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Kirche in WDR 5 | 27.02.2023 | 06:55 Uhr

„Die Guten“ – Bonbonmomente

Vor etwa vier Monaten, da saßen sie in unserer Pilgerandacht in Kevelaer, in der farbenprächtigen Basilika. Es war unter der Woche, Ende Oktober und das Pilgerjahr neigte sich dem Ende entgegen. Ich mag diese Tage am „Ende der Saison“. Die übervollen Wallfahrtstage sind dann schon vorbei. Aber auch im satten und farbenstarken Oktober kommen bei gutem Wetter immer wieder viele Menschen zu den Gottesdiensten, und auch zur Andacht um 15 Uhr. So eben auch diese beiden und ich muss zugeben, sie wären mir kaum aufgefallen. Es war das Modell „rüstige und herzliche Großeltern“; Menschen von nebenan eben. Als die Andacht vorbei war, da ging ich wie immer durch die Basilika nach draußen. Die Orgel spielte, es roch nach der „Weihrauchernte“ des Tages und durch die geöffnete Pilgerpforte blinzelte die Oktobersonne in die Kirche. Da sprach mich dieses Paar an und sagte: „Wir müssen uns bedanken! Sie haben von dem Rucksack gesprochen. Ja… der ist bei uns voll. Nach einem Leben voller Arbeit wollten wir jetzt eigentlich genießen. Und jetzt: Die Krankheit!“. Er musste schlucken – sie nahm ihn bei der Hand… weil sie längst gemerkt hatte: Bei dem was er sagte, ging es an ihr „Eingemachtes“. Dieser Moment, eigentlich zwischen Tür und Angel, hatte Tiefgang. Ich hatte nicht mehr dabei als mich, was ich ihnen hätte anbieten können in dieser Situation. Und so sagte ich: „Wie gut, dass sie sich haben!“. Es wurde still. Dann sagte er: „Ohne sie“ – und er drückte seine Frau – wäre ich verloren. Und sie fiel ihm ins Wort: „Und ich ohne ihn“. Und zusammen kämen die beiden, so sagten sie kurz vor dem Abschied, in unregelmäßigen Abständen nach Kevelaer um den Ballast abzustellen. Ich lud sie ein, dass gerne weiterhin zu tun; denn dafür ist es da, das kleine Kapellchen mit dem unscheinbaren Bild, von dem wir glauben, es verstünde etwas von Tröstung zu erzählen. Als wir uns verabschiedeten, nahm der ältere Herr meine Hand. Er öffnete sie und legte zwei Sahne-Karamell-Bonbons hinein. „Die Guten!“, so flüsterte er mir zu. „Aus Polen. Die gibt es hier nirgendwo zu kaufen“. Und er sagte: „Lassen sie es sich schmecken!“ - Ich bedankte mich… ehe ich mich versah, waren die beiden verschwunden. Und wie in der bekannten Werbung, aß ich den ersten sofort. Beim Verlassen der Kirche war ich dankbar, weil um eine Begegnung reicher. Aber ich war mir auch sicher: Wahrscheinlich sehen wir uns nicht wieder.

Zeitsprung: Ende Dezember, am Freitag vor dem vierten Advent fand in Kevelaer unser großes Adventskonzert statt. Die Marienbasilika: voll. Ein großes Orchester, ein Flügel, alle Chöre unserer Gemeinde, ein Rezitator… es war ein musikalisches und ergreifendes Fest für Ohren und Augen. Ich selber hatte die Moderation übernommen und begleitete das Publikum durch die zweieinhalb Stunden Musik. Kurz vor dem Finale litt meine Stimme doch sehr; das konnte auch das Publikum hören. Vor den letzten Moderationsblock streckte sich mir aus der kerzenerleuchteten Kirche, aus einer Bank im Seitenschiff eine ausgestreckte Hand entgegen. Und ich hörte in den Schlussakkord des Chores hinein eine Stimme flüstern: „Die Guten… wie immer!“ – Und in der Tat befanden sich umgehend zwei Sahne-Karamell-Bonbons in meiner Hand. Ja, genau: jene aus Polen, die es hier nirgendwo gibt und die (so konnte ich mich erinnern) wunderbar schmecken.

Ich moderierte ein letztes Mal an und in die berührende Musik des Finales steckte ich mir das erste Bonbon, wieder wie in der Werbung, sofort in den Mund. Es war ein Advents-Finale der besonderen Art. „Freu dich, freu dich o Israel“, sangen Chöre und Gemeinde aus lauter Kehle. Und ich konnte das alles auch noch schmecken.

Wir reden viel darüber, wie sich die Kirche für die Zukunft verändern soll. Ich bin manchmal ratlos und hilflos zugleich. Ich bin sicher: anfühlen und schmecken soll sie so, wie dieser Moment. Und dafür bin ich dem älteren Herrn unendlich dankbar. Sollte ich noch ein solches Bonbon bekommen: Ich werde das erste übrigens wieder sofort essen. Ich kann nicht anders.

Kommen Sie gut in diese Woche, Ihr Bastian Rütten, Wallfahrtsreferent in Kevelaer.

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