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Kirche in WDR 5 | 19.03.2014 | 06:55 Uhr
Lass dir Zeit!
O weh, liebe Lina,
da hast Du aber ein richtig blödes Wochenende im Studentenwohnheim erwischt. Alle Deine Bekannten sind zu Hause und Du lernst, weil Du ein paar Tage krank warst und den Stoff nachholen willst.
Irgendwann geht nichts mehr in den Kopf hinein. Du machst frei. Aber: Keiner ist da, mit dem Du was Schönes machen könntest. Dann musst Du Dir auch noch von einem älteren Studenten den blöden Spruch anhören, dass Du mal ein bisschen lockerer sein könntest: "Die paar Lektionen" würden sich doch "von alleine lernen".
Ich finde, Du hast es richtig gemacht. Raus an die frische Luft. Einen Spaziergang machen. Und dann: Schöne Musik hören. Nur dass Dir dann die Tränen kamen bei dem Lied "Hey, kleiner Fratz auf dem Kinderrad" von Hermann van Veen. Das Lied haben wir früher oft zusammen gehört. Es war eins meiner Lieblingslieder und dir hat es auch gleich gut gefallen.
Doch jetzt hat es dich traurig gemacht. Das tut mir leid. Es ist gar nicht so einfach, wenn man erwachsen werden will und auf eigenen Füßen stehen soll. Das kann einem schon die Tränen in die Augen treiben, wenn man knallhart feststellen muss: Meine Kindheit ist vorbei.
Und doch, wie gesagt, nicht ganz. Denn, der kleine Fratz, der einmal mit dem Papa auf dem Fahrrad unterwegs gewesen ist, ist jetzt ein großer Fratz, der im Vertrauen auf Gott seine Ausflüge in der Welt der Erwachsenen macht.
Aber, liebe Lina, irgendwie gehören wohl Tränen und Einsamkeit mit dazu, wenn man in der neuen Umgebung seinen eigenen Weg finden und gehen will. Der Stress bringt die Seele zum Schwitzen.
Ich kenne das auch. Schön, dass Du Deine traurige Stimmung Deinem Tagebuch anvertrauen konntest. Mir hat das auch immer geholfen, wenn ich meine melancholischen Gedanken aufgeschrieben habe. Muss ja keiner lesen. Außer Gott. Und schön, dass Du Dich bei mir gemeldet hast. Vielleicht liest Du meine Email ja noch vorm Schlafengehen.
Es grüßt Dich herzlich
Papa
Sprecherin:
Lieber Papa,
schön, dass Du mir gestern Abend noch geschrieben hast. Ich habe es aber erst heute nach den Vorlesungen gelesen. Irgendwie bin ich immer noch ein bisschen neben der Spur. Ich glaube, dass wird auch noch eine Zeit lang dauern, bis ich wieder so richtig Gas geben kann.
Es tut mir aber gut, dass ich weiß, dass Mama und Du an mich denken.
Lina
Autor: Liebe Lina,
da hast Du absolut Recht: Das dauert, wenn man mit Unsicherheit und Frust fertig werden will. Gerade, wenn man auf sein Herz achtet. Dann kann man die dunklen Gedanken eben nicht einfach so überspringen oder verdrängen.
Mir hat es dann immer gut getan, dass ich mich darauf besonnen habe, dass Gott mich lieb hat
- so, wie ich bin, und auch so, wie ich gerade dran bin. Gott weiß schon jetzt den richtigen Weg für mich. Sozusagen an Gottes freundlichem Herzen kann mein trauriges Herz ausheilen. Und das dauert so lange, wie es halt dauert.
Mama und Papa grüßen Dich ganz herzlich
Liebe Hörerin, lieber Hörer, vielleicht haben Sie sich in diesem Gespräch zwischen Vater und Tochter selbst wieder gefunden. Und wenn es heute mal nicht so glatt läuft: Ich wünsche Ihnen viel Geduld und hauen Sie sich selbst nicht in die Pfanne!
Ihr Pastor Reinhard Ellsel aus Lübbecke