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Das Geistliche Wort | 04.07.2021 | 08:40 Uhr

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Heimsuchung

Guten Morgen!

In den letzten Tagen habe ich ‘ne Menge Leute verwirrt. Eine Blitzumfrage im Bekanntenkreis: „Du, Anfang Juli darf ich mal wieder ein „Geistliches Wort“ im WDR sprechen. ‘Heimsuchung‘ soll das Thema sein. Was fällt dir dazu ein?“ Die Freundinnen und Freunde wunderten sich über den altertümlichen Begriff – „das sagt doch heute kein Mensch mehr!“ – und verstanden ihn doch: Und zwar alle negativ! Das Wort „Heimsuchung“ verheiße nichts Gutes: Länder und Völker würden von Katastrophen und Kriegen „heimgesucht“, oder – im persönlichen Bereich – Menschen oder Familien von schwerer Krankheit oder großer Armut.

„Heimsuchung“, so sagten viele: Das hat so etwas Schicksalhaftes. Der einzelne Mensch ist überfordert, wehrlos und nicht in der Lage, sich aus dem Verhängnis zu befreien. Und dann waren wir im Gespräch auch schnell bei den Beispielen – und zwar bei der Gegenwart. Ja, sagten manche, die Pandemie, die wir gerade erleben: die wäre mit dem Wort „Heimsuchung“ eigentlich treffend charakterisiert. Manche kamen auch auf die Lage der Kirche zu sprechen, meiner Kirche, der katholischen. Das hätte doch auch etwas von „Heimsuchung“: wie die Negativschlagzeilen in rascher Folge sich ablösen. Und wieviel Hausgemachtes dabei wäre: als säßen in mancher bischöflichen Kommunikationsabteilung Menschen, die überlegten: Was können wir denn mal als nächsten Hammer raushauen? Von einem „toten Punkt“ zu sprechen, wie der Münchener Erzbischof, das sei ja noch untertrieben.

Musik I: Gustav Mahler, Symphonie Nr. 5 cis-Moll, Adagietto (Budapest Festival Orchestra)

Ja, das Stich-Wort „Heimsuchung“ eignet sich vorzüglich, um über brennende Fragen der Gegenwart zu debattieren und sich unausweichlich in tiefe Depressionen runterziehen zu lassen. Dabei wollte ich das gar nicht! Ganz im Gegenteil: Ich wollte – und will – über ein Fest sprechen, das im Kalender der katholischen Kirche in Deutschland am 2. Juli gefeiert wird. Und das merkwürdigerweise „Heimsuchung“ heißt. Genauer: „Heimsuchung Mariens“. Ein Marienfest. Kein ganz Großes, aber aller Ehren wert. Und auch wert, in einem „geistlichen Wort“ darüber nachzudenken, nicht nur, weil der Begriff „Heimsuchung“ erst einmal so negativ besetzt ist. Das Fest erinnert an eine Erzählung aus dem 1. Kapitel des Lukasevangeliums. Zwei schwangere Frauen begegnen sich, eine ganz junge und eine ganz alte. Die junge – Maria – hat wenige Tage zuvor die frohe Botschaft hören dürfen und annehmen können, dass sie auf wunderbare Weise ein ganz besonderes, ein göttliches Kind, zur Welt bringen soll. Und die alte – Elisabeth – hat durchaus Vergleichbares wie Maria erfahren: Sie soll auf ihre alten Tage noch Mutter werden. Sozusagen: Gegen die Natur. Vielleicht nennt die biblische Erzählung die beiden Frauen wegen dieser doppelt wunderbaren Schwangerschaften „Verwandte“. Maria besucht Elisabeth. Fragen Sie mich nicht, warum dieser Besuch in der liturgisch-theologischen Sprache im deutschen Sprachraum bis heute „Heimsuchung“ heißt. Wahrscheinlich stammt das Wort aus einer Zeit, wo der Begriff noch nicht eindeutig negativ besetzt war. Und wir Katholiken lieben es ja in der Kirche, an Worten festzuhalten, auch wenn sie nicht mehr verstanden werden.

Musik II: Knut Nystedt, Sancta Maria (Cant’Ella)

Mir ist diese Geschichte und das damit verbundene Fest noch mal ganz neu aufgegangen durch ein Bild, ein Kunstwerk. Das passiert mir öfters – und Sie werden es einem Kunsthistoriker und Theologen wie mir vielleicht nachsehen. Der berühmte holländische Maler Rembrandt hat es gemalt. Das Gemälde ist nicht einmal besonders groß, gerade mal 57 Zentimeter hoch und 48 Zentimeter breit. Zu diesem bescheidenen Format passt es, dass die beiden Hauptpersonen, Elisabeth und Maria zwar unübersehbar im Mittelpunkt stehen, aber im Verhältnis zur übrigen Bildfläche auffallend klein dargestellt sind. Kaum noch eine Handspanne sind sie groß. Zuerst habe ich gedacht: Da hätte Meister Rembrandt aber die Malfläche besser ausnutzen können! Aber dann kam mir doch in den Sinn: Dieses „Klein-Sein“, das passt! Diese beiden Frauen gehören nicht zu den Großen und Mächtigen, und am Ende der Geschichte wird die junge Frau von Gott im Lied singen: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron – und erhöht die Niedrigen!“

Musik III: Jan Pieterszoon Sweelinck, Magnifikat (Peter Seymour, Corona Coloniensis, Timothy Roberts)

Nein, viel Raum nehmen Maria und Elisabeth in Rembrandts Bild nicht ein. So ist Platz für vieles andere. Zum Beispiel für die Männer, diese Väter und irgendwie doch nicht Väter. In den meisten Bildern zur Heimsuchung kommen die gar nicht vor. Der alte Zacharias, der Mann der Elisabeth, kommt von links aus einem großen Torbogen die Stufen seines Hauses herunter. Man muss wohl genauer sagen: Er schleppt sich mühsam! Ein Junge muss ihn stützen, so alt und gebrechlich ist er. Auf diskrete Weise deutet der Maler so das Wunder der Elternschaft des alten Paares an. Und Josef ist auch da. Er kommt – kaum erkennbar – von rechts unten den Berg hoch und führt ein Reittier am Zügel. Ja, Rembrandt platziert das Haus von Elisabeth und Zacharias auf einen Berg. Und wenn Sie mich fragen, warum, kann ich Ihnen verraten: Weil Rembrandt den Bibeltext genau gelesen hat! Das ist fast so etwas wie ein Markenzeichen dieses großen Malers. Wenn er Bilder zur Bibel malt, dann folgt er nicht einfach der ihm vorgegebenen Bildtradition. Sondern er scheint immer wieder in die Bibel geguckt zu haben. Und sich gefragt zu haben, ob in der Geschichte etwas steht, das sich zu malen lohnt, das wichtig ist oder reizvoll darzustellen.

Die Geschichte im Lukasevangelium beginnt mit dem Satz: „In diesen Tagen stand Maria auf und wanderte eilig zu einer Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.“ Rembrandt stellt einen Berg dar und macht so mit dem Text darauf aufmerksam, dass der Weg von Nazareth nach Judäa kein Spaziergang war, sondern eine recht lange und beschwerliche Reise von mindestens drei bis vier Tagen, auch wenn man nicht bummelt. Lukas schreibt ausdrücklich: „Maria wanderte mit Eile …“ Und Rembrandt hat – wenn man genau hinschaut – auch diese Eile dargestellt. Auf den ersten Blick sieht das nicht so aus: da steht Maria ganz ruhig da, und lässt sich von Elisabeth umarmen und auf die Schulter klopfen. Vielleicht hat der Maler sich auch gescheut, eine rennende Mutter Gottes darzustellen. Aber von ihrer Eile erzählt das Bild. Maria ist ja offensichtlich von dem Reittier abgestiegen und vorausgeeilt, den Berg hoch, so schnell, dass Josef und das Tier nicht mehr mitkommen. Sie hat es so eilig, ihre Verwandte zu sehen und zu sprechen, dass sie von weitem schon gerufen haben muss: Elisabeth, Elisabeth! Denn die alte Frau ist ihr entgegengekommen und empfängt sie auf der Schwelle des Hauses. Schließlich, so scheint es und so hat der Maler es gemalt, ist ihr beim Laufen ganz schön warm geworden: Maria hält in der linken Hand ein Taschentuch, um sich den Schweiß abzuwischen. Und eine Dienerin nimmt ihr den schweren Mantel ab.

Musik IV: Giovanni Pergolesi, Salve regina in f-moll (Gérard Lesne, Il Seminario Musicale)

Ja, Rembrandt hat in seinem Bild von der „Heimsuchung“ einiges dafür getan, dass man sehen kann: Maria hatte es eilig. Und so bekommt die leicht zu überlesende Notiz aus dem Lukasevangelium Gewicht. Die Eile und der beschwerliche Weg: Sie sind wichtig. Maria treibt die Sehnsucht an, die Sehnsucht nach Begegnung, nach Gemeinschaft. Das braucht sie in ihrer Situation nötiger als alles andere – und viele coronageschädigte und zwangsisolierte Menschen 2000 Jahre später können diese Sehnsucht so gut nachvollziehen. Maria ist keine Einzelkämpferin des Glaubens. Sie braucht – wie Sie und ich – Menschen, die sie bestärken, die ihr Sicherheit und Geborgenheit in einer schwierigen Situation geben. Und ich bin überzeugt: die Eile, mit der sich Maria auf einen beschwerlichen und weiten Weg einlässt, ist nicht allein und nicht zuallererst krisengesteuert und sorgenbeschwert. Sondern Maria ist angetrieben und erfüllt von Gnade, von „froher Botschaft“, von Vor-Freude, die sich Mit-Freude wünscht. Ich glaube, dass die ganz große und tiefe Freude nicht „klammheimlich“ sein kann, nicht privat, nicht bloß innerlich. Feste des Glaubens feiert man nicht im stillen Kämmerlein, sondern mit anderen, mit „Verwandten“, die von derselben Freude, von derselben Sehnsucht und Hoffnung erfüllt sind.

Musik V: Guiseppe Verdi, Laudi (Cant’Ella)

Einmal will ich Sie noch mitnehmen in das wunderbare Bild, das Rembrandt zur „Heimsuchung“, zur Begegnung von Maria und Elisabeth gemalt hat. Eine ganz alte und eine wirklich sehr junge Frau stehen sich gegenüber. Maria steht still da, hat den Kopf leicht gesenkt und lässt sich die Umarmung und ein angedeutetes Schulterklopfen gefallen. Elisabeth, etwas kleiner, blickt zu ihr auf. Ihr Mund ist geöffnet. Sie spricht. Im Lukasevangelium steht, was sie der jungen Frau zu sagen hat: „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ Das finde ich erstaunlich und macht mir ehrlich gesagt große Freude: Ein protestantischer Maler malt vor fast 400 Jahren ein hinreißendes Bild zu einem Satz, der für fromme Katholiken „täglich Brot“ ist, nämlich Teil des wichtigsten Mariengebetes, des Ave Maria, gegrüßet seist du, Maria. Da heißt es: „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“

Musik VI: Francisco Guerrero, Ave Maria (Jordi Savall, La Capella Reial de Catalunya Hespèrion XX)

Mich bewegt an dieser Begegnung und ihrer Darstellung auch, wie gut es hier alt und jung im Dialog miteinander können. Die Junge hört auf die Alte, und die Alte preist in der Jungen die Zukunft und das Neue, das Gott durch sie für die Menschen will. Dass Maria auf diesen Lobpreis nicht mit Hochmut und Stolz reagiert: Das wissen wir ja. Ganz leicht hält sie in Rembrandts Bild den Kopf gesenkt und macht sich ein Stückchen kleiner. Am Ende der Geschichte wird sie beten und singen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn… Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“. Ob Rembrandt auch hier die Bibel ganz genau gelesen hat, wollen Sie wissen? Kann man das denn überzeugend malen, wie etwas von Gottes Glanz in das Leben der Menschen fällt? Ich bin überzeugt: ein Maler wie Rembrandt, der wie kaum ein anderer mit Licht und Dunkel im Bild umgehen kann, kann das. Und er hat es hier getan: In dem eher dunklen Gemälde ist es da ganz hell, wo Maria und Elisabeth stehen. Den Ursprung dieses Lichtglanzes hat er ganz oben rechts – am Himmel –angedeutet. Diskret, aber unübersehbar. Und so zeigt Rembrandt, was bei Lukas von Gott gesagt wird: „Auf die kleine Magd hat er geschaut …“ Vielleicht können Sie ja jetzt etwas mehr nachvollziehen, wie mir das Bild Rembrandts die alte und missverständlich titulierte Geschichte von der Heimsuchung neu erschlossen hat. Ich könnte auch sagen: Das Bild und die Geschichte haben mein Herz erwärmt. Noch ein letztes: Leider können Sie ja das Bild von Rembrandt jetzt nicht sehen. Die „Heimsuchung Mariens“ hat aber nicht nur die Maler zu Höchstleistungen inspiriert: Der vielleicht berühmteste und beliebteste Bachchoral: „Jesus bleibet meine Freude“, er stammt aus einer Kantate zum Fest „Mariä Heimsuchung“! Und mit dieser Musik verabschiede ich mich von Ihnen. Aus Essen grüßt sie Herbert Fendrich

Musik VII: Johann Sebastian Bach, Choral „Jesus bleibet meine Freude” (Swingle Singers)

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