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Kirche in WDR 5 | 16.08.2021 | 06:55 Uhr
Händedruck
Guten Morgen!
Was haben Sie vermisst – in den letzten anderthalb Jahren während der Corona-Pandemie? Ich habe manches vermisst, und mir hat einiges richtig gefehlt. Dabei habe ich gemerkt: Erst die Sehnsucht macht die Dinge klar. Was ich sehnlich vermisst habe, hatte offenbar einen Wert in sich. Und was mir gefehlt hat, bekam im Lauf der Zeit eine neue Bedeutung. Über die Dinge, die ich während der Corona-Pandemie vermisst habe, möchte ich zu dieser Uhrzeit in dieser Woche mit Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, nachdenken. Es sind der Händedruck, die Gesichter, Begegnungen, das Singen und das Mahlhalten. Und auch das, was ich nicht vermisst habe, möchte ich mit Ihnen teilen. Weil es mich selbst überrascht hat.
Zuerst der Händedruck. Menschen müssen Abstand halten, meistens anderthalb Meter. Im Supermarkt bekommt jeder einen eigenen Einkaufswagen, in der Kirche haben wir Plätze gekennzeichnet. Immer schön auf Abstand, Begrüßung nur per Augenkontakt. Ich habe den Händedruck vermisst, sogar sehr. Und dabei kam er mir vorher sogar reichlich inflationär vor. Zur Begrüßung und Verabschiedung von Gesprächspartnern, aber auch von ganzen Gruppen. Nach manchen Gottesdiensten hatte ich als Pfarrer regelrecht Schmerzen in der rechten Hand vom vielen Händeschütteln.
Der Verzicht darauf hatte auch seine Vorteile. Keine einzige kleine Erkältung hatte ich in den letzten anderthalb Jahren. Es kamen einfach weniger Keime an. Keine Corona- und keine anderen Viren, Gott sei Dank. Aber dennoch: Auch ich bin wegen des fehlenden Händedrucks nicht mehr so offen auf andere zugegangen wie sonst. Ich habe andere weniger wahrgenommen, sie weniger freundlich angeschaut. Der Händedruck kommt aus der Frühzeit der Menschen. Er macht deutlich: Ich habe keine Waffe, ich komme im Frieden. Und beim Abschließen von Verträgen galt allein der Handschalg. Abgemacht, Hand drauf, fertig. Das Wort gilt, es wird mit der Hand besiegelt.
Das Markusevangelium erzählt, wie Jesus einen Mann heilt, der eine verdorrte Hand hatte (Mk 3,1-6). Es ist Sabbat, jede Berufstätigkeit ist verboten, auch diejenige eines Messias, der heilen kann. Deshalb achtet man genau auf ihn, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus sieht die Leute an, „voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz“, und sagt zu dem Mann: „Stell dich in die Mitte!“ Und: „Streck deine Hand aus!“ Der Mann wird geheilt, er kann seine Hand gebrauchen. Danach fassen die Pharisäer und das religiöse Establishment den Beschluss, Jesus umzubringen.
Es ist also nicht ungefährlich, Menschen handlungsfähig zu machen. Ja, handlungsfähig im wahrsten Sinne des Wortes! Mit meinen Händen kann ich handeln, auch wenn ich weder Kaufmann noch Handwerker bin. Meine Hände sind mein Kontakt zur Welt. Zu meinen eigenen Händen habe ich eine ganz besondere Beziehung, denn aufs tägliche Klavierspielen möchte ich nie und nimmer verzichten. Deshalb halte ich meine Hand von jeder Säge fern und hüte meine Finger wie meinen Augapfel.
Immer wieder legt Jesus Menschen die Hände auf, um sie zu segnen. So, als würde die Liebe Gottes durch die Handflächen fließen. Handauflegen, da steckt eine große Ermutigung drin. Aber auch das ist mir in letzter Zeit abhandengekommen. Man bleibt auf Abstand, sicher ist sicher. Und dabei liegt in den Händen der Segen Gottes, wenn sie offen sind und zärtlich. Schauen Sie heute einmal Ihre Hände an, dankbar und ehrfürchtig. Und sehen Sie, was alles auf ihnen liegt und in ihnen steckt!
Ich wünsche auch Ihnen die Sehnsucht nach einem Händedruck, einem ganz echten und wahrhaftigen. Und dass wir alle merken, dass man Fäuste nicht falten kann zum Gebet.
Aus Ahaus grüßt Sie Pfarrer Stefan Jürgens.