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Das Geistliche Wort | 15.01.2023 | 08:40 Uhr

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Ehrenamt

Autor:Vor gut sechs Wochen ist es trubelig in meiner Gemeinde im Kölner Süden. Es ist Ende November. Im Konfirmandenraum binden Frauen aus dem Kreativkreis Kränze für den Adventsbasar. Im Gemeindesaal trifft sich die Kirchenmusikerin mit dem Chor zur Probe für den nächsten Gottesdienst. Ein Mitglied der Gemeindeleitung telefoniert schon den ganzen Nachmittag, um die Gruppen für die Seniorenadventsfeier zu koordinieren. Im Gemeindebüro sind am Vormittag 13 große Kartons mit dem neuen Gemeindemagazin angekommen. Die Gemeindesekretärin sortiert dutzende kleinere und größere Stapel und bereitet alles für die Austeiler vor. Irgendwie passiert an diesem Tag alles gleichzeitig.


Musik 1: Let’s act together

Titel: Let‘s act together; Text/Komposition: Wilbert Harrison; Interpret: Nils Landgren; Album: 3 Generations; Label: ACT Music + Vision GmbH & Ko KG;
LC: 07644


Autor:In meiner Gemeinde arbeiten, mich eingeschlossen, fünf hauptberufliche Mitarbeitende. Die meisten in Teilzeit. Über 100 Männer und Frauen engagieren sich ehrenamtlich. In der Gemeindeleitung, im Chor, in der Kinder- und Jugendarbeit, bei Projekten, der Arbeit mit Senioren oder als Austeilerin des Gemeindemagazins. Manche sind mehrmals die Woche hier. Andere tauchen nur ein paarmal im Jahr auf, immer da wo gerade Hilfe nötig ist. Nicht nur an dem einen Tag im November, sondern jeden Tag. Aber an diesem Tag im November wird mit einmal mehr klar, dass die ganze Arbeit, die Projekte, Konzerte, Gottesdienste, Freizeiten und so vieles mehr ohne alle diese Menschen nicht möglich wäre. Ohne dieses Engagement würde alles zusammenbrechen. Nicht nur in meiner Kirchengemeinde.

40% der Deutschen über 14 Jahren engagieren sich ehrenamtlich. Das sind fast 40 Millionen Menschen. Der Anteil ist in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen. Ein Engagement im Sport, in der Kultur oder im sozialen Bereich ist an beliebtesten. Doch schon auf Platz vier steht die Kirche und die Religion. Kapp 7% engagieren sich hier. Es folgen Freizeit, Umwelt, Politik, Bildung, Rettungsdienste, Gesundheit und Justiz. Das ehrenamtliche Engagement ist so vielfältig wie die, die sich engagieren.


Musik 1: Let’s act together


Autor:Zurück in meine Gemeinde im Kölner Süden. Ich bin mittendrin im Trubel und schaue, wo ich mich nützlich machen kann. Doch irgendwie läuft es einfach; ganz ohne, dass ich gebraucht werde oder mich einmischen muss. Vieles ist eingespielt, die Aufgaben klar verteilt und jede und jeder werkelt an der eigenen Baustelle.

Ein paar Tage später habe ich mein Mikrofon eingepackt. Nach der Sitzung der Gemeindeleitung und bei einer großen Sitzung aller Gemeindeleitungen im Kölner Süden frage ich ein paar der Ehrenamtlichen, warum sie sich in Kirche engagieren.

O-Ton Collage 1:

„Da heutzutage eigentlich nichts von selber geschieht, sondern du brauchst immer Leute, die sich verantwortlich fühlen.“

„Allgemein bin ich persönlich der Ansicht, dass wenn man eine gute Gesellschaft haben will, dass man was dafür tun muss und dass (…) das Ehrenamt dafür eine gute Option ist.“

„Ich kenne das nicht anders. Ich habe das von Jugend auf immer schon so gemacht und es gehört zu meinem Lebensstil.“

„Ursprünglich hat das angefangen, weil ich tatsächlich einfach gefragt wurde und ich dann am Ehrenamt sehr viel Spaß gefunden habe, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, anderen Menschen auch zu helfen.“


Autor:Ich bin überrascht wie vielfältig und differenziert die Antworten sind. Aber eins wird immer wieder genannt, das Gefühl gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun.


„Menschliche Nähe und ich möchte gerne etwas davon zurückgeben an die Gemeinde.“

„Ich glaube, dass ohne Ehrenamt die Gesellschaft nicht funktioniert.“

„Weil ich es wichtig finde, dass man im Leben mehr tut, als das was man tun muss.“

„Ich mag die geistlich orientierte ehrenamtliche Arbeit. Das ist für mich wichtig, weil da besondere Kräfte freigesetzt werden, die ich an anderen Stellen so nicht finde.“

„Vor allen Dingen sich in den Bereichen einzubringen, wo man glaubt, dass es den anderen was bringt.“


Musik 3: You Might Need Somebody

Titel: You Might Need Somebody; Text/Komposition:
Nan O'Byrne, Tom Snow;
Interpretin: Shola Ama; Label: Warner Music Group; LC: 14666


Autor:Ohne die vielen Ehrenamtlichen würde wenig funktionieren in meiner Gemeinde, in der Kirche und der Gesellschaft. Für die Gemeinschaft ist es gut, wenn jede und jeder sich einbringt. Dabei ist es wichtig, auf die Gaben und Fähigkeiten jedes einzelnen zu schauen. Denn wenn ich überfordert bin oder keinen Spaß an der Tätigkeit habe, bin ich ganz schnell weg. Dann endet mein Engagement oder ich suche mir etwas Neues.

Jede und jeden nach seinen Gaben wahrzunehmen, das ist keine moderne Erkenntnis. Schon der Apostel Paulus hat die ersten christlichen Gemeinden immer wieder daran erinnern. So schreibt er in einem Brief an die Gemeinde in Rom:


Sprecherin:
Wir haben verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade geschenkt hat: Wenn jemand die Gabe hat, als Prophet zu reden, soll er das in Übereinstimmung mit dem Glauben tun. Wenn jemand die Gabe hat, Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen, soll er ihr diesen Dienst tun. Wenn jemand die Gabe hat zu lehren, soll er als Lehrer wirken. Wenn jemand die Gabe hat zu ermutigen, soll er Mut machen. Wer etwas gibt, soll das ohne Hintergedanken tun. Wer für die Gemeinde sorgt, soll es mit Hingabe tun. Wer sich um die Notleidenden kümmert, soll Freude daran haben. (Römer 12,5-8, Basisbibel)


Autor:So unterschiedlich jede und jeder ist, so unterschiedlich sind unsere Fähigkeiten, die Paulus Gaben nennt. Man könnte auch sagen: Talente. Es bringt ja nichts, wenn der hervorragende Chorsänger im Kreativkreis zum Basteln eingeteilt wird, wenn er handwerklich völlig ungeschickt ist. Oder wenn die unmusikalische Autorin aus der Redaktion des Gemeindemagazins in der Band ein Instrument spielen soll. Am Ende werden so alle unglücklich sein.


Musik 4: Lenny

Titel: Lenny; Komponist: Jan Lundgren; Interpret: Nild Landgren;
Label: ACT Music + Vision GmbH & Ko KG;
LC: 07644


Autor:Ich mag den Gedanken von den unterschiedlichen Gaben bei Paulus. Denn es heißt ja nicht nur, dass sich in einer Kirchengemeinde jede und jeder nach seinen Fähigkeiten einsetzt. Ebenso wichtig scheint mir das klare Bekenntnis dazu, dass jeder Einzelne wichtig ist. Es geht nicht darum, wer viel oder wenig leistet. Auch nicht darum, dass ich gemessen werde an Leistung, Menge oder Wert. Wenn ich auf die Gaben schaue, die jeder und jedem gegeben sind, erkenne ich, dass jeder Einzelne wichtig ist. Und das hat auch Paulus schon erkannt.


Sprecherin:
Überschätzt euch nicht und traut euch nicht mehr zu, als angemessen ist. Strebt lieber nach nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar jeder so, wie Gott es für ihn bestimmt hat – und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht. Es ist wie bei unserem Körper: Der eine Leib besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht alle Teile haben dieselbe Aufgabe. Genauso bilden wir vielen Menschen, die zu Christus gehören, miteinander einen Leib. Aber einzeln betrachtet sind wir wie unterschiedliche und doch zusammengehörende Körperteile. (Römer 12,3-5, Basisbibel)


Musik 4: Lenny


Autor:Viele Körperteile, die einen Körper ausmachen. Viele Individuen, die eine Gemeinschaft, eine Gemeinde, eine Gesellschaft entstehen lassen. Ein wirklich schöner Gedanke. Eine Gemeinschaft mit Platz für die Gaben und Talente jeder und jedes Einzelnen.

Ein Satz fällt mir bei Paulus besonders ins Auge. Er schreibt von „nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar jeder so, wie Gott es für ihn bestimmt hat – und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht.“ Gott bestimmt und der Glaube gibt den Maßstab. Welche Rolle aber spielt der Glaube bei den Ehrenamtlichen?


O-Ton Collage 2:

„Ohne Glaube, in welcher Form auch immer, finde ich das schwierig.“

„Der Glaube spielt eine Rolle, ja.“

„Oh ja! Ganz intensiv sogar. Ich bin von Kind an gläubig.“

„Der ist gewachsen.“

„Weil ich nicht in der Gefahr stehe, ausgelaugt zu werden.“

„Mit ist der Glaube wichtig und ich brauche hier die Gemeinde als Fundament.“

„Das ist so meine Basis, meine Wurzeln.“

„Das ich mit beiden Beinen auf dem Fundament des Glaubens stehe.“

„Ganz viel, weil Glauben und Religion und Gott für mich eine feste Größe ist, die ich gar nicht in Frage stelle, sondern wo ich mir sicher bin, das die Menschen im Leben und darüber hinaus gut tut.“


Autor:Im ersten Moment mag man verwundert sein, wie groß die Rolle des Glaubens ist. Aber ich habe ja auch Menschen gefragt, die sich in Kirche und Gemeinde engagieren. Vermutlich würden die Antworten im Sportverein oder in der politischen Arbeit anders ausfallen. Aber wer weiß?! Immerhin engagieren sich die aller meisten Ehrenamtlich nicht nur an einer Stelle. Viele der Engagierten aus meiner Gemeinde sind auch in Vereinen, Parteien oder anderen Gruppen ehrenamtlich aktiv. Und sicher spielt dann auch hier der Glaube eine Rolle oder ist Motivation und Fundament des Engagements.


Musik 5: And so It Goes

Titel: And so It Goes; Komponist: Billy Joel; Interpret: Nils Landgren; Album: 3 Generations; Label: ACT Music + Vision GmbH & Ko KG;
LC: 07644


Autor:
Im Ehrenamt herrscht bei weitem nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Es gibt Konflikte, Rollenunklarheiten, Überforderung und Stress. So wie eigentlich überall in unserem Zusammenleben. Und dann ist da noch unser typisch deutsches Problem: die Bürokratie. Ob es wirklich nur ein deutsches Problem ist, glaube ich nicht. Aber ich nehme es doch immer wieder so wahr. Es ist wenig verwunderlich, dass es gerade den Gemeindeleitungen ähnlich geht.


O-Ton Collage 4:

„Manchmal ist es mir zu viel Formalismus. Viele formelle Dinge, die manchmal eher hinderlich sind, als eine Sache positiv voran zu bringen.“

„Naja! Das ist ja immer so, dass die strukturellen Dinge schwierig sind. Alles wo man sich an Gesetze halten muss, an Regeln, an Kirchenordnung usw. Das erschwert es schon mal, aber ist erträglich.“


Autor:Auf manches können die Ehrenamtlichen tatsächlich verzichten.


„Auf zu lange Sitzungen.“

„Ach! Auf Klein-Klein in der Verwaltung.“

„Auf lange Diskussionen.“

„Zum Teil sehr starke Anfeindungen.“

„Große Auseinandersetzungen und Unehrlichkeit.“

„Zu wenig Wertschätzung für die viele Zeit die man inventiert.“


Autor:Und trotzdem engagieren sie sich alle weiter. Denn:
Wir haben verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade geschenkt hat.“

Allerdings: Für ein Ehrenamt erhalte ich keine Bezahlung. Das ist ja schließlich das besondere an einem Ehrenamt. Der Duden definiert: Ehrenamt ist ein „ehrenvolles Amt, das unentgeltlich ausgeübt wird“. Für das Ehrenamt gibt es also kein Geld. Dennoch merke ich, dass ich für mein Engagement etwas zurückbekomme. Keine Euro, aber ich werde in ganz anderen Währungen bezahlt.


O-Ton Collage 3:

„Wertschätzung für das, was man da tut.“

„Wahnsinnig viel Dankbarkeit aus der Gemeinde. Dass die Gemeinde mich wahrnimmt und mir große Dankbarkeit zollt.“

„Viel Freude an Möglichkeit Dinge zu gestalten und durchaus auch positives Feedback für Dinge, die man gemacht hat.“

„Ich will nicht sagen unbedingt der Erfolg. Der Erfolg muss sich nicht zwangsweise einstellen. Aber es muss sich eine Entwicklung einstellen. Und das gibt eine gewisse Genugtuung und davon kann ich zehren.“

„Ich bekomme Lob, Anerkennung.“

„Einfach auch, weil es mich selber befriedigt und ich freue mich, den Leuten etwas geben zu können.“

„Dankbarkeit.“

„Die Währung ist, dass ich mich zu Hause fühle, dass ich hier Heimat gefunden habe.“

„Und ich bekomme sehr viel Zuneigung und Liebe zurück.“

„Es ist die Heimat, die ich in der Gemeinde habe. Es ist das, was ich anderen mitgeben möchte.“

„Die größte Währung für mich ist die, wenn ich merke, mit gelingt es, dass das was ich mit Menschen tuen möchte und was ich ehrenamtlich mache, bei den Menschen ankommt und funktioniert.“

„Auch in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die vermeintlich sehr zerstritten ist, es natürlich guttut, sich mit Leuten zusammenzutun, die ähnlich ticken. Und das einem auch sehr sehr viel geben kann.“

„Im besten Fall Dankbarkeit, Wertschätzung.“


Autor:Das geht runter wie Öl, oder? Wenn Sie sich mit ihren Gaben und Talenten ehrenamtlich engagiert haben, dann haben Sie alle dies oder ähnliches vielleicht auch schon erfahren. Mit geht es jedenfalls so.
Wir haben verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade geschenkt hat.“ Nutzen wir sie, um die Welt jeden Tag ein wenig besser zu machen.


Einen schönen Sonntag
wüscht Ihnen Pfarrer Oliver Mahn aus Köln.


Musik 7: Waiting On the World to Change

Titel: Waiting On the World to Change; Komponist/Interpret: John Mayer; Album: Continuum; Label: Sony Music; LC: 02604




Quellen:

-






Freiwilliges Engagement in Deutschland. Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys (FWS 2019). Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2021.

-






WiReLex. Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet. Artikel „Ehrenamt“. Erstellt Februar 2021. Letzter Aufruf: 17.11.2022.


Redaktion:
Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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