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Das Geistliche Wort | 26.05.2022 | 08:40 Uhr

Leben teilen - zum 102. Katholikentag

Tausende Menschen auf einem Platz versammelt: Das klang noch vor wenigen Monaten wie ein Himmelfahrtskommando. Corona hat es uns ja etwas abgewöhnt, mit vielen Menschen zugleich an einem Ort zu sein.

Und insofern ist der 103. Deutsche Katholikentag, der heute an Christi Himmelfahrt startet, eine der ersten Großveranstaltungen dieser Art nach den Wellen der Pandemie. Vier Tage treffen sich tausende Gläubige aus ganz Deutschland in Stuttgart. Wenn man so will: Eine Art Superspreaderevent des Katholischen. Wobei es den Machern nicht ums Viren Verteilen geht, sondern um etwas viel Basaleres: „leben teilen“ ist das diesjährige Motto. Mein Name ist Klaus Nelißen und ich möchte Sie in den nächsten Minuten mitnehmen – nicht auf eine Vatertagstour – sondern auf eine kleine Zeitreise in die Geschichte der Katholikentage.


Musik 1: Ein Haus voll Glorie schauet https://www.youtube.com/watch?v=1Ya6q-KeY5U

Ja… das katholische Haus voll Glorie … lang ist’s her … Tatsächlich ist der Katholikentag eine der traditionsreichsten wiederkehrenden Großveranstaltungen, die es in Deutschland gibt. Klar, es gibt die großen Volksfeste: das Oktoberfest in München oder hierzulande Libori in Paderborn.

Und gerade Libori zeigt den Ursprung der meisten dieser Feste: Es waren die Wallfahrten, zu denen früher Menschenmassen zusammen kamen.

Heutzutage sind es Großereignisse wie „Rock am Ring“ oder „Wacken“ zu denen die Menschen pilgern. Die Love-Parade ist dabei schon wieder Geschichte.

Den Katholikentag, den gibt es schon seit 1848. Und es gab Zeiten, da reichten die Besucherzahlen eines Katholikentags manchmal an Massenevents wie die Love-Parade heran: z.B. 1949. Kurz nach Gründung der Bundesrepublik versammelten sich in Bochum zum Abschlussgottesdienst eine halbe Million Gläubige. Damals eine Sensation: Papst Pius XII. höchstpersönlich hielt eine Radioandacht. Weil der damalige Papst zuvor Botschafter des Vatikans in Deutschland war, beherrschte er die deutsche Sprache. Er selbst war sogar einmal bei einem Katholikentag dabei, nämlich in Dortmund wie man von der historischen Radioaufnahme weiß. Hören wir doch mal rein in diese Ansprache, 73 Jahre ist sie alt:

(O-Ton Papst Pius XII. – ab 0’59):

Während Unser Gruss sich durch die Aetherwellen den Weg zu eurem Ohr und eurem Herzen bahnt, steht vor unserem Geist das « Land der roten Erde », so wie Wir es im Jahre 1927 auf dem unvergesslichen Dortmunder Katholikentag erlebten.

Das Flugzeug trug Uns von der alten ehrwürdigen Bischofsstadt Trier über damals noch blühendes rheinisches Land, wie ein Gottesgarten unter uns ausgebreitet, in das Herz eines der beherrschenden Wirtschaftszentren Deutschlands.[1]

Haben Sie es verstehen können? Recht blumig spricht da der damalige Papst. Nennt das Ruhrgebiet das „Land der roten Erde“ und das Rheinland „einen Gottesgarten“ – was mich als Kölner natürlich freut. Aber spannend ist, dass der damalige Nuntius seine Reise zum Katholikentag 1927 in Dortmund von Deutschlands ältester Stadt aus startete, nämlich von Trier.

Sie müssen wissen: Trier spielt für die Geschichte der Katholikentage eine entscheidende Rolle. Denn vor 1848 war 1844.

Vier Jahr vor dem ersten Katholikentag fand nämlich in Trier zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder die Wallfahrt zum Heiligen Rock statt. Diese Wallfahrt von 1844 muss man verstehen als eine Art katholisches Erweckungserlebnis. Damals kamen die Katholiken das erste Mal wieder nach Trier, um das letzte Kleidungsstück zu verehren, das Jesus der Tradition nach getragen haben sollte: den „Heiligen Rock“. Die Wallfahrt war über die Wirren der Reformation eingeschlafen. Dann irgendwann kam die Französische Revolution, kurz darauf kam Napoleon. Und man kann sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, was das alles damals für einen Umbruch bedeutete. Die Klöster wurden enteignet, Glocken wurden eingeschmolzen. Selbst der Kölner Dom war zum Pferdestall verkommen. Das Christliche war in Frage gestellt wie nie zuvor. Und nachdem Napoleon besiegt war, übernahmen die protestantischen Preußen das Sagen. Das Katholische galt als Störfaktor.

Musik 2: (https://www.youtube.com/watch?v=5C2YCNXkSkk „Ermutigung“ bis 0’49)

In dieser „harten Zeit“ pilgerten 1844 eine halbe Million Katholiken zum Heiligen Rock nach Trier. So eine große Ansammlung von Menschen hatte es schon lange nicht mehr gegeben, vor allem keine katholische. Den Effekt müssen Sie sich so vorstellen: Die Katholiken, die sahen sich quasi damals in Trier gegenseitig in die Augen. Und nach all den Jahren der Unterdrückung, der Gängelung – unter Napoleon, unter den protestantischen Preußen, wurde denen klar: Wir sind ja gar nicht so wenige!! Wir können ja was bewegen, wenn wir uns zusammentun. Und daraus entstand quasi die Idee der Katholikentage.

Der Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf hat zur Geschichte der Katholikentage geforscht und er beschreibt die Motivlage des Anfangs so:

Sprecher:

Zunächst geht es gar nicht um Glauben feiern oder Glaubenserfahrungen machen. Sondern es geht um knallharte politische Forderungen. Es sind die Laien, die die vom Papst verdammten revolutionären Freiheiten – Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit – nutzen, um zu sagen: Wir benutzen jetzt die Freiheiten, die der Papst verurteilt hat, für uns als Katholiken in Deutschland, aber auch für den Papst.“[2]

Hört sich verrückt an: Die Katholiken bedienen sich der Freiheiten, die der Papst verurteilt, um für den Papst einzutreten.

Der Hintergrund war folgender: Nach der Revolution von 1848 wurde in Deutschland die Versammlungsfreiheit gewährt und auch die Pressefreiheit – in Maßen.
Das war dem damaligen Papst ein Dorn im Auge. Der wetterte über den „Wahnwitz der Geistesfreiheit“ und hielt es für ausgeschlossen, dass Laien ihre Stimme erheben, ohne ihre Priester zu befragen.[3] Laien – das sind bis heute alle die, die nicht geweiht sind und daher nicht zum sogenannten Klerus gehören. Der Begriff „Laie“ ist ganz wichtig für die Katholikentage: Denn dass in Deutschland die Laien so eine starke Stimme haben, auch immer wieder gegen den Papst in Rom, das hat genau damit zu tun, dass sich vor 175 Jahren die katholischen Laien zusammengefunden hatten, selbstbewusst und frei.

Musik 3: Die Gedanken sind frei https://www.youtube.com/watch?v=uvl2ykPB0ks

Durch die Geschichte der Katholikentage zieht sich dieser Mix aus gelebtem Katholizismus und gleichzeitigem Selbstbewusstsein der katholischen Laien, sich von Rom und der religiösen Obrigkeit nicht alles sagen zu lassen. Am denkwürdigsten kommt dies vielleicht zu Tage beim Katholikentag 1922 in München.

Deutschland rappelt sich auf aus den Wirren des 1. Weltkriegs. Mit der Weimarer Republik wagen die Deutschen den Weg in die Demokratie. Und dann wettert ausgerechnet der Münchener Erzbischof, Kardinal Faulhaber, in insgesamt 23 Ansprachen auf dem Katholikentag über „Hochverrat“ und „Meineid“ bei der Gründung der Republik.[4] Wie viele im Klerus hält er es lieber mit der Monarchie.

Der damalige Präsident des Katholikentags ist ein noch recht junger Politiker. Er ist Oberbürgermeister in Köln. Aber er ist schon „Fuchs“ genug, bis zur allerletzten Ansprache zu warten, um dann auszuteilen. – Darauf kann der Kardinal nämlich nichts mehr erwidern. Der 46-Jährige heißt: Konrad Adenauer. Und so spricht er dann bei der großen Abschlusskundgebung in München:

Sprecher:

„Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Auch von diesem Schatten zu sprechen, ist meine Pflicht. Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht.“[5]

Jahrzehnte später, 1989, erinnert sich Franz Josef Strauß an die Erzählungen seines Vaters von jenem denkwürdigen Katholikentag von 1922:

Sprecher:

"Faulhaber sitzt unten, blickt voller Zorn, packt seinen Kardinalshut und will gehen. Der Eklat scheint unvermeidbar. Was macht Adenauer? Er hört mitten in der Rede auf und sagt ohne jeden Zusammenhang, daß man nun Eminenz um den oberhirtlichen Segen bitte. Daraufhin hat der Kardinal seinen Hut wieder hingeworfen und voller Wut seinen Segen heruntergedonnert. Mit schneller List hatte Adenauer den Eklat am letzten Tag vermieden."[6]


Dieses listige Vorgehen Adenauers, das steht vielleicht paradigmatisch für das Pendeln des deutschen Laienkatholizismus: Die Obrigkeit reizen? Keine Frage! Aber im entscheidenden Moment den Faden nicht reißen lassen – und um den Segen bitten: Das ist Katholisch-Sein in Deutschland. Und so nehme ich den deutschen Katholizismus immer noch wahr. Er will kein Schisma mit Rom. Aber: Er weiß sich fest verankert in Geschichte und Gesellschaft.

Musik 4: Fest soll mein Taufbund

https://www.youtube.com/watch?v=CLAbTM-qh7I

Tja, meine Zeit rennt aus. Jetzt habe ich Ihnen noch gar nichts vom denkwürdigen Katholikentag in Essen erzählt, damals 1968, als die Studentenunruhen die Versammlung aufgemischt hatten. Und ich habe Ihnen auch nicht erzählt, wie ein Forscher den Katholikentag als Gradmesser wertet für die deutsche Freiheitsbewegung. Denn schon früh stand fest: „Ohne religiöse Freiheit ist keine bürgerliche Freiheit möglich.“[7]

Aber genau darauf kommt es doch an: Freiheit des Glaubens und dazu gehört paradoxerweise auch Folgendes: Die Freiheit zu gehen.

Aber wie gesagt: meine Zeit rennt aus. Und – Ich muss es so ehrlich sagen: Der Kirche rennen die Gläubigen weg. Oder sie sterben weg. Die katholische Kirche steht derzeit vor dem größten Umwandlungsprozess – vielleicht seit den Wirren Napoleons. Wenn sich in diesen Tagen das katholische Deutschland in Stuttgart versammelt, dann wird es sehen: Wir sind weniger geworden. Die Teilnehmerzahl wird nicht mehr heranreichen an die in Münster 2018. Und daher ist dieser Urimpuls der damaligen Gründung; dieses: Sich in die Augen schauen und sehen: Wir sind ja gar nicht so wenige!! Wir können ja was bewegen, wenn wir uns zusammentun. Vielleicht ist das wichtiger denn je. Denn Christsein will gelebt werden in der Öffentlichkeit, in Gemeinschaft, in Freiheit, . im „leben teilen“ – wie es das Motto des diesjährigen Katholikentags sagt. Der legendäre Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Hans Maier, hat das einmal so ausgedrückt:

Sprecher:

„Glaube ist ja nicht nur was, was ich im stillen Kämmerlein bekenne und für mich behalte als Geheimnis. Sondern der Glaube will ja auch die Welt gestalten und umformen“[8].

Musik 5: Last Train home – Pat Meteheny (https://www.youtube.com/watch?v=V9vQ_y9JJ1E

Wohin die Reise des Katholischen in Deutschland geht, das wird sich zeigen. Denen, die heute noch aufbrechen nach Stuttgart: Einen schönen Katholikentag. Und allen anderen einen schönen Vatertag, bzw: einen mit Sonne gesegneten Himmelfahrtstag. Aus Köln grüßt Sie Klaus Nelißen.


[1] https://www.vatican.va/content/pius-xii/de/speeches/1949/documents/hf_p-xii_spe_19490904_cattolici-tedeschi.html

[2] https://www.deutschlandfunk.de/zum-100-katholikentag-zwischen-revolution-und-resignation-100.html

[3] Vgl.: https://www.deutschlandfunk.de/historie-der-katholikentage-lob-des-ungehorsams-100.html

[4] Vgl.: https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/jcsw/article/download/575/547

[5] https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/2227184

[6] https://www.katholikentag.de/rueckblick-zeitstrahl

[7] https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/jcsw/article/download/575/547 , S. 14.

[8] https://www.deutschlandfunk.de/historie-der-katholikentage-lob-des-ungehorsams-100.html

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