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Das Geistliche Wort | 22.01.2023 | 08:40 Uhr

„Risse im Dunkeln“

Leises Gemurmel. Ein bisschen Geraschel. Um uns herum Zwielicht; vor uns eine hohe, rote Wand. Und erst einmal passiert genau nichts. Bevor das Gemurmel vor lauter Ungeduld aber wieder anschwillt, bewegt sich die rote Wand etwas, ein Riss aus Licht erscheint und ein Mann tritt heraus. Das Spiel beginnt.

Liebe Hörerinnen und Hörer, ich bin mit meiner Familie im Theater. Und wie immer geht es erst los, wenn der Vorhang mittig aufgeht, sich hebt und dem Licht Platz macht, damit die Geschichte überhaupt erst losgehen kann. Dieses Mal ist es Peter und der Wolf. Es ist bunt, es wird getanzt und mit der triumphalen Musik am Ende wird alles gut, bevor der Vorhang nach langem Applaus wieder fällt und wir alle noch einmal kurz im Dunkeln sitzen. Erst als das Licht im Saal wieder angeht, begeben sich alle langsam zu den Türen.

Ohne Licht passiert eben nichts. Das ist nicht nur im Theater so. Ohne Licht gäbe es ja nahezu gar nichts, was unsere Welt so ausmacht. Vor allem gäbe es kein Leben und schon gar nicht diese Vielfalt an Leben, die unsere Welt besiedelt. Neben Wasser ist Licht eben der entscheidende Faktor, dass es Leben überhaupt gibt. Und es scheint immer so, dass sich für jedes Leben das Licht erst in der absoluten Dunkelheit Bahn brechen muss. Eine Pflanze bohrt sich meist durch die Erdoberfläche, um richtig wachsen zu können, ein Ei reißt meist an einer Stelle auf und durch diesen Riss drängt das Licht ins Innere und das Küken nach draußen. Und jeder Mensch muss sich aus dem Dunkel der Gebärmutter ans Licht kämpfen. Leben braucht Licht. Aber dahin muss es erst einmal kommen.

Musik: „Hiraeth“ – 0:00–1:09


Symbio – Rising

Um ans Licht zu kommen, muss jedes Leben erst einmal aus der Dunkelheit treten. Dabei ist bis heute so hundertprozentig gar nicht klar, was das Licht eigentlich genau ist. Oder besser: Was es alles ist oder sein kann. Zumindest ist es mit Worten sehr schwer zu erklären. Als Nichtphysiker gesprochen: Das Licht verhält sich einerseits wie ein Strom unzähliger Teilchen, andererseits verhält es sich wie eine Welle – und ist doch weder dieser Teilchenstrom noch diese Welle. Es verhält sich halt nur so. Und bleibt dabei weiterhin recht geheimnisvoll. Entscheidend ist aber: Das Licht sendet allen Lebewesen auf irgendeine dieser Weisen Energie, lässt sie wachsen, lässt sie sich bewegen, ernähren, lässt sie sogar selber leuchten, in dem sie das Licht von ihrer Oberfläche reflektieren, es streuen oder brechen. Dadurch werden die Dinge erst sichtbar. Das Licht lässt uns also in dieser Welt leben und diese Welt auch erst erkennen. Ohne Licht wäre daher alles nichts. Kein Wunder also, dass es nicht nur früher als göttliche Kraft verehrt wurde. Lange galt die erste Urheberin unseres Lichts – die Sonne – als Göttin. Der berühmte Pharao Echnaton hat vor weit über dreitausend Jahren dazu aufgerufen nur noch eine Gottheit anzurufen – Aton – der wirklich nur die Sonne und nichts als die Sonne sei. Aton, also die Sonne allein erschaffe Licht und Wärme und durch ihre Bewegung sogar die Zeit. Aton, also die Sonne, bringe somit die ganze sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit hervor. Und damit wurden andere Gottheiten schlicht überflüssig. Spätestens bei Echnaton war das Licht in der Welt der Religionen ganz oben angekommen.

In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das ein wenig anders. Da steht Gott am Anfang, jedoch ist das Licht seine erste Schöpfung. Das Licht ist der erste Akt der ganzen Erschaffung der Welt und somit ihr Grundbaustein, aber es ist eben nicht Gott selbst. Da macht die Bibel dann doch einen Unterschied: erst Gott, dann Licht.

Wobei das Licht durch die ganze Bibel hindurch eines der wichtigsten Zeichen für Gottes Nähe bleibt: So ist das gebrochene Licht im Regenbogen das Zeichen der Verbundenheit zwischen Gott und Menschen, das Feuer im Dornbusch ein Zeichen für seine Sichtbarkeit genauso wie die Feuersäule für das ganze Volk Israel beim Auszug aus Ägypten. Und meist kommt die Hoffnung in Form eines Lichts daher: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht …“[i]

Musik: „Rising“ – 0:30–1:31


Symbio – Rising

Theologisch wird in der Bibel das Licht immer wieder eingespannt, ist Zeichen Gottes, Zeichen der Hoffnung, bis Jesus schließlich im Johannesevangelium folgenden Satz sagt: „Ich bin das Licht der Welt!“[ii]

Da gipfelt es also darin, dass Jesus für Christinnen und Christen in etwa so lebensspendend ist wie das Licht. Sicherlich ist da die Göttlichkeit Jesu mit gemeint, aber schnell rückt auch noch eine andere Eigenschaft des Lichts nach vorne. Jesus überstrahlt nicht nur alles und schenkt Leben, er ist auch Lichtquelle, von der aus das Licht weitergegeben werden kann. Denn im Matthäusevangelium heißt es dann: „Ihr seid das Licht der Welt!“[iii] Und das lässt sich zusammen dann schon so verstehen, dass man das Licht von Jesus aus weitergeben kann – physikalisch gesprochen: streuen oder reflektieren.

Dass Licht etwas Göttliches hat – das zu erkennen, dafür ist jetzt im Januar noch einmal gerade die richtige Zeit. Ich für meinen Teil schaue jeden Morgen beim Gang zur Arbeit darauf, wie es Tag für ein Tag ein klein wenig früher hell wird. Und jeden Abend hoffe ich auf etwas länger Licht, bevor es dann gefühlt doch viel zu früh wieder dunkel wird. Die Hoffnung auf mehr Licht paart sich hier mit meiner Hoffnung auf wieder mehr Leben, freieres Leben, Wärme und eine sich hoffentlich bald wieder entfaltende Natur um uns herum. Licht ist eben Leben!

Aber das sollte dann eben nicht nur biologisch-physikalisch, sondern auch auf einer sozialen Ebene funktionieren. So, wie sich Licht und Leben in der Natur immer wieder neu entfalten, Bahn brechen, Risse finden, so soll es auch auf menschlicher Ebene sein, selbst wenn es finster ist. Wie lässt sich in verfahrenen Situationen, traurigen Momenten, abgebrochenen Beziehungen noch Licht finden? Der große und selbst ein wenig düstere Songwriter Leonard Cohen hat dies in einige berühmten Zeilen beschrieben: „There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in.“[iv] Auf Deutsch: In allem ist irgendwo ein Riss. So gelangt das Licht hinein. Selbst im Gebrochenen, in dem, was nicht mehr intakt ist, findet sich immer noch ein Spalt, durch den Licht eindringen kann. Es liegt an mir – an jedem Menschen – dieses Licht im eigenen Dunkel zu finden. Es liegt aber auch an mir, dieses Licht zu sein, das durch diese Risse leuchtet. Hier trifft sich Leonard Cohen mit Jesus: „Ihr seid das Licht der Welt!“

Musik: „The Precious Jewel“ – 0:30–1:30


Charlie Haden / Pat Metheny – Under Missouri Sky

„There is a crack in every thing. That’s how the light gets in”: Wie Menschen Licht sein können? Wenn die Bibel von Jesus behauptet, dass er das Licht der Welt sei, dann lässt sich Licht-Sein ja wohl auch von ihm lernen. Und wenn die Evangelien richtig berichten, dann war Jesus groß darin, Licht zu sein, indem er Risse in der Dunkelheit produzierte. So wie am Anfang Gott zwischen Licht und Finsternis scheidet, so reißt Jesus die Dunkelheit von Menschen auf. Das findet sich da, wo Jesus genau zu den Leuten geht, die einsam, krank, arm sind oder von anderen gemieden werden, weil sie ihr Geld mit anstößigen Dingen verdienen oder andere schon ausgebeutet haben, wie es damals Ausgestoßene, Prostituierte, Zöllner, Aussätzige waren. Jesus vertreibt Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit für Kranke, Alleinstehende, Hoffnungslose, Orientierungslose. Er tut das, was in seinen Möglichkeiten steht, um Dunkelheit zu vertreiben, ohne wiederum selbst Dunkelheiten zu schaffen. So verzichtet er in seinem Leben darauf, andere durch Gewalt zu überzeugen, indem er lieber auch die andere Wange hinhält, am Ende sogar seinen eigenen Tod hinnimmt. Und selbst in seinem Tod – so berichtet die Bibel – schafft Jesus noch Licht, denn „da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile“[v]. Selbst im Tod noch reißt Jesus das Verdunkelnde auf.

Jesu Art, Licht zu verbreiten, ist Inspiration für einen ganz anderen Blick auf die Menschheitsgeschichte. Jesu Art, jedem Menschen erst einmal die Hand entgegen zu strecken, Vertrauen zu schenken, findet sich auch im aufsehenerregenden Entwurf von Rutger Bregman: „Im Grunde gut“[vi] heißt das Buch. Darin liest er die Menschheitsgeschichte noch einmal neu und ganz anders. Der niederländische Autor und Aktivist kommt zu dem Schluss, dass es eigentlich in der Natur des Menschen liegt, gut sein zu wollen und gemocht zu werden. Natürlich übersieht er auch nicht die dunklen Kapitel in der Menschheitsgeschichte, liest sie aber ganz anders, sodass am Ende eher die bösen Verirrungen des Menschen die Ausnahme bilden als sein Streben nach dem Guten. Und Bregman kommt da bei auch auf Jesus zu sprechen. Der habe ganz in dem Sinne gehandelt und sei da Vorbild gewesen, indem er immer die Beziehung gesucht und auf eigenes Machtstreben verzichtet habe. Nicht zurückzuschlagen, sondern lieber die andere Seite hinzuhalten, sei da eine ganz konsequente Herangehensweise an – auch körperliche – Konflikte gewesen.

Musik: Simple Song – 0:00–1:00


Nils Landgren / Esbjörn Svensson – Layers of Light

In seinem Buch „Im Grunde gut“ zieht Rutger Bregman eigene Schlüsse aus seiner Sicht auf den Menschen: Im Zweifelsfall vom Guten auszugehen steht da an erster Stelle. Ich höre zwar in den Nachrichten und durch persönliche Erzählungen viel über das Schlechte in der Welt. Aber: Bei Licht betrachtet kommt das Gute weitaus häufiger vor. Deshalb sollte ich auch immer vom Guten ausgehen und das Gute in den anderen sehen. Die logische Konsequenz ist es dann eben auch, auf andere zuzugehen. Ab und zu werde ich dann mal eine Abfuhr erhalten oder betrogen werden, weitaus häufiger aber werde ich Dankbarkeit ernten, die eigene und die Welt der anderen etwas heller machen. Bregman zitiert auch die Bibel mit ihrem „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“[vii], allerdings ein bisschen gegen den landläufig universalen Anspruch, eben alle Menschen lieben zu müssen. Sein Vorschlag ist, dass ich doch erst einmal mit denen anfange, die mir wirklich am Nächsten sind, selbst wenn die mir sehr ähnlich sind, meine Ansichten teilen, um die Ecke wohnen. Dann kann ich mir aber auch ins Bewusstsein rufen, dass Menschen, die ganz anders als ich sind, eben auch von anderen Menschen geliebt werden, die ihnen wiederum nahe sind – und mir somit wiederum gar nicht so unähnlich sind, auch wenn sie andere Ansichten, anderes Aussehen, andere Umgangsformen haben. „Liebe deine Nächsten“ wird dann zu einem ersten Riss der Liebe, der Licht hereinlässt und sich erweitern lässt, niemanden grundsätzlich ausschließen muss. Letztendlich kann eine solche Haltung darin münden, den Vorhang weit aufzureißen, dem größten Feind die Hand hinzustrecken und sich und den anderen quasi mit Licht zu fluten.

Bregman fordert mich auf, endlich realistisch zu sein, zu akzeptieren, dass der Mensch grundsätzlich gut ist und mich dementsprechend zu outen, mich also für das Gute nicht zu schämen. Freundlichkeit sei eben ungemein ansteckend. Und Licht will reflektiert und gestreut werden, um überall hin zu gelangen.

Jesus war Mensch. Und er war Realist. Er wusste, dass Menschen eigentlich und unbedingt das Gute wollen, das Gute brauchen. Deshalb hat er Menschen angesprochen, ihnen wahrscheinlich zugelächelt, Unerwartetes getan, niemanden ausgeschlossen, die andere Wange hingehalten, Gewalt unterbrochen, Einsamkeiten vertrieben, beim Leben geholfen. Er hat die Vorhänge zerrissen, die Menschen, ihre Beziehungen und Lebensumstände ins Dunkel hüllen. Er hat Licht geschenkt und war Licht. Und er hat gewollt, dass ich sein Licht aufnehme und selber Licht werde, mich nicht für naiv halte, wenn ich Gutes tue – sondern einfach realistisch bin.

Musik: „You and me / Together we fly“ – 0:00–...


Symbio – Rising

Mehr Realismus und mehr Licht wünscht Ihnen Christoph Buysch und er grüßt Sie an diesem Sonntagmorgen aus Krefeld.


[i]Jesaja 9,1, zitiert nach: Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2017.

[ii]Johannes 8,12, zitiert nach: Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2017.

[iii]Matthäus 5,14, zitiert nach: Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2017.

[iv]Leonard Cohen, Anthem, 5. Song des Tonträgers „The Future“ von 1992.

[v]Matthäus 15,38, zitiert nach: Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2017.

[vi]Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Hamburg 22020.

[vii]Matthäus 22,39, zitiert nach: Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 2017.

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