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Kirche in WDR 5 | 28.05.2021 | 06:55 Uhr
Sehnsucht
Es gibt ja so einige Träume
und Sehnsüchte, die wir Menschen so mit uns herumtragen und die immer mal
wieder geweckt werden. Bei mir ist es zum Beispiel der Traum vom Fliegen. Schon
als Kind habe ich regelmäßig davon geträumt fliegen zu können und die Welt aus
der Vogelperspektive zu betrachten. Was mich als erwachsenen Menschen heute
noch an diesen Kindheitstraum erinnert, das sind die vielen Flugzeuge, die
täglich über unsere Siedlung rauschen. Meine Frau und ich wohnen in einer der
Einflugschneisen des Köln-Bonner-Flughafens, der zu den wenigen zählt, die kein
Nachtflugverbot haben. Auch wenn gerade das viele stört, so mag ich das
Rauschen der landenden Flugzeuge. Wenn ich draußen auf der Terrasse sitze, schaue
ich ihnen gerne nach. Seit einigen Jahren habe ich auch eine App, auf der ich
sehen kann, woher die Flieger kommen. Bei den Frachtmaschinen sind das nicht
selten Flüge, die aus Amerika oder auch von der arabischen Halbinsel kommen. In
Gedanken bin ich dann immer bei denen, die da gerade in der Maschine sitzen. Ein Freund von mir sagt: „Es
ist doch faszinierend, welches Vertrauen unsere Menschheit in diese Technik
hat. Da setzen sich nicht selten mehrere hundert Leute in eine enge Röhre und
werden meist über mehrere tausend Kilometer von Punkt A nach Punkt B gebracht.“
Ja – eigentlich ist es doch noch immer zum Staunen. Wir haben uns irgendwie so
dran gewöhnt, dass wir das gar nicht mehr sehen. Der Traum vom Fliegen ist
etwas, was die Menschheit seit langer Zeit fesselt. Und lange war es ja nun
nicht selbstverständlich, sich einfach in die Lüfte zu schwingen. Aber warum
hat der Mensch schon so lange davon geträumt, frage ich mich immer wieder und
denke dabei zurück an meinen eigenen Kindheitstraum. Ist es der Wunsch nach
Leichtigkeit, nach Freiheit und Unabhängigkeit? Oder geht es darum, einen
Überblick zu bekommen und die Dinge einfach mal von oben zu betrachten? Denn
von dort wird uns ja bekanntlich das, was uns unten „groß und wichtig
erscheint, plötzlich nichtig und klein“, wie Reinhard Mey in seinem bekannten
Lied „Über den Wolken“ singt. Der Blick von Oben, beim Fliegen: der rückt die
Perspektive zurecht. Das geht aber auch mit dem Blick von Unten. In der Tat
zeigt der Blick in den nächtlichen
Sternenhimmel, wie winzig unsere Erde und damit unser Dasein im Gesamtuniversum
ist. Und bei diesem Blick „von Unten“ kommt eine uralte Frage auf, die
mindestens so alt ist wie der Traum vom Fliegen. Die Frage nämlich:
Ist da draußen jemand, der auf uns aufpasst,
der das alles irgendwann einmal ins Dasein gerufen hat? Auch wenn ich das fest
glaube, dass es so ist, die Frage danach stelle ich mir immer wieder. Eine
Sehnsuchtsfrage – zumindest für mich. Manchmal habe ich darüber
nachgedacht, doch einfach mal einen Flugschein zu machen und mir meinen
Kindheitstraum zu erfüllen. Aber dann würde wohl die Träumerei sehr schnell der
knallharten Realität im Cockpit weichen. So belasse ich es für mich bei meinem
ganz persönlichen Traum vom Fliegen – in der Nachbarschaft zum Kölner
Flughafen. Sie merken: allein darüber nachzudenken, weitet den Horizont. Wie auch immer: Gönnen also
auch Sie sich ab und an mal etwas Zeit zu träumen und Ihren Sehnsüchten Raum zu
geben. Das wünscht Ihnen Ihr Jan Hendrik Stens aus Köln.