruhiger und bekomme Hoffnung. Hoffnung darauf, dass gemeinsames Singen und gute Musik von echten Musikern – nicht nur unter der Dusche – bald wieder möglich ist.
Ich wünsche es mir.
Dass Sie Ihren Ton finden und ein Lied, dass Sie durch diese Tage begleitet, das wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel aus Odenthal.
Quellen:
(1-3) Die Bibel, Luther 2017, Psalm 98,1.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze