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Das Geistliche Wort | 01.05.2022 | 08:40 Uhr

Lob der Pause oder: Arbeit ist eben nur das halbe Leben

„Schade!“, habe ich gedacht, der „Tag der Arbeit“ verschafft mir in diesem Jahr keinen zusätzlichen arbeitsfreien Tag. Denn heute ist der 1. Mai, der „Tag der Arbeit“ und – heute ist Sonntag, also sowieso frei. Und ist es nicht irgendwie kurios, dass gerade der „Tag der Arbeit“ ohne Arbeit, will heißen „arbeitsfrei“ ist?

Und dann einmal ganz grundsätzlich gefragt: Wie ist eigentlich das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit? Arbeit soll ja bekanntlich nur das „halbe Leben“ sein. Aber ist sie das wirklich? Ist sie oft nicht viel mehr als das? Und ist Freizeit die andere Hälfte? Kann Freizeit nicht auch eine Belastung sein?

Darauf kann ich natürlich keine Antwort geben, die für alle Menschen gelten würde. Die Empfindungen und Bedürfnisse sind da sehr unterschiedlich: ob man zu viel arbeitet oder zu wenig, ob man genügend Zeit für sich hat, ob man viele Pausen braucht oder wenig. Es gibt Menschen, die gehen so sehr in ihrer Arbeit auf, dass sie gar nicht groß darüber nachdenken, ob sie wieder mal eine Pause machen müssten. Andere wiederum merken sehr genau, dass es mal wieder Zeit ist, tief Luft zu holen.

Dass aber frei verfügbare Zeit zum Leben gehört oder zum Leben gehören sollte, das steht für mich außer Frage. Denn der Mensch ist immer mehr als die Arbeit, die er leistet und den Einsatz, den er bringt.

Heute ist „Tag der Arbeit“. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, um sich über die Arbeit und die Freizeit ein paar Gedanken zu machen.

Guten Morgen!

Musik I: The Beatles, A hard days night. Vielleicht auch instrumental: https://www.amazon.com/A-Hard-Days-Night-Instrumental/dp/B07111GF12

Wie also steht es um Arbeitszeit und Freizeit? Mich hat ein Interview in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vor kurzem ins Nachdenken darüber gebracht, wie ich eigentlich mit der wenigen Zeit umgehe, die mir im Leben gegeben ist. Der Soziologe Ludwig Heuwinkel beklagt darin, dass Zeit zu einer wirtschaftlichen Größe geworden ist. Schon die Überschrift des Interviews ist vielsagend und weist in eine richtige Richtung: „Zeit ist Leben, nicht Geld“.[1] Und Heuwinkel erklärt darin:

Sprecher: „Wir leben in einer Ära, in der Effizienzsteigerung alles ist und Zeitverschwendung die größte Sünde. Auch in unserer Freizeit. Die Wirtschaft diktiert den Takt und alle laufen mit, immer schneller, immer weiter.“

Wohin das führt, zeigt er am Gesundheitssystem, wo das Personal immer weniger Zeit hat, um sich um den einzelnen Patienten zu kümmern – eben weil Zeit Geld ist. Oder im Bildungssystem, wo in vielen Bundesländern versucht wurde, die Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre zu verkürzen, was ja teilweise wieder zurückgenommen wurde.

Aber auch im Privaten, findet Heuwinkel, lebt man viel zu sehr nach der Devise „Zeit ist Geld“ und nicht nach der Devise „Zeit ist Leben“. Etwa dann, wenn man sich kaum noch traut zuzugeben, dass man das Wochenende einfach nur genutzt hat, um sich zu erholen. Oder man keinen Mittagsschlaf mehr pflegt, sondern einen so genannten „Powernap“, der eigentlich nur dazu da ist, um die eigene Leistung zu steigern und nicht mehr der Gesundheit dient.

Seine Analysen veranlassen ihn schließlich zu dem nüchternen Fazit: „Die Pause hat ihren guten Ruf verloren“. Das wäre einigermaßen alarmierend. Denn das würde ja bedeuten, dass auch der Mensch nur dann einen guten Ruf hat, wenn er möglichst wenig Pausen macht.

Musik II: Herman van Veen, Weg da! (aus Album: Herman van Veen, Das Beste von Herman van Veen. Seine schönsten Lieder, Track Nr. 11, ab 0:12; erste Strophe geht bis 1:04, danach wird der Text wiederholt, die Länge kann also – je nach Bedarf angepasst werden)

Ich frage mich, ob das, was der Soziologe Ludwig Heuwinkel beschreibt, wirklich nur Zeichen einer ökonomisch geprägten Welt ist. Klingt hier nicht eine Haltung an, die ich auch im christlichen Kontext wiederfinde, zum Beispiel in Nachrufen oder in Todesanzeigen wie dieser:

Sprecher: "Müh' und Arbeit war dein Leben.

Treu und fleißig deine Hand.
Ruhe hat dir Gott gegeben.
Rasten hast du nicht gekannt."

Sicher, bei dieser Würdigung geht es nicht unbedingt darum, dass ein Mensch seine Lebenszeit möglichst effektiv genutzt und möglichst viel „Zählbares“ herausgeholt hat. Vielen Menschen, die so gewürdigt wurden, blieb wohl gar nichts anderes übrig, als immer nur zu arbeiten, um über die Runden zu kommen. Aber auch hier, so ahnt man, ist „Zeitverschwendung“ im Grunde genommen Sünde. Auch hier, so kann man folgern, haben Pausen eher keinen so guten Ruf.

Der Spruch lässt auch durchblicken, dass es offenbar als besonders tugendhaft und gottgefällig gilt, so fleißig zu sein. Dass ein fleißiges Leben vielleicht auch den Weg in den Himmel ebnet. Gefällt es also nicht nur der Wirtschaft, wenn man möglichst wenig rastet und ruht? Gefällt es vielleicht auch Gott? Sind größtmöglicher Arbeitseinsatz und kleinstmögliche Ruhephasen tatsächlich gottgefällig? Ich habe da so meine Zweifel! Und ich stütze mich dabei auf einen biblischen Text aus der Schöpfungsgeschichte, wenn es da heißt (Gen 2,2):

„Am siebten Tage ruhte Gott.“ Nachdem Gott sechs Tage lang Himmel und Erde, Pflanzen, Tiere und schließlich auch den Menschen erschuf, hielt er am siebten Tag inne, um sein Werk zu vollenden, zu ruhen und diesen Tag zu segnen und zu heiligen.

Eine Pause, eine Unterbrechung ist also schon in die Schöpfung eingeschrieben. Und es ist nicht nur eine Unterbrechung für Gott, es ist auch eine Unterbrechung für den Menschen. Dieser wird von Gott zwar dazu angehalten, über die Welt und ihre Geschöpfe zu walten. Er ist nicht bloß Staffage in dieser Schöpfung, sondern zur Mitwirkung, zur Arbeit aufgerufen. Aber auch für ihn gibt es diesen siebten Tag der Ruhe. Im Judentum ist das der Sabbat, dessen Einhaltung auch Teil der zehn Gebote geworden ist. Im Buch Exodus heißt es (Ex 20, 8ff):

Sprecher: "Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem HERRN, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun. "

Musik III: Stairway to heaven - Soren Madsen: https://www.youtube.com/watch?v=7wqQqv-euRU

Der jüdische Sabbat als Ruhetag. Diese Tradition einer Gott gegebenen Unterbrechung der Arbeit ist auch ins Christentum übergegangen – hier ist der Sonntag der Tag der Ruhe. Ein Tag, um zu sich zu kommen und im Gottesdienst auch zu Gott zu kommen. Dieser Tag ist für die meisten Menschen eine Auszeit von der Arbeit. Er ist eine gute Gelegenheit, um herauszutreten aus dem Trott und Stress des Alltags und eine gute Distanz zu allem einzunehmen, was einen im Alltag oft viel zu sehr in Beschlag nimmt.

Ich halte diese Tradition des Ruhetages für ein großes Gut. Denn solche Unterbrechungen oder Pausen sind ja nicht einfach nur Zeiten, in denen man auf der faulen Haut liegt. Pausen sind auch Gelegenheit, um tief Luft zu holen und dann vielleicht zu spüren, dass das Leben mehr ist als Arbeit, als Funktionieren, als Leistung bringen, Geldverdienen und Geldausgeben. Der Mensch ist doch mehr als ein Arbeitstier, das die Welt am Laufen hält. Er ist Gottes Ebenbild, Gott schuf ihn nach seinem Bild, auch das schildert die Heilige Schrift in ihren ersten Texten. Und das bleibt er, egal wie viel oder wie wenig er arbeitet, egal wie viel Geld er verdient, egal wie erfolgreich oder erfolglos er ist. Um das zu begreifen, kann man gar nicht genug Pausen machen. Denn es zeigt sich doch hier, welche Würde der Mensch hat. Und wer diese Würde wirklich begreifen und annehmen kann, dem kann sie zu einer großen Freiheit verhelfen: die Freiheit, seine Zeit wirklich selbstbestimmt zu gestalten, trotz aller Hindernisse, die es geben mag.

Musik IV: Johann Sebastian Bach, Bourree in E minor für Gitarre: https://www.youtube.com/watch?v=w90l3igRIu8]

Es gibt in den biblischen Texten, die von den Anfängen der Welt erzählen, noch eine andere Botschaft. Bekanntlich bleibt das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen nicht lange konfliktfrei. Obwohl es ihm verboten ist, isst der Mensch vom Baum der Erkenntnis. Zur Strafe für diesen Ungehorsam vertreibt Gott den Menschen aus dem Paradies. Und nicht nur das. Er verflucht den Ackerboden und sagt zum Menschen (Gen 3,17-19):

Sprecher: „Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes wirst du essen. Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst.“

Das Leben des Menschen ist von nun an also mühsam. Es ist anstrengend und entbehrungsreich, „alle Tage des Lebens“, bis zum Tod. Mich erinnern diese Worte an den zuvor erwähnten Spruch in der Traueranzeigen: „Müh' und Arbeit war dein Leben. Treu und fleißig deine Hand.“ Das spiegelt eine Welt wider ohne Rast und Ruhe, eine Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist, die nicht mehr so intakt ist wie am Anfang im Paradies.

Und man muss nicht darum herumreden: Genau das ist doch die Welt, in der wir heute leben ohne Rast und Ruh. Die Welt, in der man auf Verhältnisse trifft, auf die man als Einzelperson nur wenig Einfluss hat. In dieser Welt ist Zeit eben doch manchmal Geld, ob man es will oder nicht. In dieser Welt haben Pausen manchmal einen schlechten Ruf. In dieser Welt finden Menschen tatsächlich keine Möglichkeit zu rasten und sich auszuruhen.

Wie viele Menschen machen die Erfahrung, dass es eben nicht immer einfach ist, Leben und Arbeit in ein gutes Verhältnis zu bringen. Dass die Arbeit manchmal doch das ganze Leben in Beschlag nimmt. Es gibt Leistungsdruck, der verhindert, dass ich abschalten kann. Es gibt Erkrankungen wie Burnout und Depression. Und hinzu kommen dann noch Ängste, wie die vor gesellschaftlichem Abstieg und Armut. Es gibt die bange Frage, wie komme ich in der nächsten Woche über die Runden?

Musik V: Nothing Else Matters by Metallica - Danish Guitar Performance - Soren Madsen: https://www.youtube.com/watch?v=WlGiOiRQNhI]

Ich komme noch einmal zurück zu der Anfangsgeschichte der Bibel. Von Anfang an ist es keine rosige Geschichte. Im Zusammenhang mit der Vertreibung aus dem Paradies erzählt sie davon, wie schwer es sein kann, sein Leben selbstbestimmt zu führen, über seine Zeit zu verfügen und freie Zeit für sich zu finden. Dass es äußere Hindernisse gibt, die man erst einmal überwinden muss, wie Dornen und Disteln eben, die den Ackerboden bedecken.

Aber die biblische Anfangsgeschichte beschreibt auch, wie der ganze Mensch von Gott her gedacht ist: Dass sein Wert niemals nur an Arbeitskraft oder Leistungsvermögen hängt, sondern an der Tatsache, dass er Gottes Ebenbild ist. Das gilt beständig und ist zuverlässig und völlig unabhängig davon, ob ich jede Minute meiner Zeit effektiv nutze – oder auch nicht. Ob ich die Arbeit als sinnerfüllende Selbstverwirklichung erlebe – oder auch nicht. Und dass kann doch etwas Ruhe und Gelassenheit schenken nicht nur am heutigen Tag der Arbeit, sondern an jedem Tag, an dem ich mich unter Druck fühle, gehetzt, fremdbestimmt.

Solche Gelassenheit und Ruhe wünsche ich Ihnen von Herzen.

Ihre Claudia Nieser aus Paderborn

Musik VI: "Time after time" (Cyndi Lauper) for acoustic guitar - Mauro Stella; https://www.youtube.com/watch?v=gSvxnyI2Bss


[1] https://www.zeit.de/arbeit/2022-02/zeit-soziologie-stress-ludwig-heuwinkel

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