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Das Geistliche Wort | 26.12.2022 | 08:40 Uhr

Gott im Heute

A (Sr. Ancilla Röttger)

Guten Morgen, liebe Hörer und Hörerinnen! Einen gesegneten zweiten Weihnachtstag wünschen wir Ihnen. Wir – das ist Frau Dr. Martina Kreidler-Kos aus dem Bistum Osnabrück und ich, Sr. Ancilla Röttger aus Münster.

M (Martina Kreidler-Kos)

„Da kann man nur staunen – Gott im Heute“. Das ist unser Thema heute Morgen und darüber möchten wir mit Ihnen nachdenken.

A

„Gott im Heute?“ Wenn ich ins Heute schaue, dann bleibt mir eigentlich nur die Frage: „Wo ist er denn?“ Als Nonne sollte ich es wahrscheinlich besser wissen oder gleich eine Antwort parat haben. Aber ich habe keine. Glaubst du das wirklich, dass Gott in unserem Heute ist?

M

Na, ich würde es zumindest hoffen!? Weil ein Gott, der nur früher mal da war oder irgendwann in ferner Zukunft kommen wird, den finde ich ehrlich gesagt nicht so spannend. Und außerdem glaube ich fest: Wenn er mit unserem Leben nichts zu tun hat, dann kann er nicht wirklich Gott sein. Zumindest das habe ich vom Evangelium verstanden: dass Gott am Leben interessiert ist, auch an meinem Leben und zwar heute. Und dass er für uns alle das Leben will. Auch heute.

A

Ja, das verstehe ich und ich verlasse mich da trotzdem auf Zeugen und Zeuginnen, die das vor mir erfahren haben und die gesagt haben: „Ich spüre Gottes Gegenwart“. Genau: Das „Heute“ bedeutet eigentlich immer „Gegenwart“. Und Gegenwart, das habe ich gut verstanden, ist ein Wesenszug Gottes. Aber lass uns doch mal schauen, ob wir in früheren Zeiten etwas finden, wo Gott im Heute war. Selbst wenn das für uns Vergangenheit ist. Damals war es „heute“.

Musik I: Morten Lauridsen, Lux aeterna: O Nata Lux

M

Wir könnten doch wieder bei unserer Lieblingsheiligen anfangen, bei Klara von Assisi. Du, Schwester Ancilla, lebst als Klarisse nach ihrer Regel in eurem Kloster in Münster im Schatten des Domes, und ich, Martina Kreidler-Kos habe meine Doktorarbeit über sie geschrieben und arbeite als Theologin im Bistum Osnabrück.

A

Ach, da gibt es doch diese Weihnachtsgeschichte. Die würde jetzt passen. Erzähl doch mal.

M

Gerne! Die Geschichte spielt in Klaras Kloster San Damiano in Assisi. Es ist Weihnachten im Jahr 1252 und die ungefähr fünfzig Schwestern, die da zusammen wohnen, wollen die Geburt Jesu miteinander feiern. Aber wie das so ist – vor 770 Jahren nicht anders als heute – es läuft nicht alles so glatt, wie man sich das wünscht. Klara wird bei diesem Gottesdienst, der ihr so wichtig gewesen ist, nicht mit dabei sein können.

Sie ist zu diesem Zeitpunkt etwa sechzig Jahre alt und liegt krank auf ihrem Lager. Selbst wenn die hauseigene Kapelle nur ein Stockwerk tiefer liegt, direkt unter dem Schlafraum der Schwestern, ist nicht daran zu denken, dass sie in die Kapelle gehen und gemeinsam mit ihren Schwestern feiern kann. Die steile Treppe, die hinunter führt, schafft sie einfach nicht mehr. Dabei werden ihre Mitschwestern alle Möglichkeiten ausgelotet haben: „Könnte Klara nicht einfach nach unten getragen werden?“ „Wenn alle mit anpacken, sie wiegt doch kaum etwas!“ Aber ist das nicht zu gefährlich?“ „Und selbst wenn sie unten ankommen würde, wo lagern wir sie?“ „Was wird der Priester dazu sagen? Und alle anderen, die mit uns feiern?“

A

Solche Fragen stellen heute immer noch viele Leute in der Kirche: Was denkt der Priester? Was denken die Leute? Wie kriegen wir das hin? Wie kommt das an? Solche Fragen können uns oft von dem ablenken, um was es eigentlich geht. Und sie sind in der Regel unfruchtbar. Aber zurück zur Geschichte.

M

Da war es ziemlich ähnlich. Die Schwestern haben all diesen Fragen nachgegeben und sich schließlich schweren Herzens entschieden, es nicht zu wagen. Das war für alle traurig. Denn Klara bleibt an diesem Weihnachtsabend allein in dem großen, kargen Schlafraum zurück. Die anderen begeben sich leise nach unten. Langsam wird es finster, aus Sicherheitsgründen darf kein Licht brennen. Zu hören ist auch nichts. Es gibt zwar eine Luke zur Kapelle hin, ein kleines Loch im Boden, aber das befindet sich im Vorraum um die Ecke. Die Mauern sind dick und die Steine schlucken jeden Laut.

Musik II: Christian Flor, Inter brachia salvatoris mei

A

Klara fühlt sich verlassen. Auch wenn sie selbst die Schwestern zur Liturgie geschickt hat, bleibt trotzdem das Verlassenheitsgefühl zurück, aus dem sie nicht einfach so wieder heraus kommt. Weihnachten ist doch das Fest der Gemeinschaft um das Kind in der Krippe herum.


Wunderbare Worte hat sie in gesunden Zeiten für das Weihnachtsgeheimnis gefunden, immer gestaunt über die bedingungslose Nähe Gottes zu den Kleinen, den Einsamen, den Ausgegrenzten. Und nun? Ist sie selbst eine von ihnen: „O Herr, Gott, schau, wie man mich allein bei dir an diesem Ort gelassen hat.“ (ProKl 3,100) Es ist dies ihr bitterster Satz, den uns die Quellen überliefern. Die Enttäuschung ist nicht zu überhören.

M

Wer jetzt an dieser Stelle überrascht, ist tatsächlich Gott. Er lässt Klara klagen. Er maßregelt die zukünftige Heilige nicht für ihre mangelnde Opferbereitschaft. Er macht auch keine Demutsübung aus dieser Erfahrung. Im Gegenteil, er sieht, dass sie jetzt eher Trost als noch eine weitere Herausforderung braucht. Verzicht übt sie ja in ihrem Leben mehr als genug. Im Gegenteil, Gott erweist sich in dieser Nacht ebenso einfallsreich wie großzügig. Er überlegt: Woran könnte Klara jetzt ihre Freude haben? Was vermisst sie so schmerzlich? Die Feier der Menschwerdung? Dann soll sie daran teilnehmen können - und zwar so richtig.

Am anderen Ende der kleinen Stadt Assisi wird nämlich auch gefeiert. Da haben sich aus allen Teilen Europas die Brüder des heiligen Franziskus eingefunden. In der großen, gerade neu erbauten Basilika San Francesco feiern sie die Christnacht am Grab ihres heiligen Bruders. Es sind viele, die da zusammengekommen sind, darunter großartige Sänger und Prediger. Um es mal so zu formulieren, Gott scheint zu überlegen: Wie wäre es, wenn Klara an diesem Fest teilhaben könnte? Wie wäre es, auf diese Weise ihr dunkles, trauriges Herz zu füllen mit der Botschaft der Heiligen Nacht: dem Kommen des Erlösers zu jeder Kreatur, auch im einsamsten und dunkelsten Winkel dieser Stadt und dieser Erde.

Und tatsächlich, Klara darf mit all ihren bedürftigen Sinnen an dieser Liturgie teilnehmen. In einer Art „Life-Übertragung“ oder „Streaming“ sieht sie sich mitten unter den Minderbrüdern, nahe beim Grab des geliebten Franziskus, nahe am Geheimnis der Weihnacht. Sie sieht und hört ihre vertrauten Freunde, die alten Kämpfer, aber auch die neuen, jungen Brüder, die sie vermutlich hoffnungsvoll stimmen. Sie hört den gemeinsamen Jubel, sie lauscht den Gesängen und all den guten Worten.

Musik III: Filippo Azzaiolo, Come t‘aggio lasciato, o mia vita

A

Als Klaras Schwestern von der eigenen Feier besorgt zu ihr zurückkommen, erzählt sie ihnen von diesem großen Trost. Sie teilt diese glückselige Erfahrung, strahlt, wie sie das immer tut, wenn sie vom intensiven Gebet zurückkommt. Der Glanz der Weihnacht und vermutlich auch der Glanz dieser liebevollen Aufmerksamkeit Gottes liegen auf ihrem Herzen und auf ihrem Gesicht. Ganz plötzlich war für Klara in ihrem „Heute“ die Gegenwart Gottes zu spüren.

M

Das ist es, was mich daran fasziniert, Gott weicht aus Klaras Heute mit seiner Gegenwart gar nicht aus. Er muss ihre Realität nicht verändern, um da zu sein. Er kommt einfach in ihr trauriges Herz. Das könnte uns ermutigen, auch die eigene Realität wahrzunehmen – und anzunehmen. In ihr zu leben.

A

Genau, die Frage ist doch, wie lerne ich mit meiner eigenen Realität zu leben, damit Gott überhaupt eine Chance hat, mir darin zu begegnen. Er ist ja sicher nicht in einer mystischen Wolke, die irgendwo über uns schwebt, wo es keine Schwere gibt und wo wir nur ganz selten mal hinkommen. Genau das zeigt Weihnachten doch eigentlich, dass er weiß wie sich Erde anfühlt und Elend – so wie in Bethlehem – oder wie bei Klara im Schlafsaal von San Damiano Traurigkeit und Alleinsein.

M

Das gefällt mir. Mit Gott im Heute ist gar nicht so sehr gemeint, Gott in unserer Zeit, sondern Gott in meiner Situation. Egal wie dunkel oder hell sie ist. Entscheidend ist, es ist meine Situation und Gott hat ein Interesse daran. Und darüber, zumindest zeigt uns das Klaras Geschichte, kann man wirklich staunen. Weil Gott liebevoll schaut, was uns fehlt. Was wir dringend brauchen. Er kontrolliert uns nicht, er korrigiert uns nicht, er ist nicht einfach der erhobene Zeigefinder, du solltest dies oder das, er ist der, der die Arme weit ausbreitet und eine Idee für uns hat. Wie dieses einfallsreiche Streaming vor 770 Jahren, das Klara so viel Freude gemacht hat.

Musik IV: Heinrich Ignaz Franz von Biber, L‘Aria

A

Mich beschäftigt gerade noch, dass wir unsere Wünsche manchmal gar nicht richtig kennen. Aber selbst wenn wir sie nicht richtig kennen, Gott kennt sie und da setzt sein Trost an. Der sieht manchmal ganz anders aus als das, worum wir gebeten haben. Und es ist auf einmal genau der Trost, den wir brauchen. Klara zum Beispiel dachte ja, die Schwestern müssten bei ihr bleiben. Und dann fällt Gott noch etwas ganz anderes, viel Größeres und Schöneres ein.

M

Mit der Weihnachtsgeschichte ist es doch eigentlich ähnlich. Die Sehnsucht des Volkes war ein weltlicher Retter der Welt, vielleicht ein Krieger und Machtmensch. Und dann kommt da ein winziges Kindlein. Wer käme denn auf diese verrückte Idee die Welt durch ein Neugeborenes zu retten. Es gibt doch nichts Schutzbedürftigeres, Zerbrechlicheres als einen Säugling. Gott stellt die Vorstellungen und Erwartungen der Menschen quasi auf den Kopf.

A

Und genau das scheint mir der Weg zu sein, wie Gott zu uns kommt. Da kann man tatsächlich nur staunen. Gott schafft nicht irgendetwas, sondern er schenkt sich selber. Und das ist zart, zerbrechlich, verwundbar. Das heißt für mich, das Geheimnis „Gott bei uns im Heute“ wird uns nicht überwältigen, sondern sich vorsichtig in unsere Hände legen.

M

Oder sich einfallsreich vor unsere inneren Augen stellen, wie bei Klara. Das ist die Botschaft von Weihnachten, die ich bei Klara und bei uns heute entdecke: Gott ist mir viel näher als ich denken kann. Er ist weder im Raum noch in der Zeit fern. Gottes Art ist es, nah zu sein. Und er hat viel mehr Möglichkeiten, als mir je einfallen würden.

A

Und anders formuliert: Ich bin viel mehr geliebt, als ich weiß – und das nicht nur an Weihnachten. Diese Erfahrung wünschen wir, Ihnen allen, die Sie uns zugehört haben,

Schwester Ancilla Röttger

M

und Martina Kreidler-Kos.

Musik V: Estévao de Brito, Lucis Creator Optime

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