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Das Geistliche Wort | 18.09.2022 | 08:40 Uhr

Vom Duft des Glaubens


Vielleicht kennen Sie diese spezielle katholische Duft-Mischung aus Weihrauch und Bohnerwachs. Als ich bei einer Chorreise ins Baltikum die Kathedrale von Vilnius betrat, hatte ich sofort diesen mir sehr bekannten und vertrauten Duft in der Nase: Diese Mischung aus Weihrauch und Bohnerwachs, die ich viele Jahre nicht mehr gerochen hatte. Sofort stiegen die Bilder in mir auf von meiner neogotischen Heimatkirche in Bad Godesberg, darin die typischen Bodenfliesen mit Blumen und geometrischen Mustern, die früher immer noch gebohnert wurden, damit sie sauber sind und in der Sonne glänzen.

Auch ist dieser Geruch für mich verbunden mit Erinnerungen an die Wohnung meiner Großeltern: Bis ich sechs Jahre alt war, lebten die beiden in einer ihnen nach dem Krieg zugewiesenen Altbauwohnung mit hohen Decken und einem etwas unheimlichen, schummrigen, langen Gang. Der Gang führte zu einem Badezimmer, in dem mitten im Raum eine Badewanne auf Füßen stand, für die das Wasser in einem Kohleofen heiß gemacht werden musste.

Auf dem Boden im Flur und im Gang habe ich gerne Auto gespielt. Dafür durfte ich die Schublade auf Rädern benutzen, die man unten aus dem alten Küchenherd heraus ziehen konnte und in der normalerweise Briketts für den mit Kohle betriebenen Ofen gelagert waren.

Dieser Boden im Flur und im Gang, über den ich dann gekrabbelt bin und „mein Auto“ geschoben habe, der hatte diesen ganz besonderen Duft. Meine Oma hat ihn mit einem Bohnerwachs behandelt, der genauso roch, wie in der Kirche.


Musik1: Ludovico Einaudi, Inizio (instrumental)


So riecht für mich Kirche, Glaube und Religion. Und das verbindet sich für mich mit den Gefühlen meiner Kindheit: Geborgenheit, wohliges Kribbeln im Halbdunkeln bei schummrigem Licht, und eben der Duft von Bohnerwachs.

Später als Messdiener war es das große Ziel, eines Tages das Weihrauchfass schwenken zu dürfen. Als ich nach der Erstkommunion Messdiener wurde und zum ersten Mal in die Nähe des Weihrauchs kam, ist mir – wie bestimmt vielen – ein bisschen schlecht geworden und ich musste an die frische Luft. Danach aber nie wieder. Einige Jahre später als Jugendlicher war es natürlich ein großer Spaß, heimlich in der Sakristei schon ein, zwei Löffel voller Weihrauchkörner auf die glühenden Kohlen zu legen, so dass dann bei der offiziellen Befüllung durch den Priester richtig viel heiliger Qualm aus dem Weihrauchfass gequollen ist. Das war damals für einige im Chor nicht so witzig, wir Messdiener haben uns aber immer diebisch gefreut, wenn der ein oder andere Huster von der Empore zu hören war. Denn für mich war klar: Je feierlicher ein Gottesdienst ist, desto mehr muss man das auch sehen und riechen.

Schön, denkt jetzt vielleicht die eine und der andere. Das war ja zu erwarten, dass es bei Kirche und
Religion wieder um früher geht, um Kindheitsgefühle und Weihrauch. Gibt’s denn da nicht noch was anderes?

Musik 2 (kurz): Ludovico Einaudi, Inizio (instrumental)

Die Spur, die ich Sie einladen möchte zu entdecken, hat mit Geruch zu tun, mit Duft und Wohlgeruch.

Die Bibel, die Büchersammlung des Glaubens und Lebens von Juden und Christen, hat auch da einiges zu bieten: Als nach der großen Sintflut das Wasser beginnt, sich zu verlaufen, „baute Noah dem Herrn einen Altar und brachte auf dem Altar Brandopfer dar“ (Gen 8,20), heißt es im Buch Genesis. Und weiter: „Der Herr roch den beruhigenden Duft, und der Herr sprach bei sich: Ich will die Erde wegen des Menschen nicht noch einmal verfluchen.“ (Gen 8,21) Diese Erzählung ist nachweislich kein Tatsachenbericht. Die Bibelwissenschaftfler ordnen diese biblische Fassung ein in den Zeitraum, 1.000 Jahre vor Christus. Offensichtlich hatten die Menschen in den Anfängen der Bibel die Vorstellung, dass der Duft geopferter Tiere ihren Gott beruhigen könne. Duft und Rauch werden zu Formen der Kommunikation mit einem Gott, den man nicht sehen kann, der aber in den Zeichen der Natur als wirkmächtig erfahren wird. Im Buch Exodus heißt es: Sprecherin

Ein Brandopfer ist es für den Herrn zum beruhigenden Duft.“ (Ex 28,18)

Und der Prophet Ezechiel lässt Gott selbst den Menschen zusichern:


Sprecherin

Beim beruhigenden Duft eurer Opfer will ich euch gnädig annehmen“ (Ez 20,41).

„Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf“, betet der 141. Psalm. (Ps 141,2)

Und dann ist da noch Jakob, der ambitionierte zweite Sohn des Isaak, der sich, verkleidet mit den Gewändern seines älteren Bruders Esau, den Erstgeburtssegen bei seinem blinden Vater erschleicht:

Sprecherin

„Isaak roch den Duft seiner Kleider, er segnete ihn und sagte: Ja, mein Sohn duftet wie das Feld, das der Herr gesegnet hat.“ (Gen 27,27)

Duft als Erkennungsmerkmal, Geruch als Ausweis von Identität und Zugehörigkeit. Nicht von ungefähr fordert Papst Franziskus, dass die Hirten den Geruch der Herde annehmen sollen, gerade weil so vieles zum Himmel stinkt und sich auch Christinnen und Christen nicht immer riechen können.

Musik 3: Christian Brückner, Tim Isfort Orchester, Drei Tage Gold

Schon zu biblischen Zeiten ist Duft mit Wohlbefinden verbunden, mit Gesundheit und Heilung, mit Schönheit und Attraktivität.

Gott selbst offenbart dem Mose im Buch Exodus ein ganzes Rezept:

Sprecherin

„Nimm dir Balsam von bester Sorte: Fünfhundert Schekel erstarrte Tropfenmyrrhe, halb so viel, also zweihundertfünfzig Schekel, wohlriechenden Zimt, zweihundertfünfzig Schekel Gewürzrohr und fünfhundert Schekel Zimtnelken, dazu ein Hin Olivenöl, und mach daraus ein heiliges Salböl.“ (Ex 30,23f.)

Und von Judit, die als Ausländerin zur Retterin des Gottesvolkes wird, heißt es:

Sprecherin:

„Sie salbte ihr Gesicht mit duftendem Öl“ (Jdt 16,7).

„Von Myrrhe, Aloe und Kassia durften all deine Gewänder“ (Ps 45,9) dichtet der Psalmist in einem Liebeslied zur Hochzeit des Königs über den Bräutigam.

Kostbare, duftende Öle ehren Lebende und Verstorbene: Lukas berichtet in seinem Evangelium von der Sünderin, die Jesus mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße salbt und der, weil sie so viel Liebe gezeigt hat, auch viele Sünden vergeben werden.

Nach Jesu Tod kaufen die Frauen wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben.

Musik 4: Christian Brückner, Tim Isfort Orchester, Drei Tage Gold

Düfte und Gerüche sind immer schon ein wichtiger Teil des Lebens und damit auch des Glaubens der Menschen.

Warum ist das eigentlich so? Wie funktioniert das mit dem Riechen und warum wecken Gerüche und Düfte so tiefe Emotionen in uns?

Mit der Atemluft landen Duftmoleküle auf der Riechschleimhaut, auf der sich 350 verschiedene Riechrezeptoren befinden, die wie Schlösser funktionieren, zu denen ein Duftmolekül der passende Schlüssel ist. Auf einer Fläche so groß wie ein 2-Euro-Stück sitzen die Riechzellen. An ihrem Ende tragen sie feine Sinneshärchen. Hier docken die Duftmoleküle an. So kann der Mensch in der Kombination seiner Riechrezeptoren bis zu 10.000 Duftnoten unterscheiden.

Die meisten Gerüche sind komplexe Mischungen von Duftstoffen. Kaffee z.B. enthält mehr als 100 verschiedene Duftmoleküle. Hier werden also entsprechend viele Rezeptoren gereizt, die ihre Informationen ans Gehirn schicken. Der Geruchssinn spielt auch beim Schmecken die größere Rolle als die Zunge; die erkennt nur süß, salzig, sauer, bitter oder würzig.

Mit Düften und Gerüchen verbinden wir häufig bildliche und episodische Erinnerungen, die viel intensiver sind als Erinnerungen an Dinge, die wir „nur“ gesehen haben.

Der Grund dafür ist der direkte Draht, den unser Geruchssinn ins Stammhirn hat. Im Unterschied zu anderen Sinneswahrnehmungen wie dem Sehen oder dem Hören hat das Riechen eine direkte Verbindung in das limbische System und in den Hioppocampus. Der ist ein in der Entwicklung des Menschen schon sehr alten Teil unseres Gehirns. Dort entstehen unsere Gefühle und dort befindet sich der Zugang zum Gedächtnis. Die elektrischen Impulse aus unserem Riechhirn wecken tief verborgene Erinnerungen und lösen starke Emotionen in uns aus. So nehmen wir Gerüche unmittelbar als Veränderung unserer Befindlichkeit wahr.

Wenn uns ein Geruch in die Nase steigt, den wir schon viele Jahre nicht mehr gerochen haben, steigen sofort Bilder auf, es ist wie eine Diashow und sofort ist alles wieder da.

Musik 5: Ludovico Einaudi, In un altra Vita (instrumental)

Wie also riecht Religion, Christentum, Glaube? Nur noch nach muffigen Gewändern in alten Schränken, nach abgestandener Luft in schlecht belüfteten Sakristeien, nach vergilbten alten Büchern in feuchten Kellern? Schon vor 60 Jahren hat der damalige Papst Johannes XXIII. auf die Frage, warum er zu einer großen Kirchenversammlung, dem II. Vatikanischen Konzil, einlädt, demonstrativ ein Fenster aufgemacht. Es brauchte und braucht frischen Wind in der Kirche, Mut sich auf neue, unbekannte Düfte und Gerüche einzulassen und auch die Bereitschaft, das was stinkt und mieft zu lüften, zu reinigen oder gar zu entsorgen.

Warum es den sprichwörtlichen frischen Wind braucht? Auch da können wir von der Biologie lernen. Die olfaktorische oder Geruchsadaption führt nämlich dazu, dass andauernde starke Geruchsreize immer weniger bis gar nicht mehr wahrgenommen werden. Also braucht es die, die von außen dazu kommen und sagen: Hier riecht es aber gar nicht gut, das stinkt aber gewaltig.

Was hat denn Religion, Glauben und Christentum überhaupt mit Sinnlichkeit und Sinneseindrücken zu tun? Geht es da nicht vielmehr um heilige Schriften, um Gebote, Verbote und Dogmen, um die zehn Gebote, die Idee der Nächstenliebe, das Handeln des Jesus von Nazaret?

Im religiösen Vollzug, in vielen religiösen Ritualen ist das Sinnliche präsent. Christinnen und Christen sind es gewohnt ihre großen Feste auch mit den Sinnen zu erschließen – zu sehen, zu hören, sogar zu schmecken und zu berühren. Aber wie riecht denn ein Jahresdurchlauf von Weihnachten über Ostern bis Pfingsten mit viel Alltag dazwischen und danach? Zu genau dieser Frage gibt es ein wunderbares Buch: „Weil mehr als Weihrauch möglich ist“[1], heißt das. Und ich bin mit den Herausgebern der Meinung: „Weihrauch kann nicht die einzige Antwort auf diese Frage sein.“

Das Buch lädt ein zu einer Duftreise durch das Jahr und wirbt für den Einsatz von Düften im Kirchenraum. Das finde ich mal eine spannende Idee. Mehr noch: das „Zentrum für angewandte Pastoralforschung“ in Bochum, kurz ZAP, – von dem das Buch stammt – ist auch in kreative Vorleistung gegangen: Vier besondere Düfte sind so entwickelt worden, die für Grundhaltungen christlichen Lebens stehen und mit den großen Festen verbunden sind.

Musik 6: Ludovico Einaudi, I giorni (instrumental)

Und das sind die vier Düfte, die in Bochum von Forschenden in Sachen Theologie zusammen mit Forschenden in Sachen Duft für die großen Feste entwickelt wurden:

Weihnachten. Weihnachten ist das Fest der Düfte. Zimt und Tannenduft liegt in der Luft, Mandarine und Marzipan. Gefeiert wird, dass ein kleiner Mensch geboren wird, der für viele ein ganz Großer war. Ein typischer Duft dafür ist Vanille. Vanille ist nämlich der Lockstoff der Muttermilch für alle Menschen und Säugetiere. Gefeiert wird, dass ein kleiner Mensch eine Mutter hat, dass er Nahrung findet, wachsen und leben kann. - Vanille als Duft des Wachsens.

Im Frühling dann das Osterfest. Das Fest des Durchbruchs. Die braune, erdige Natur wird grün. Gefeiert wird der Durchbruch vom Tod zum Leben. Überall beginnt es zu sprießen und zu blühen, Bäume und Pflanzen bringen duftende Blüten hervor: Jasmin, Magnolie, Maiglöckchen als Duft neuen, veränderten Lebens.

Wenn das Jahr in voller Kraft steht folgt das Pfingstfest. Zur Kraft und dem Geruch von Erde, Wasser, Wind und Feuer kommt die Kraft des Geistes hinzu. Das Wehen des Geistes riecht wie eine Sommerbrise, die kraftvoll Wind unter unsere manchmal lahmen Flügel wehen will.

Im sogenannten Kirchenjahr kommt dann bis zum nächsten Advent noch eine lange Strecke, der Alltag, manchmal als Fest des Gewohnten. Duftmäßig stinkt einem vielleicht manches, anderes duftet weiter, aber nicht mehr so intensiv. Im Alltag soll der Sinn für die Schönheit nicht verloren gehen, das was die Feste versprechen, muss sich im Alltag bewähren.

Musik 7: Amanda McBroom, The King‘s Singers, The Rose

Glauben und Leben geht also offensichtlich nur mit allen Sinnen und dabei steht der Geruchssinn
zu Unrecht ein bisschen im Abseits. Ich kann Sie nur einladen, den Duft ihres Lebens zu entdecken, die Geruchsspur, die ihnen Horizonte öffnet, Glück verheißt, Erinnerungen weckt und sie zu Menschen führt, die sie gut riechen können.

Der Apostel Paulus, wenn man so will der Erfinder dessen, was wir heute Christentum und Kirche nennen, fragt in einem Brief an die Gemeinde in Korinth:

Sprecherin


„Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur Gehör wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn?“
(1 Kor 12,17)


Also, schon Paulus wusste, den richtigen Riecher zu haben, kann den Unterschied machen. Vielleicht sollten wir das wieder neu lernen, unsere Sinne zu schärfen, uns auf die eigene Nase zu verlassen, uns den Wind des Lebens um die Nase wehen zu lassen, immer der eigenen Nase nach.

Im zweiten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth findet sich die überraschende Formulierung:

Sprecherin

„Wir sind Christi Wohlgeruch für Gott … Lebensduft, der Leben verheißt.“ (2 Kor 2,15)

Das ist doch mal ein herausforderndes Programm für die Christinnen und Christen: So zu leben, dass andere an ihnen etwas von Gottes Liebe zu allen Menschen schmecken und riechen können; Lebensduft zu verbreiten, der nach Freude, Liebe und Leben riecht, nicht nur nach Weihrauch.

Musik 8. Darin: Dass Sie Menschen treffen, die sie riechen können, und dass Sie selbst Lebensduft verbreiten, das wünscht Ihnen Markus Offner, Diakon in Aachen.


[1] Weil mehr als Weihrauch möglich ist - Der Einsatz von Düften im Kirchenraum, hrsg. von Michael Swiatkowski, Matthias Sellmann, Christopher Pilz, Echter-Verlag, Würzburg 2022.

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