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Das Geistliche Wort | 12.03.2023 | 08:40 Uhr

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Judas

Autor: Kennen Sie Judas? Den aus der Bibel? Bestimmt, denn Judas ist der Inbegriff des Verräters. Da wechselt ein Fußball-Idol zu einem gegnerischen Verein, und wütende Fans schreien ihm „Judas“ hinterher. Oder ein Parlaments-Abgeordneter stimmt gegen seine eigene Fraktion und wird dafür empört als Judas beschimpft. Wenn dann noch herauskommt, dass er dafür einen „Judaslohn“ in Form von Geld oder Pöstchen erhalten hat, sind ihm Hass und Verachtung endgültig sicher.


Ich selbst bin in diesem Sinne vielleicht noch nie zum Judas geworden. Aber bestimmt habe ich schon mal jemanden verletzt oder enttäuscht. Ich tue nicht immer das Richtige. Auch ich treffe manchmal fragwürdige Entscheidungen. Unter Druck, aus Ärger oder weil ich mich irre. Dann bin ich darauf angewiesen, dass andere mir verzeihen. Wie gehe ich damit um?


Der Judas aus der Bibel mit dem Beinamen Ischariot war einer der zwölf Jünger Jesu. Zum Passahfest geht Jesus mit ihnen und vielen weiteren Anhängern nach Jerusalem. Bei seiner Ankunft bereitet ihm eine große Menschenmenge einen begeisterten Empfang. Kurz darauf legt er sich mit den Händlern und Geldwechslern an, die vor dem Tempel ihre Geschäfte machen. Wenige hundert Meter entfernt tagt unter dem Vorsitz des Hohenpriesters Kaiphas der Hohe Rat, das höchste jüdische Gremium unter der römischen Oberherrschaft. Kaiphas will Jesus verhaften und hinrichten lassen. Aber vor den Augen der Menschenmenge wagt er es nicht, weil er dann einen Aufstand befürchtet.


Da kommt ihm der Verräter Judas wie gerufen: Er zeigt den Tempelwachen, wo sie Jesus bei Nacht und Nebel abseits der Menschenmassen finden können. Sie verhaften ihn. Der Hohe Rat macht ihm den Prozess, verurteilt ihn zum Tode und drängt den römischen Statthalter Pilatus, das Urteil durch Kreuzigung zu vollstrecken. So jedenfalls berichten es die Evangelien im Neuen Testament.


Musik: Silent World (feat. Mitchel Forman)
Komponist: Wolfgang Haffner; Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Silent World, Track 2; Label: ACT Music+Vision; LC 07644


Autor: Eine besonders verhängnisvolle Bedeutung hat der Judas-Vorwurf jahrhundertelang für den Hass und die Hetze gegen Juden gehabt: Da hat man den Verräter Judas zum Juden schlechthin erklärt und damit das ganze Judentum als bösartig, heimtückisch und niederträchtig diffamiert. Das hat schlimme, sogar mörderische Folgen gehabt. Umso mehr lohnt es sich, genauer hinzusehen.


Warum hat Judas Jesus verraten? Das Markus-Evangelium, das älteste der vier Evangelien im Neuen Testament, nennt kein Motiv. Es berichtet nur kurz und knapp:


Sprecher: „Judas Ischariot ging zu den Priestern, um Jesus zu verraten. Als sie das hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld zu geben.“

(Markus 14,10-11a)


Autor: Das Geld ist nicht der Grund für seine Tat: den Entschluss, Jesus zu verraten, hat er ja schon vorher gefasst. Er fordert auch kein Geld - der Hohe Rat sagt es ihm von sich aus zu. Erst Matthäus, der sein Evangelium zehn bis zwanzig Jahre später geschrieben hat, macht das Geld zum Tatmotiv und nennt auch eine Summe:


Sprecher: „Judas Ischariot ging zu den Priestern und fragte sie: Was wollt Ihr mir geben? Ich will ihn Euch verraten. Da boten sie ihm dreißig Silbermünzen.“

(Matthäus 26,14-15)


Autor: Im Lukas- und im Johannes-Evangelium heißt es, der Satan sei in Judas gefahren. Im Johannes-Evangelium ist er der Kassenwart der Jesus-Bewegung und hat dieses Amt die ganze Zeit über dazu missbraucht, sich persönlich zu bereichern. Judas, das Schwein, der Abschaum, der skrupellose Satan: für die meisten frühen Christen war klar: hinter so einer abscheulichen Tat können nur die niederträchtigsten Beweggründe stecken.


Im Matthäus-Evangelium steht dann allerdings auch, dass Judas seinen Verrat sehr schnell bitter bereut hat:


Sprecher: „Als Judas sah, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde, reute es ihn; er brachte den Priestern und Ältesten die dreißig Silbermünzen zurück und sagte: ‚Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut vergossen habe.‘ Sie aber sagten: ‚Was geht uns das an? Das ist Deine Angelegenheit!‘ Da warf er die dreißig Silbermünzen in den Tempel, lief fort und erhängte sich.“

(Matthäus 27,3-5)


Autor: Woher diese plötzliche Reue? Dazu mit so drastischen Konsequenzen? Das Todesurteil hat er doch selbst gewollt oder billigend in Kauf genommen. Eiskalt und skrupellos, für schnödes Geld. Oder vielleicht doch nicht? „Als er sah, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde, reute es ihn:“ das klingt irgendwie anders. So, als hätte er den Tod Jesu gar nicht gewollt. In der Tat: eine so abgrundtiefe Reue und Verzweiflung bis dahin, dass er sich das Leben nimmt, wird ja auch nur verständlich, wenn alles ganz anders gekommen ist, als Judas es gewollt hatte.


Musik: La Casa

Komponist: Wolfgang Haffner; Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Silent World, Track 3; Label: ACT Music+Vision; LC 07644


Autor: Was aber, wenn nicht den Tod Jesu, hätte Judas mit seinem Verrat bezwecken wollen? Man hat vermutet, er sei ein Zelot gewesen. Die Zeloten waren eine jüdische Partisanenbewegung, die mit Anschlägen und Überfällen einen Untergrundkrieg gegen die römische Besatzungsmacht geführt hat. Solche Erwartungen sind auch an Jesus herangetragen worden. Den Messias, den von den Propheten verheißenen Erlöser, haben sich viele als einen siegreichen Befreiungskrieger vorgestellt. Jesus aber hat Gewalt abgelehnt und auch nie Hass gegen Rom gepredigt. Judas, so lautet die Vermutung, will sich damit nicht abfinden. Er will ihn mit seinem Verrat in die Enge treiben und ihn zwingen, zum Aufstand aufzurufen. Als aber nichts dergleichen geschieht, sondern Jesus zum Tode verurteilt wird, muss Judas erkennen, dass er sich verkalkuliert hat und grausam gescheitert ist.


Judas hat, wenn es so war, nicht verstanden - oder auch nicht verstehen wollen - dass das, was Jesus verkündet und verkörpert hat, niemals erzwungen werden kann. Nun bin ich Realist genug, zu wissen, dass es in dieser Welt nicht immer ohne Druck und Zwangsmittel geht. So kann kein Staat auf Polizei und Strafgesetzgebung verzichten. Auch in meinem eigenen Leben lässt sich nicht immer alles mit Einsicht und gutem Willen regeln. Ich kann nicht immer alles hinnehmen. Mancher Kompromiss wäre einfach nur faul. Es gibt Situationen, in denen ich klare Kante zeigen, mich wehren oder auch andere im Kampf um ihr Recht unterstützen muss.


Aber soweit es möglich ist, versuche ich, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten nicht zu Machtkämpfen geraten zu lassen. Denn die fordern, selbst wenn ich mich durchsetze, ihren Preis. Manchmal einen sehr hohen. Vielleicht stehe ich am Ende als Sieger vor einem Scherbenhaufen und frage mich: „War es das wert?“


Nichts erzwingen kann ich vor allem da, wo es um menschliche Beziehungen geht. Die Liebe eines Menschen kann ich nicht erzwingen. Wenn ich ihn mit Druck an mich zu binden versuche, treibe ich ihn erst recht von mir fort. Auch Überzeugungen kann ich nicht erzwingen, höchstens äußerliche Anpassung. Ich kann auch niemanden unter Druck zur Einsicht bringen.


Jesus hat das Vertrauen der Menschen gesucht. Wo sie sich ihm verschlossen haben, konnte er nichts ausrichten, wie die Evangelien ausdrücklich vermerken. Zugang zu einem Menschen finden und ihn für mich gewinnen kann auch ich nur, wenn ich ihn nicht beherrschen und zu nichts zwingen will. Nur wenn ich ihn bejahe, wie er ist, und nicht, wie ich ihn gern hätte, kann ich bei ihm etwas bewirken. Das heißt aber auch: meinerseits offen dafür zu sein, mir dabei etwas sagen und meine Sichtweise verändern zu lassen.


Musik: Rise and Fall

Komponist: Wolfgang Haffner; Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Silent World, Track 8; Label: ACT Music+Vision; LC 07644


Autor: Vielleicht war Judas aber gar kein religiös-politischer Fanatiker, sondern voller Angst, dass alles ein böses Ende nehmen könnte. Jesus hat in kurzer Zeit eine Massenbewegung entfacht. Er hat zwar nie zum Kampf gegen Rom aufgerufen. Aber die Römer haben auf jede öffentliche Unruhe rigoros und mit brutaler Gewalt reagiert. Das Passahfest ist nun ein besonders brisantes Datum, denn es erinnert an die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. Da waren die jüdischen Freiheitshoffnungen immer schon besonders lebendig. Die Römer haben ihre Militärpräsenz in Jerusalem verstärkt. Der Hohe Rat befürchtet, das Aufsehen, das Jesus erregt, könnte sie zu einem gewaltsamen Eingreifen provozieren. So steht es im Johannes-Evangelium:


Sprecher: „Sie sagten: Was sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Wunder. Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.“

(Johannes 11,47b-48)


Autor: Hatte auch Judas Angst vor den Römern? War es das, was er mit dem Hohen Rat verhandelt hat? Um ein Blutvergießen zu verhindern? Vielleicht sogar mit dem Hintergedanken, dass Jesus in jüdischer Haft dem römischen Zugriff entzogen wäre? Das setzt allerdings voraus, dass auch der Hohe Rat Jesus nicht hinrichten, sondern nur wegsperren will, um seine öffentlichen Auftritte in diesen Tagen zu unterbinden. Und damit zugleich den Römern zu signalisieren, dass er die Lage im Griff hat. In der Tat weisen jüdische Gesprächspartner und Kenner des jüdischen Gesetzes darauf hin, dass nichts von dem, was Jesus gesagt oder getan hat, nach jüdischem Recht ein todeswürdiges Verbrechen war.


Der römische Statthalter Pilatus aber war, wie jüdische und römische Quellen jener Zeit berichten, ein brutaler Tyrann. Er hat Tausende kreuzigen lassen und mehrere Massaker an der jüdischen Bevölkerung befohlen. Niemals hätte er sich durch Angehörige eines unterworfenen Volkes drängen lassen, jemanden kreuzigen zu lassen, an dessen Hinrichtung er nicht selbst massiv interessiert gewesen wäre! Der Hohe Rat kann ihn nicht gezwungen haben, Jesus kreuzigen zu lassen! Pilatus wird seinerseits die Auslieferung dieses brisanten Gefangenen gefordert haben. Als Jesus ausgeliefert wird, weiß Judas: das ist das Todesurteil.


Bis heute geschieht in dieser Welt so manches Unheil nicht aus böser Absicht. Da ist einer überzeugt, das Richtige zu tun, aber dann kommt alles ganz anders. Er macht sich bittere Vorwürfe: „Hätte ich das doch nur nicht getan! Hätte ich doch anders entschieden!“ Was dann passiert wäre, weiß allerdings auch niemand. Wäre es ohne den Verrat des Judas zu einem römischen Massaker gekommen? Der Hohe Rat schätzt die Gefahr sehr hoch ein und wägt notgedrungen ab. Der Evangelist Johannes zitiert den Hohenpriester Kaiphas:


Sprecher: „Bedenkt: es ist besser, dass ein Mensch für das Volk stirbt, als dass das ganze Volk seinetwegen umkäme.“

(Johannes 11,50)


Autor: Das hat er wahrscheinlich auch Judas auf seine bitteren Vorwürfe geantwortet. Aber Judas ist zu eng mit Jesus verbunden, als dass er sich damit beruhigen könnte. Er spürt nur eins: er hat Jesus verraten. Er hat ihn auf dem Gewissen. Das kann er sich nicht verzeihen, und er zerbricht daran.


Musik: Blue Bar (Feat. Nils Landgren + Lars Danielsson)

Komponist: Wolfgang Haffner; Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Shapes, Track 6; Label: ACT Music+Vision; LC 07644


Autor: Kann jemand, der so schwere Schuld auf sich geladen hat, bei Gott Gnade finden? Ostern, die Auferweckung Jesu und ein Leben bei Gott: gilt das auch für Judas? Für die christlichen Kirchen war seit je her klar: Judas ist in alle Ewigkeit verdammt. Aber ich glaube, dass Gott mehr vergibt, als wir Menschen es für möglich halten. Und wozu wir selber bereit und in der Lage wären.


Verzeihen ist nicht immer leicht. Aber es befreit nicht nur den, der mir Unrecht getan hat, sondern auch mich selbst. An dem, was ich einem anderen Menschen nachtrage, habe ich eben auch selbst zu tragen. Wenn ich es verzeihen kann, fällt diese Last von mir ab, und ich kann innerlich damit abschließen. Aber was ist, wenn ich das nicht kann? Bin ich dann kleinlich oder rachsüchtig oder selbstgerecht? Oder halte ich anderen nur vor, was sie verbrochen haben, um von eigenen Verfehlungen abzulenken? Vielleicht. Es ist gut, wenn ich da vor mir selbst ehrlich bin.


Aber es gibt auch Taten und Gemeinheiten, die so skrupellos, und Schäden und Verletzungen, die so schwer sind, dass die Betroffenen sie nicht verzeihen können. Dann wäre es auch eine Zumutung, das von ihnen zu verlangen. Zumindest kann ich von jemandem, der mir Unrecht getan hat, erwarten, dass er es einsieht. Solange ihm nichts leidtut und er völlig in Ordnung findet, was er getan hat, kann ich ihm nicht verzeihen. Und muß es auch nicht.


Noch schwerer aber als anderen zu vergeben kann es sein, mir selber etwas zu verzeihen. Natürlich werde ich versuchen, in Ordnung zu bringen, was ich verschuldet habe. Aber ich werde nicht jeden Schaden beheben, nicht jede falsche Entscheidung rückgängig machen, nicht alles Versäumte nachholen und nicht mit jedem, den ich verletzt oder enttäuscht habe, wieder völlig ins Reine kommen können - jedenfalls nicht so, dass wir einander wieder so unbefangen begegnen könnten wie vorher.


Ich finde es tröstlich, dass ich mich über all das nicht nur mit Menschen meines Vertrauens aussprechen, sondern es auch vor Gott bringen kann. Gott, bei dem selbst einer wie Judas auf Gnade hoffen kann, wird auch über mich gerechter, freundlicher und nachsichtiger urteilen, als andere es tun - und vielleicht auch ich selbst. Damit kann ich nichts ungeschehen machen, kann aber anders damit umgehen. Mich Schritt für Schritt aus der lähmenden Fixierung auf meine Selbstzweifel und Selbstvorwürfe lösen. Mich wieder aufrichten und fragen, was jetzt möglich und richtig ist, und wieder handlungsfähig werden. Und Gott dabei auf meiner Seite wissen.


Ein festes Gottvertrauen und Zuversicht für den Weg, der vor Ihnen liegt, wünscht Ihnen Pfarrer im Ruhestand Johannes Doering aus Unna.


Musik: If the Rain Comes

Interpreten: Lars Danielsson, Wolfgang Haffner & Julian & Roman Wasserfuhr; Album: Gravity, Track 10; Label: Label: ACT Music+Vision; LC 07644



Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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