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Das Geistliche Wort | 18.04.2022 | 08:40 Uhr

Vielleicht ist da noch mehr


Es ist jetzt bereits 21 Jahre her. Meine Eltern und ich hatten eine große Pilgerfahrt nach Israel geplant. 50 Personen hatten sich angemeldet. Aufgrund der damals äußerst schwierigen politischen Situation haben sich nach und nach fast alle abgemeldet. Schließlich bin ich in der österlichen Zeit allein mit meinen Eltern nach Jerusalem gefahren. 14 Tage waren wir zu Gast bei den Franziskanern im Garten Getsemani. Einer von ihnen hat uns oft im Auto des Konvents mitgenommen, um uns Heilige Stätten aus seiner Perspektive zu zeigen. Sehr gut im Gedächtnis geblieben sind mir unsere Wege nach Emmaus.

Nur einmal wird Emmaus in der Bibel erwähnt. Es ist das Ziel von zwei Freunden Jesu. Erschüttert über dessen Tod am Kreuz gehen sie fort von Jerusalem. Und sie gehen nach Emmaus, etwa 12 km entfernt. Unterwegs begegnen sie einem dritten. Dem erzählen Sie alles, was sie erlebt haben. „Wir aber hatten gehofft!“ In diesem Satz bündeln sich ihre Erfahrungen. Ihre ganze Hoffnung und ihre Zukunft hatten sie auf Jesus gesetzt. Der war nun getötet. Ihre Hoffnung mussten sie mit ihm begraben. Der dritte hört ihnen geduldig zu, behutsam beginnt er ihnen zu erklären. Beim gemeinsamen Mahl schließlich erkenne sie ihn als den, den sie tot und begraben glaubten. Unterwegs bereits hatten ihre Herzen – so spüren sie es in der Rückschau – wieder Feuer gefangen. Nun machen sie sich von Emmaus aus mit neuem Mut auf den Weg – zurück nach Jerusalem zu den anderen Freundinnen und Freunden Jesu.

Musik 1: Wings oft he Morning, City of London Sinfonia, John Rutter, The Cambridge Singers

Diesen Ort – das biblische Emmaus – wollten wir mit unserem Franziskanerfreund aufsuchen. Da waren wir mehrfach unterwegs. Wie ich damals verstanden habe, gibt es drei Orte, die durchaus das biblische Emmaus sein könnten. Latrun, Qubeibe und Abu Gosh heißen sie heute. Gefragt, welcher Ort denn nun „echt“ sei, meinte unser Franziskaner lächelnd, echt sind sie alle, und vielleicht gibt es ja sogar noch einen vierten. Die Erklärung, die er uns dann gab, geht mir bis heute nach:

Sprecher:
„Es kommt nicht auf einen historischen Ort an, den man dann als Heilige Stätte verehren könnte. Die beiden auf dem Weg nach Emmaus machen eine zentrale Erfahrung. Der, auf den sie ihre Hoffnung gegründet hatten, ist tot. Davon gehen sie aus. Aber im Gehen, im miteinander Gehen, spüren sie ganz leise und behutsam – sozusagen Schritt für Schritt - , dass der von ihnen tot Geglaubte lebt und sie begleitet. Und er begleitet sie bereits da, wo sie ihn noch nicht erkennen. Darum geht es, um diese Erfahrung. Wie oft stehen Menschen vor der bitteren Wahrheit „Wir aber hatten gehofft...!“ – „Ich aber hatte gehofft…!“ – und wissen nicht mehr weiter. Wenn sie dann wieder das ein oder andere Hoffnungszeichen wahrnehmen und den Mut finden weiterzugehen, dann geschieht Emmaus. Dann machen sie die Erfahrung der Emmausjünger. Leise vielleicht und zart, aber ermutigend. Dass von den beiden, die da in der biblischen Erzählung unterwegs sind, nur der eine beim Namen genannt wird – Kleopas – ist dann wieder eine Einladung, sich mit der ganz persönlichen Lebenssituation dazuzugesellen. Die drei Orte in Israel, die Emmaus gewesen sein könnten, sind wie ein deutlicher Hinweis, dass Emmaus im Leben von Menschen geschehen kann und geschieht.“

„Wir aber hatten gehofft…“ – Wo Menschen, die diesen Satz leidvoll erfahren haben, leise wieder Hoffnung schöpfen, da geschieht Emmaus. Die Botschaft des Franziskaners begleitet mich, seitdem ich in Israel mit ihm und meinen Eltern unterwegs war.

Musik 2: O Radiant Dawn, Apollo 5

Während meiner Zeit als Pfarrer in Oer-Erkenschwick habe ich Hermann Josef Coenen kennengelernt. Bis zu seinem Tod 1999 war er Pfarrer der Nachbargemeinde. Er hat zahlreiche Gedichte geschrieben und dabei immer wieder versucht, die Botschaft der Bibel für Menschen von heute zu übersetzen. Seine Gedichte haben nichts von ihrer Aktualität verloren. So gibt es von ihm auch eine Deutung der Emmausgeschichte. Sie verbindet sich mit den Gedanken des Franziskaners, der meine Eltern und mich in Israel begleitet hat.

Hermann Josef Coenen schreibt:

Sprecher:
"
EMMAUS

Immer wieder brechen wir auf,
komm trostlos zurück
vom Friedhof einer begrabenen Hoffnung.
Und jedes Mal mehr
haben wir ein Stück von uns selber begraben

und meinen: Jetzt ist alles aus!

Immer wieder gesellt sich auf diesem Kreuzweg
unerwartet einer zu uns,
geht ein Stück mit auf der Straße des Lebens.
Sagt nicht nur „Herzliches Beileid“,
sondern nimmt unsere Hand,
bringt uns zum Sprechen,
taut langsam uns auf.
Immer wieder trifft uns ein Wort,
macht uns betroffen.
Lässt uns erfahren: Ich bin damit gemeint.
Und wir erahnen im Rückblick den Sinn,
den roten Faden der Führung in unserem Leben,
weil da ein Fremder zu deuten versteht:
„Musste nicht der Messias das alles erleiden…“
„Kann es nicht sein, dass auch du…“

Immer wieder, wenn die Sonne sich senkt,
geht uns ein Licht auf:
freunde zusammen am Tisch,
am Altar, am Stammtisch, im Urlaub.
Gespräche. Erinnerungen. Spürbare Nähe.
Wir fühlen uns wohl und geborgen
mindestens jetzt, für diese Stunde.
Das Leben ist schön, trotz allem.
Dankbarkeit keimt in uns auf für alles Geschenkte
und ein Anflug von Hoffnung für Morgen.

Immer wieder erfahren wir:
In all dem liegt noch ein „Mehr“,
das wir nicht ausdrücken können,
das sich dem Zugriff entzieht.
Vielleicht ist tatsächlich ER es, der Herr.
Und wir versuchen zu beten:
„Herr, bleibe bei uns!“

Musik 3: Stay with us, Oasis Choral, Wendell Nisly

Emmaus bedeutet: Immer wieder erfahren wir: In all dem liegt noch ein „Mehr“, das wir nicht ausdrücken können, das sich dem Zugriff entzieht.
Ich möchte Ihnen erzählen von ganz leisen Emmaus-Erfahrungen, die ich im Leben von Menschen wahrnehmen durfte, oder von denen ich gehört habe.

Mitte März war ich mit einer Exerzitiengruppe im Gertrudenstift in Rheine Bentlage. In der Nacht von Samstag auf Sonntag kamen Gäste. Ein Bus aus Leiria in Portugal machte mit 60 Frauen und Kindern aus der Ukraine Station in Rheine. Nur für eine Nacht, bevor es weiterging Richtung Leiria, dem Zufluchtsort für diese Gruppe. Mit viel Engagement hatten zahlreiche Helferinnen und Helfer einen liebevollen Empfang vorbereitet. Die Tische waren gestellt, überall Hinweisschilder in deutscher und ukrainischer Sprache, warmes Essen stand bereit, die Betten waren gemacht. Taschen mit Verpflegung und Hygieneartikeln für die Weiterreise waren vorbereitet, auch Spielzeug zum Mitnehmen für die Kinder. Um 22 Uhr kam der Bus an.
Ein wenig Geborgenheit, Zuwendung und Solidarität, ein kleines Hoffnungszeichen – von den traurig und müde Ankommenden dankbar angenommen. Vielleicht für beide – die Gäste und die Gastgeber – eine kleine Erfahrung von „Mehr“… – Emmaus geschieht. Und es geschieht gerade an so vielen Orten, wo Geflohene Aufnahme, Unterstützung und einen Ort finden, wo sie bleiben können.

Und noch eine weitere Begebenheit. Es ist jetzt schon etwas her. Ich durfte mit einer Gemeinde die Osternacht feiern. Junge und engagierte Musikerinnen und Musiker haben sie mitgestaltet. Die Mutter einer der Musikerinnen lag schwer unheilbar krank daheim. Aber ihre Tochter wollte gern singen, auch für ihre Mutter. Ein lautes frohlockendes Halleluja war nicht möglich. Es wurde ein zaghaftes, leises Halleluja. Aber gerade dieses – von der jungen Musikerin gesungen – öffnete in dieser Nacht für uns alle das Gespür für dieses „Mehr“, das wir, wie Hermann Josef Coenen es sagt, „nicht ausdrücken können, das sich dem Zugriff entzieht“., Die junge Dame sang damals das Halleluja von Leonard Cohen. Seit dieser Nacht ist es für mich eine Musik geworden, die mich im Hören dieses „Mehr“ ahnen läßt, das zugegen war, als die Emmausjünger unterwegs waren.

Musik 4: Halleluja, Peter Bence

Ich möchte Ihnen noch von einer weiteren Emmaus-Erfahrung erzählen:

Zur Beerdigung seines Großvaters im Herbst durfte der fünfjährige Hendrik mitgehen. Wochen später – mittlerweile ist es Frühling geworden – fragt er abends beim Zubettgehen seine Mutter: „Mami, wann gehen wir da eigentlich mal wieder hin?“ - „Wohin denn?“ fragt Mutter etwas verdutzt. „Na, du weißt schon, wohin!“ - „Nein, weiß ich nicht! Was meinst Du? Wo sollen wir mal wieder hingehen?“ - „Das weißt Du wohl!“ Immer erregter wird der Kleine und ringt und sucht nach Worten. Nach einigen Hin und Her sagt er dann: „Na dahin, wo wir den Opa in die Erde gesät haben!“

Hendriks Mutter hat mir davon erzählt. Und wir haben beide ziemlich gelacht über diesen Satz. Das richtige, oder sagen wir besser das gebräuchlichere Wort „beerdigen“ ist Hendrik

offensichtlich nicht eingefallen. Da hat er dann halt das Wort gebraucht, das in seinem Erleben eher vorkommt: Wenn etwas in die Erde gelegt wird, dann wird es gesät. Das hatte Hendrik im Kindergarten schon erlebt. Da haben die Kinder Samen in die Erde gelegt und voller Spannung darauf gewartet, was aus diesem Samen wird.

Den Opa hatten sie ja auch in die Erde gelegt. Hendrik hatte das genau beobachtet. Die Frage lag also nahe: “Wann gehen wir mal wieder dahin, wo wir den Opa gesät haben?“ – Ich find Hendriks Satz einfach klasse. Der steckt voller Hoffnung. Wenn wir etwas säen, dann soll es wachsen und leben. Das erleben wir gerade jetzt im Frühjahr. In seiner kindlichen Natürlichkeit hat Hendrik etwas ganz tief erfasst und so einfach ins Wort gebracht. Einen Menschen beerdigen heißt: ihn säen, damit er hineinwachsen kann in ein Leben, das nicht mehr endet. Für seine Mutter ist Hendriks Satz ein Lichtstrahl der Hoffnung, ein Hinweis auf das „Mehr“ – in den Worten des Kindes geschieht für sie Emmaus – und auch für mich, wenn ich mich an diese Begebenheit erinnere oder Ihnen jetzt davon erzähle.

Musik 5: Ubi caritas, Alison Hill, John Rutter, The Cambridge Singers

Die Priester und Dichter Hermann Josef Coenen hat über den Weg nach Emmaus noch ein weiteres Gedicht geschrieben. Es ist überschrieben: Vielleicht ist da noch mehr. Und es geht so:

Sprecher:
„Vielleicht ist da noch mehr

Da sind ein Kreuz und ein Friedhof.
Da sind Enttäuschung und der Blick zurück.
Da sind Fragen, da sind Klagen.
Und wer weiß, vielleicht ist da noch mehr.

Da ist grün, da sind Felder.
Da wird es Frühling, allem Winter zum Trotz.
Da ist ein Weg, da sind Gefährten.
Und wer weiß, vielleicht ist da noch mehr.

Da sind ein Dach und ein Tisch.
Da ist einer, der bleibt, wenn es Abend wird.
Da ist ein Lied, ein Glas Wein.
Und wer weiß, vielleicht ist da noch mehr

Da ist ein Buch, eine Geschichte,
eine Kerze in der Dunkelheit.
Da ist Brot auf meiner Hand.
Und wer weiß, vielleicht ist da noch mehr.“


Für mich ist es ein leises, ein behutsames Gedicht. „Vielleicht ist da noch mehr.“

Bei Exerzitien im Kloster Herstelle erzählte unsere Begleiterin Schwester Corona Bamberg (sie heißt wirklich Sr. Corona!), also sie erzählte uns von Dinu Lipatti. Er war einer der ganz begnadeten Pianisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er wurde am 19. März 1917 in Bukarest geboren.
Seine Konzertreisen führten ihn durch ganz Europa. Im Jahr 1947 wurde bei ihm eine schwere, unheilbare Krankheit diagnostiziert. Am 16. September 1950 – da war er 33 Jahre alt – gab er in Besancon sein letztes Konzert. Die Darbietung der Chopin-Walzer musste er geschwächt durch seine Krankheit abbrechen. Er setzte sich aber dann doch noch einmal an den Flügel und verabschiedete sich mit dem Choralvorspiel zu „Jesus bleibet meine Freude“. Am 2. Dezember 1950 ist er dann gestorben. Dieses Zeugnis aus seinem letzten Konzert beeindruckt mich sehr. Da geschieht Emmaus. Diese Musik – von Dinu Lipatti am Ende seines Lebens gespielt – sagt mir: Ja, da ist noch mehr.

Mit den Worten des Chorals:


Jesus bleibet meine Freude,

Meines Herzens Trost und Saft,

Jesus wehret allem Leide,

Er ist meines Lebens Kraft,

Meiner Augen Lust und Sonne,

Meiner Seele Schatz und Wonne;

Darum lass' ich Jesum nicht,

Aus dem Herzen und Gesicht.


Mit diesem Choralvorspiel – eingespielt von Dinu Lipatti 1949 – möchte ich mich von Ihnen verabschieden.

Musik 6: Jesus bleibet meine Freude, Dinu Lipatti

Darin: Ich wünsche Ihnen gesegnete Ostertage und vor allem da, wo sie es brauchen, die Erfahrung und das Wissen darum, dass Emmaus geschieht – auch in Ihrem Leben. Einen guten Ostermontagmorgen wünscht Spiritual Matthäus Niesmann aus Münster.

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