Beiträge auf: wdr5
Kirche in WDR 5 | 24.03.2023 | 06:55 Uhr
Meinem unbekannten Opa, Ukraine
Guten Morgen.
Vor einigen Jahren war ich mit einem
humanitären Transport in Belarus oder Weißrussland. Es ging nach Bobruisk. Das
ist eine größere Stadt. Dort besuchen wir verschiedene Kirchen, treffen andere
Christen. Wir besichtigen die Stadt und fahren einen Nachmittag auch zu einem Soldatenfriedhof.
(1)
Die Menschen in Belarus haben einen ganz anderen Umgang mit dem zweiten
Weltkrieg. Da steht ein echter Panzer aus dem Krieg mitten in der Fußgängerzone
als Denkmal. Es sind dort auch prächtige Gedenktafeln aufgestellt mit den
Weltkriegshelden der Stadt. Ich habe mir diese Dinge mit Befremden angesehen. Und
weiß doch auch: Deutsche Soldaten haben hier im Zweiten Weltkrieg viele
Gräueltaten begangen, vor allem an den Juden der Stadt. (2)
Der Friedhof, den wir besuchen, ist ein
deutscher Soldatenfriedhof. Er ist angelegt und gepflegt worden vom Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V..
34.172 deutsche Soldaten sind hier begraben. Was für eine Zahl.
Mein Großvater liegt auf einem ähnlichen Soldatenfriedhof. Er ist in Frankreich
gefallen. Mein Vater war da gerade mal dreizehn Jahre alt. Als Jugendlicher bin
ich einmal mit meiner Oma und meinem Vater am Grab meines Großvaters gewesen.
Doch hier auf diesem Friedhof in Belarus
überkommt mich auf einmal ein Gefühl, das ich nie vorher erlebt habe. Plötzlich
vermisse ich meinen Großvater! Eine Träne läuft mir über das Gesicht. Ich habe
ihn natürlich nie kennengelernt. Doch plötzlich - auf diesem Friedhof - empfinde
ich eine tiefe Traurigkeit, dass ich
ihn nie treffen konnte. Was hätte er mir zu erzählen gehabt? Er war Lehrer
gewesen. Und wohl ein sehr fortschrittlicher. Ich unterrichte ja auch einige
Stunde Religion an einer Schule. Hätte er wohl Tipps für mich? Was hätte er von
meinem Vater erzählt?
Von meinem Großvater habe ich einen Satz besonders in Erinnerung. Den
hat mir mein Vater mehrmals erzählt. Mein Großvater hatte schon den ersten
Weltkrieg mitmachen müssen. 1939 hat er dann gesagt: "Nun geht der Scheiß
wieder los." Dieses Schimpf-Wort war damals sicherlich nicht so geläufig
wie heute. Und mein Großvater war Lehrer, er musste sich gut ausdrücken. Doch mein Vater war sich sehr
sicher, dass mein Großvater genau dieses Wort benutzt hat.
Dreizehn Monate herrscht nun schon der Krieg in der Ukraine. Und diese "Scheiße"
wird wohl noch länger dauern. Jeder Tag im Krieg ist einer zu viel.
Schrecklich, grausam, tödlich ist Krieg. Und er pflanzt langen Hass in die
Herzen vieler Menschen. Sicherlich meine Traurigkeit über meinen Großvater ist wirklich
nichts im Vergleich mit dem Leid der Menschen in der Ukraine - und in Russland.
Mir macht es nur deutlich, wie lange solche Schrecken nachwirken können.
Mitten auf dem Soldatenfriedhof bei Bobruisk
steht ein großes, einfaches Kreuz. Ich muss daran denken, dass an diesem Kreuz
einmal der Sohn Gottes hing. Jesus ist dort elendig gestorben. Seine Botschaft
war eine Friedensbotschaft, sein Motto: Liebe Gott und deinen nächsten Mitmenschen
wie dich selbst. Für mich ist es ein Trost zu wissen, dass Gott selber dort
gelitten hat. Ihm ist kein menschliches Leid unbekannt.
Und der zweite Trost: Ich glaube mit Gewissheit, dass Jesus von den Toten
auferstanden ist. Und damit ist für mich klar, dass nicht der Hass siegen wird.
Nicht der Tod, nicht die destruktiven Mächte. Am Ende werden Gottes Liebe und
sein Frieden siegen. Das mag naiv klingen, aber bisher habe ich keine
Alternative zu diesem Trost gefunden.
Ihr Pastor Heddo Knieper aus Soest.
(1) Schatkowo, Informationen von: https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/schtschatkowo, Aufruf am 25.01.23.
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Babrujsk, Aufruf am 26.02.23.
Redaktion:
Landespfarrerin Petra Schulze