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Das Geistliche Wort | 01.11.2022 | 08:40 Uhr
Wollen Sie wirklich heilig werden?
„Wollen Sie heilig werden?“ Etwas verdutzt schaut mich mein Gegenüber an. Scheinbar hatte ihm noch niemand eine solche Frage gestellt. Die Antwort kommt recht spontan: „Heilig werden? Das ist doch nichts für mich, ich bin ein ganz normaler Mensch, mit Ecken und Kanten. Ich habe Familie und Beruf. Heilig werden? Ne, das ist nur was für ganz besondere Leute. Und mit Kirche hab ich‘s auch nicht so. Die sollten mal weniger von Heiligkeit sprechen, bei aller Scheinheiligkeit, die ich da erlebe.
Und: „Wollen Sie heilig werden?“ Einen schönen guten Morgen aus Brakel im Kreis Höxter!
Musik I: Johann Sebastian Bach - Air (Aria - BWV 1068) - Matthias Schlubeck, Panflöte
Heilig werden. Alle heilig Gewordenen feiert die katholische Kirche heute an Allerheiligen. Immerhin gibt es dafür in Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Bundesländern sogar frei. Viele Menschen meinen fälschlicherweise, dass das der Gedenktag für die Toten ist. Denn heute besuchen ja viele die Gräber ihrer Verstorbenen und zünden darauf Kerzen an. Aber der eigentliche Totengedenktag, der Allerseelentag, ist erst morgen.
Der Allerheiligentag heute hat eine andere Ausrichtung. Die katholische Kirche denkt da besonders an alle Heiligen. Das heißt, sie denkt an Menschen, die in der 2000-jährigen Geschichte der Kirche den christlichen Glauben vorbildlich gelebt haben. Viele sind namentlich bekannt. Für sie gibt es vielfach während des Jahres sogar einen eigenen Gedenktag wie zum Beispiel für den heiligen Martin, den heiligen Nikolaus oder die heilige Ursula – um nur einige wenige bekannte zu nennen. Dann gibt es aber auch unzählige Menschen, die ihr Christsein im Stillen gelebt haben, die nicht heiliggesprochen wurden. An sie erinnert die katholische Kirche am Allerheilgentag eben auch.
Nochmal die Frage: Wollen Sie heilig werden?
Aber was heißt das eigentlich: heilig? Die Bibel, mit der ich als katholischer Priester viel zu tun habe, hat dazu ein paar interessante Hinweise: Im Alten Testament zum Beispiel wird Gott als heilig bezeichnet. Da heißt es (Jesaja 6,3): "Heilig, heilig, heilig ist der Herr“ Und dann wird als „heilig“ all das bezeichnet, was für die hebräischen Bibel zur Sphäre Gottes gehört: der Himmel, die Engel, der Tempel, die Stadt Jerusalem, kultische Dinge und Geräte. Es sind aber auch Menschen, die als heilig bezeichnet werden und zwar diejenigen, die Gott in seinen Dienst gerufen hat, so zum Beispiel Prophetinnen und Propheten oder Priester. Daraus leitet sich schließlich ein Appell ab, wenn Gott seiner Gemeinde sagen lässt (Levitikus 19,2): „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“ Das Volk Israel versteht sich so als Gottes auserwähltes, heiliges Volk“ das versucht, dieser Heiligkeit zu entsprechen, indem es die Gebote Gottes einzuhalten versucht. Das war gar nicht so einfach, wie es die Geschichte Israels weiter zeigt und die Bibel im Alten Testament belegt. Das „heilige“ Volk Israel versündigte sich nämlich immer wieder, wandte sich anderen Göttern zu und traute mehr der eigenen Kraft und Stärke als den Zusagen Gottes. Damit entzog es sich der Sphäre Gottes und wurde unheilig. Kein Wunder, dass ein anders Konzept der „Heiligung“ gefunden werden musste.
Und davon berichtet das Neue Testament. Der- und diejenige gelten da als heilig, die an Christus glauben, sich ihm zugehörig fühlen und das durch die Taufe zum Ausdruck bringen. So kann dann zum Beispiel der Apostel Paulus in seinen Briefen an die verschiedenen christlichen Gemeinden seiner Zeit schreiben: an die „Heiligen in Ephesus“, an die „heiligen Brüder in Kolossä“, an alle „Heiligen in Achaia“. Hier klingen viel Wertschätzung und Respekt mit – allen gegenüber, die getauft sind. Aber das sollte sich in der Kirchengeschichte schon bald ändern.
Musik II: Felix Mendelssohn Bartholdy: Heilig, heilig, heilig
Wollen Sie heilig werden? Und wenn ja, wie wird man das?
Nachdem Paulus noch alle Getauften als Heilige bezeichnet, ändert sich das schon bald. Reichte zunächst der Glaube an Christus aus und die Zugehörigkeit zu ihm aufgrund der Taufe, wurde schon bald die Glaubenstreue ein wichtiges Kriterium für die Heiligkeit. Heilig zu sein, galt nicht mehr allgemein, sondern als etwas besonders. Was ist mit diesem Wechsel gemeint? Durch die Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten, wurden viele getaufte Christen auf die Probe gestellt: Bist du bereit, für deinen Glauben an Christus zu sterben? Und genau die, die dazu bereit waren, mit ihrem Tod Zeugnis für ihren Glauben zu geben, sie galten von nun an als Heilige. Das waren die Blutzeugen, die Märtyrer. Und die wurden dann von den anderen Christen als Heilige verehrt.
So zogen die Christen zu ihren Gräbern und errichteten dort oft auch Kirchen bzw. Altäre. Das berühmteste Beispiel dafür ist der Petersdom in Rom, errichtet über dem Grab des Heiligen Petrus. Archäologen können nachweisen, dass seit dem Ende des ersten Jahrhunderts dieser Ort verehrt wird – und das bis heute. Und bemerkenswert ist: In den ersten tausend Jahren der Kirchengeschichte gab es kein richtiges Verfahren, um jemanden heilig zu sprechen, zum Beispiel durch den Papst in Rom. Vielmehr wurden Heilige „von unten“ verehrt, also durch das Glaubensbewusstsein des Volkes. Die Stimme des Volkes war ausschlaggebend.
Einen späten Reflex konnte man noch beim Tode von Papst Johannes Paul II. beobachten: Viele Menschen auf dem Petersdom zeigten nach der Bekanntgabe seines Todes Plakate, auf denen stand: „Santo subito“ „Sofort Heilig“! Dabei gibt es seit etwa 1000 Jahren seitens der katholischen Kirche ein offizielles Heiligsprechungsverfahren mit mehreren Instanzen, die prüfen, ob ein verstorbener Christ tatsächlich den Ruf der Heiligkeit verdient. So wurden viele Menschen im Laufe der Kirchengeschichte aufgrund ihrer tiefen christlichen Lebenspraxis heiliggesprochen. Sicherlich ist in so manchen Fällen aber der Eindruck nicht ganz von der Hand zu weisen, dass auch politische und kirchenpolitische Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Das muss ich einfach kritisch hier anmerken. Und für mich ist sehr wichtig zu betonen: Heilige, das sind keine Menschen die weltfremd und abgehoben gelebt haben. Heilige sind Vorbilder für mich und für die Kirche; insofern ändert sich durch die Heiligsprechung für den Heiligen selbst nichts, sondern für die Kirche, die hier sozusagen ein neues „Leitbild“ von christlichem Leben aufzeigt am konkreten Beispiel eines Menschen. Was mich daher an den Heiligen fasziniert, ist ihre Vielfalt und Buntheit. Mich fasziniert, wie vielfältig Christsein, also Zugehörigkeit zu Christus in der 2000-jährigen Geschichte der Kirche von Männern und Frauen gelebt wurde.
Musik III: For all the Saints (Great Hymns from St. Pauls´s -St. Paul´s Cathedral Choir)
Heilige Männer und Frauen sind alle auf ihre je eigene Weise Christus nachgefolgt. Und genau das ermutigt mich, meinen persönlichen Weg der Christusnachfolge zu suchen und zu finden. Allgemeiner formuliert: Es gibt nicht den einen Weg der Nachfolge, sondern es gibt so viele Wege, wie es Menschen gibt, die sich auf diesen Weg der Nachfolge machen.
Ein paar Beispiele aus der Kirchengeschichte, um diese Vielfalt anzuzeigen: Da gibt es eben Heilige, die für ihren Glauben gestorben sind, die Märtyrer. Der erste christliche Märtyrer ist der Heilige Stephanus. Er wurde für seinen Glauben gesteinigt, wie es in der Apostelgeschichte der Bibel berichtet wird. Ich denke an den Heiligen Sebastian, der in der frühen Zeit der Kirche sterben musste, weil er sich gegen den damaligen Zeitgeist zum Glauben an Jesus bekannt hat. Ich denke an den Franziskanerpater Maximilian Kolbe der 1941 im Konzentrationslager Ausschwitz umgekommen ist, weil er stellvertretend für einen Familienvater in den Hungerbunker gegangen ist.
Da gibt es Heilige, die sich durch ihren besonderen Dienst am Nächsten auszeichnen. Zu den Bekannten gehört der Heilige Martin von Tours. Seine Mantelteilung fasziniert bis heute jedes Jahr besonders die Kinder in unserem Land, weil er zeigt, wie wichtig es ist, zu teilen. Und ich bin überzeugt: Wenn jeder etwas von dem abgibt, was er hat, wird sich die Welt positiv verändern. Ähnlich hat es die Heilige Elisabeth von Thüringen getan. Ihr Einsatz für Arme und Kranke hat sie zur Patronin und zum Vorbild der christlichen Caritas gemacht. Eine Heilige unserer Zeit ist Mutter Teresa von Kalkutta. Die indische Ordensfrau hat sich um Menschen auf der Straße gekümmert. Das war ihre Form der Christusnachfolge. Viele Schwestern in der von ihr gegründeten Ordensgemeinschaft tun dies bis heute ebenso. Mutter Theresa hat einmal gesagt: „Der einzige Koffer, den wir ins Jenseits mitnehmen, ist der Koffer der Nächstenliebe. Solange du noch Zeit dazu hast, fülle diesen Koffer an, denn er ist der einzige Koffer, den du mit dir tragen wirst.“ Für mich eine Ermutigung danach zu handeln und dadurch heute Christus nachzufolgen.
Auch Ordensgründer werden in der Katholischen Kirche als Heilige verehrt: Franz von Assisi zum Beispiel. In einer reichen Familie geboren, hat er in seinem Leben eine totale Kehrtwende vollzogen. Seine Lebensweise in Armut – will heißen, absolut einfach und anspruchslos zu leben, – hat bereits zu seinen Lebzeiten Menschen fasziniert, ihm nachzufolgen. Der Ort seines Wirkens, die Stadt Assisi, zieht bis heute jährlich unzählige Pilgerinnen und Pilger an – junge und alte. Er bringt mich zum Nachdenken, was ich wirklich zum Leben brauche. Er ist wirklich hochaktuell, denn die lange Zeit des materiellen Wachstums in unserem Land scheint ans Ende gekommen zu sein. Und es stellt sich zwangsläufig die Frage, die Franz sich auch gestellt hat: Was ist mir wichtig in meinem Leben? Mir fällt aber noch ein anderer Ordensgründer ein, der Europa geprägt hat: der Heilige Benedikt von Nursia. Seine 1500 Jahre alte Ordensregel ist eine Weisheitsquelle nicht nur für die Männer und Frauen, die sich seinem Ideal bis heute im Kloster angeschlossen haben, sondern kann es auch sein für jeden Christen. So beginnt die Ordensregel mit dem Wort: „Höre“ und ermutigt zunächst einmal ein Hörender zu sein, um andere zu verstehen. Die Regel beinhaltet auch das bekannte „ora et labora – bete und arbeite“ und ermutigt, das rechte Maß von Arbeit und Entspannung zu finden. Mich fasziniert das, gerade in unserer Zeit, wo viele an ihre physischen und psychischen Grenzen kommen, weil sie die Balance nicht finden. Eine uralte Regel eines Heiligen, die heute einen Nerv der Zeit trifft.
All diese Beispiele von Heiligen zeigen mir: Nachfolge Christi und damit ein Leben als Christ ist vielfältig und bunt. Und das ermutigt mich, meinen eigenen Weg zu gehen, als Christ und in der Nachfolge Christi.
Musik IV: Mozart - Fagottkonzert B-Dur, KV 191
Nochmal die Frage: Wollen Sie heilig werden?
Wenn das Neue Testament alle getauften Christen bereits als Heilige bezeichnet, dann muss ich ja gar nicht mehr heilig werden, ich bin‘s ja schon, weil ich ja getauft bin. Heißt das dann: Hauptsache getauft und schon bist du heilig? Mich hat eine Unterscheidung nachdenklich gemacht. Die Kirche spricht von der Gemeinschaft der Heiligen als „communio sanctorum“. Dabei kann man diese lateinischen Wörter auch anders übersetzen und zwar als die Gemeinschaft der zu Heiligenden. Was der Unterschied ist? Einmal steht fest: In der Gemeinschaft sind ja schon alle heilig. In der zweiten Übersetzung ist das viel dynamischer: Hier ist eine Gemeinschaft gemeint, die immer noch heilig werden kann. Und was das heißt, dass sehe ich überall dort, wo Menschen einander zugetan sind.[1]
Wenn jeder Mensch zu heiligen ist, dann habe ich eine Verantwortung. Jeder Mensch ist so, wie er ist, wertvoll und verdient Respekt, Achtung und Unterstützung. Jeder Mensch ist schützenswert. Dann kann es mir nicht egal sein, wenn Menschen flüchten müssen, im Mittelmeer ertrinken, unter Krieg leiden, nichts zu essen haben. So gesehen gehören alle Menschen zu der Gemeinschaft der zu Heiligenden. Und es liegt an mir, anderen zu helfen, heilig zu werden. So sollte die Frage: „Wollen Sie heilig werden?“ eigentlich anders lauten: „Was kann ich tun, damit Sie heilig werden?“ Denn heilig werden kann man nicht aus sich selbst, es geht nur durch andere.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Allerheiligentag.
Aus Brakel im Kreis Höxter grüßt sie herzlich
Ihr Pfarrer Andreas Kurte
Musik V: Matthias Schlubeck: Telemann Sonate F-Dur, TWV
41F:2 - 1. Vivace - Panflöte und Orgel
[1] Vgl.: Walter Fürst: Communio als Prinzip pastoraler Theologie und pastoraler Praxis, in: Lebendige Seelsorge 37 (1986), 238-248.